Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Ulms Stadtgeschichte auf dem Smartphone
Eine App macht die Vergangenheit der Münsterstadt erlebbar
Mächtig sei sie, die neue Ulmer Stadtmauer, direkt im Flussbett, mitten ins reißende Wasser habe man sie errichtet. So erzählt es mir ein Augenzeuge aus dem Jahr 1484 über die Kopfhörer meines Smartphones. Dazu sehe ich auf dem Bildschirm unterschiedliche historische Ansichten: die Mauer als bunte Zeichnung in einem Buch, als Teil eines Stadtplans und auf einem Schwarz-Weiß-Foto mit Damen in langen Röcken, die darauf flanieren. Hebe ich den Blick sehe ich das Gemäuer vor mir, wie es heute aussieht. Immer noch imposant, aber nicht mehr direkt in der Donau, sondern mit einer Promenade davor, auf der sich Spaziergänger tummeln.
Durch ein Tor in der Stadtmauer geht es weiter ins Fischerviertel, wo es den nächsten Infofilm zum Zunfthaus der Schiffleute gibt. Insgesamt 30 solch kurzer Videos sind in der App sQRibe zu Sehenswürdigkeiten in der Innenstadt zu sehen, die meisten dauern um die zwei Minuten. An fast jeder Ecke bleibe ich stehen, hole mein Smartphone aus der Tasche und setze die Kopfhörer auf. An manchen Stellen bieten sich gleich mehrere Filme an, je nachdem in welche Richtung man sich wendet: rechts die Ulmer Münz, links das Schiefe Haus, dahinter die Staufenmauer.
Ich erfahre, was beim Ulmer Brotkrawall im Kornhaus passiert ist, wie Gustav Leube in seiner Kron-Apotheke die industrielle Herstellung von Zement entwickelte, welche Details sich in der prächtigen Fassadenbemalung des Rathauses verstecken und woher der Metzgerturm seine Schieflage hat (nein, es hat nichts mit dicken Wurstproduzenten im Gefängnis zu tun, auch wenn es die Sage so will). Munter geht es durch die Jahrhunderte, jeder Stopp erzählt eine neue Geschichte.
Einen Rundweg oder thematische Touren bietet die App leider nicht. So ist es etwas dem Zufall überlassen, an welchen Sehenswürdigkeiten man vorbeikommt. Lediglich nach Relevanz lassen sich die einzelnen Stationen auflisten, aber auch dann muss der Nutzer sich selbst durch den digitalen Stadtplan navigieren. Wer die Augen offen hält, findet an einigen Gebäuden QR-Codes, die sich scannen lassen und durch die man direkt bei der jeweiligen Sehenswürdigkeit in der App landet. Insgesamt ist die Handhabung etwas umständlich, aber das wird wett gemacht durch die Inhalte.
Spannender Münsterbau
Die Macher der App wollen Geschichte sichtbar machen und arbeiten dafür mit Stadtarchiven und Heimatkundlern vor Ort zusammen. Die Hintergründe zu den Sehenswürdigkeiten sind gut und schlüssig erzählt und mit vielen Anekdoten ausgeschmückt. Wer keine Lust auf die Filme hat, kann sich die Texte auch nur durchlesen und die Fotos dazu anschauen. Besonders spannend wird es immer dann, wenn sich die Abbildungen von früher und das heutige Erscheinungsbild oder Umfeld eines Gebäudes deutlich unterscheiden.
So wie beim Ulmer Münster. Wo heute der höchste Kirchturm der Welt mit seinen 161 Metern in den Himmel ragt, stand bis ins 19. Jahrhundert nur ein Stumpf. Nach 70 Metern wurde das Geld knapp, die Zeit der Gotik war um, erklärt die Stimme in meinen Kopfhörern. Also hörten die Ulmer auf zu bauen und setzten einfach ein Dach auf den unfertigen Turm. Auf dem Bildschirm sind verschiedene Ansichten des seltsam unproportionalen Baus zu sehen und ein Vergleich mit den ursprünglichen Plänen, nach denen sogar noch 20 Meter mehr als heute angedacht waren. Nebenbei erfährt man noch, dass die Bürger das mächtige Münster selbst finanziert haben und damals gleich zweimal in den Kirchenraum gepasst hätten. Solche Details machen, neben den Abbildungen, die historischen Zusammenhänge lebendig.
Nach gut zwei Stunden brummt mir dennoch der Kopf von den vielen Geschichten und Bildern. Ich bin ich wieder am Ausgangspunkt meiner Tour. Gut die Hälfte der Stationen habe ich geschafft. So spannend und informativ das alles war, für heute ist erst einmal Schluss. Ich schalte das Smartphone aus und gehe auf dem Spazierweg zwischen Donau und Stadtmauer entlang – ganz im Hier und Jetzt.