Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Europas einzigartige Lüftungsanlage
In einem Reinraum in Immenstaad prüft Airbus Satelliten vor ihrem Abschuss ins Weltall
IMMENSTAAD - Bevor ein Satellit ins Weltall fliegt, muss ganz sicher sein, dass er störungsfrei funktioniert. Dafür muss er auf der Erde zusammengebaut gründlich getestet werden – unter außergewöhnlichen Bedingungen. Das geschieht demnächst im neuen Integrated Technology Centre (ITC) von Airbus Defence & Space in Immenstaad am Bodensee, dem größten Reinraum Europas seiner Klasse.
ITC steht für Integrated Technology Centre – und damit für die Zusammensetzung und Steuerung von Satelliten, Teleskopen und anderen optischen Instrumenten für die Erforschung des Weltalls und der Erde. Airbus Defence & Space hat sich auf Erdbeobachtungen und Radartechnologie spezialisiert und sammelt mit Satelliten und Teleskopen Informationen von der Erde, etwa für Navigation, Gravitationsmessungen oder Wetterbeobachtungen.
Das Herz des ITC: Der große Reinraum.
Im ITC kann das Airbus-Team bis zu acht Satelliten gleichzeitig zusammenbauen. Auch für weitere kleinere Systeme ist Platz in dem vierstöckigen Gebäude, dessen Herz eine 2000 Quadratmeter große und bis zu 18 Meter große Halle ist. Neben dem großen Reinraum gibt es weitere kleinere dieser beinahe partikelfreien Räume sowie verschiedene Labore. Im Oktober sollen darin die ersten Geräte zusammengebaut und ihre Funktionen geprüft werden – etwas später als vorgesehen. Bei Baubeginn im November 2016 hatte Airbus noch geplant, im Spätsommer 2018 fertig zu werden, dann war die Rede von September.
Doch die Baustelle war eine Herausforderung: „Allein der Baugrund war schon besonders“, sagt AirbusPressesprecher Mathias Pikelj. „Wir haben 200 Betonpfähle 14 Meter tief in Boden eingebracht, um das Gebäude im seenahen Grund zu sichern.“Was das neue ITC so besonders macht: Im dem Reinraum sind zwei verschiedene Reinheiten möglich, und zwar ohne Trennwände. Das wird durch die besondere Lüftungsanlage möglich.
Die beiden Reinheitsklassen sind nach ISO (International Organization for Standardization) genormt: Bei ISO 5 dürfen maximal 100 Partikel bis zu einer Größe von 0,5 Mikrometer pro Kubikfuß Luft vorhanden sein, bei ISO 8 sind 100 000 Partikel bis zu Größen von fünf Mikrometer erlaubt. Ein Mikrometer ist ein Millionstel Meter.
„Zum Vergleich: Ein Haar ist etwa 50 Mikrometer dick“, sagt Berthold Vogt, Reinraum-Koordinator bei Airbus Defence und Space. „Und in der Stadtatmosphäre befinden sich in einem Kubikfuß Luft etwa drei Millionen Partikel.“
Unerwünscht sind nicht nur Staubteilchen. „Hier geht es auch um molekulare Kontamination, also um Öle und Dämpfe“, sagt Berthold Vogt. So ist zum Beispiel Silikon im Reinraum verboten. „Denn Silikon dampft aus und die Partikel sind von Optiken besonders schwer zu entfernen“, erläutert der Reinraum-Koordinator. Es geht um Details: Wer den Reinraum betreten will, muss nicht nur Schutzanzüge, Überschuhe und Hauben tragen, sondern beispielsweise auch auf Make-up verzichten. Die in Europa einzigartige Lüftungsanlage reinigt die Luft durch insgesamt 320 spezielle Filter.
Wenn der Reinraum in Betrieb ist, werden nach Angaben von Vogt zehn bis 50 Mitarbeiter darin arbeiten – je nachdem, wie viele Satelliten parallel zusammengebaut und geprüft werden. Aufbau, Integration, Abbau und Verpackung erfolgen von Hand, nicht mit Robotern.
Für den Transport der einzelnen Module von und nach Immenstaad gibt es spezielle Container, jeder für sich eine Art Miniatur-Reinraum. Durch Schleusen und spezielle Reinigung mittels Stickstoff verhindert Airbus, dass Staub oder Kunststoff in das ITC transportiert werden.
Die eigentliche Arbeit an den Satelliten jedoch passiert in den sogenannten Check-Out-Räumen im Erdgeschoss an den Gebäudeseiten: Dort sitzen die Ingenieure und testen die Funktionen der Geräte. Sie müssen sicherstellen, dass diese im All funktionieren, sich richtig steuern lassen und die geforderten Daten sammeln und liefern. „Denn wenn er einmal oben ist, kann man nicht mehr viel ändern“, sagt Vogt.
Raumfahrt erlebt Boom
„Wir warten darauf, dass der Reinraum in Betrieb geht, denn die Verträge haben wir schon und wollen sie jetzt abarbeiten“, sagt Pikelj. Aufträge gebe es genug: „Die Raumfahrt erlebt gerade einen Boom.“Bestes Beispiel sei die Navigation. „Das sind satellitengesteuerte Dienste, die man immer braucht.“Außerdem sei Airbus in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich in der Auftragsakquise gewesen.
Einen Auftrag hat Airbus in Immenstaad ganz besonders im Auge: Das Projekt Athena, ein 15 Meter hohes Röntgenteleskop. Die Voraussetzungen hat Airbus mit dem ITC geschaffen – doch ob der Auftrag in den nächsten Jahren auch kommt, ist deshalb noch nicht sicher. „Wir wollen das Projekt gewinnen“, betont Pikelj. „Der Vorgänger für Athena kam auch aus Immenstaad.“
Einen 360 Grad-Rundgang durch den Reinraum bieten wir Ihnen auf www.schwäbische.de/reinraum