Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Vom SEK auf den Boden geholt
19-Jährige aus dem Raum Riedlingen bei Protesten im Hambacher Forst mit dabei
RIEDLINGEN - Der Hambacher Forst ist derzeit in vielen Medien. Das Waldgebiet zwischen Aachen und Köln wird von der Polizei geräumt, weil die RWE den Forst für den geplanten Braunkohletagebau roden will. Dagegen gibt es massiven Widerstand. Aktivisten, die in Baumhäusern leben, werden von der Polizei aus dem Wald gebracht. Und mittendrin eine 19-Jährige aus dem Raum Riedlingen. Auch sie ist vom Sondereinsatzkommando (SEK) auf den Boden geholt worden.
Die 19-Jährige, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, ist seit rund 14 Tagen im Hambacher Forst. Sie ist dort, weil sie die Aktionen gegen die Abholzung des Waldes unterstützen will. „Es ist offensichtlich, dass der Braunkohleabbau keinen Sinn mehr macht“, sagt sie. Dennoch werde Lebensraum in großem Maße zerstört.
Gegen die Abholzungen wehren sich viele Menschen, die sich im Forst zusammengefunden haben. Wie viele, kann sie nicht, können andere nicht sagen („den Überblick verloren“). Sie kommen aus unterschiedlichen Regionen, kommen mit unterschiedlichen Einstellungen. Sie eint ihr Tun für die Umwelt, die sie in verschiedenen Baumhausdörfern im Wald zusammenfinden lässt.
„Hier werden auch Utopien gelebt“, erzählt die junge Frau. Die Menschen in den Baumhausdörfern überlegen, wie sie leben wollen, welche Entscheidungsfindung für sie die richtige ist. Dabei ist die Kultur von Baumhausdorf zu Baumhausdorf anders. Im einen tut jeder, was er will, im anderen gibt es täglich zwei Besprechungen, in denen detailliert festgelegt wird, was und wie etwas gemacht wird.
Nach ihrer Ankunft vor 14 Tagen ist sie direkt in den Wald gegangen und hat ein Baumhausdorf für sich gefunden: „Oaktree“. „Ich habe mich schnell eingelebt, das wurde mein Zuhause“, sagt sie. Bereits an ihrem ersten Tag hieß es, dass nun geräumt werde. Doch eine Woche blieb es ruhig. Dann aber wurden Schneisen in den Wald geschlagen, dann kamen die Polizisten.
Zunächst sei es eher nett gewesen. „Will’ste mitkommen?“, wurde sie gefragt. Wollte sie nicht. Dann hat es sich aus ihrer Sicht komplett unterschiedlich entwickelt. Ein SEKBeamter sei durch seine Rücksichtslosigkeit bei der Räumung des Dorfs aufgefallen. Auch vor ihrem Gesicht habe er mit einem Brecheisen herumgefuchtelt und sie angeschrien. „Der brüllte einen nur an“, erzählt sie. Sie wurde dann von anderen Beamten vom Baum geholt. Einer habe sie sogar ermutigt. „Bleib bei deiner Einstellung“, habe er gesagt.
Und dennoch: Den Moment, als die Beamten in voller Montur gekommen seien, beschreibt sie als sehr widersprüchlich. Ihre Gefühlswelt schwankte zwischen Wut und Trauer. Aber auch beklemmende Gefühle mischten sich beim Anblick der gut geschützten Polizisten darunter. „Wenn man nur die Augen sehen kann, ist das schon gruselig.“Und auch Tage später, als sie durchs Unterholz geschlichen seien, um reinzukommen, war ihr manchmal mulmig: „Wenn man dann Schritte hört, hat man schon ein Angstgefühl“, sagt sie.
Die 19-Jährige aus dem Raum Riedlingen
Schock über den Unfall
Der Protest in ihrem Dorf blieb friedlich. Passiver Widerstand. Doch das war nicht überall der Fall. „Es gibt alle Aktionsformen“, sagt sie dazu. Nach der Räumung wurden die Baumhäuser zerstört; alles in den Häusern wurde heruntergeworfen, auch private Gegenstände. Eine Szene habe sie noch deutlich vor Augen: Als ein Rucksack mit einer daran befestigten Trommel aus zehn Metern Höhe nach unten fiel.
Die 19-Jährige wurde wie die anderen auch in die Gefangenensammelstelle gebracht, wo sie bis zum nächsten Tag festgehalten worden sei. Sie kehrte zurück ins Camp vor dem Wald, wo sie seither ist. Denn nicht nur im Wald formiert sich Widerstand gegen die Rodung, auch außerhalb. Ein Wiesen-Camp hat sich auf einem Privatgrundstück etabliert, wo auch Aktivitäten organisiert werden. Zudem gibt es seit Jahren eine Bürgerinitiative vor Ort, die sich gegen die Rodung wendet, erzählt die 19-Jährige. Unter anderem wird jede Woche am Sonntag zu einem Waldspaziergang eingeladen, zu dem teilweise mehrere Tausend Teilnehmer kommen.
Aber auch den schlimmsten Moment während der Räumungsaktion hat die junge Frau aus der Raumschaft recht nah mitbekommen: Der tödliche Unfall des Journalisten, der in die Tiefe gestürzt ist. Sie sei mit einer weiteren Aktivistin in der Nähe in einem Gebüsch gesessen. Sie waren gerade am Weggehen, als sie hinter sich laute Entsetzensschreie hörten, dass jemand abgestürzt sei. Und dann sah sie Leute rennen. Der Todesfall hat sie schwer getroffen. Aber das war nicht bei allen der Fall. „Mich hat mitgenommen, dass es nicht alle mitgenommen hat“– auch nicht in der Aktivistenszene. Doch ihre Befürchtung, dass der Tod des Journalisten von verschiedenen Seiten instrumentalisiert werde, hat sich nicht bewahrheitet.
Ihr Baumhausdorf ist inzwischen platt, seither sei sie „heimatlos“, sagt sie. Und doch will die junge Frau auch weiterhin im Camp bleiben. Sie will auch wieder in den Wald zurückgehen und gegen die Rodung aktiv werden. In der Hoffnung, dass die Aktionen die Abholzung drosseln und die Justiz sie verhindern wird. „Am Anfang war ich total optimistisch – bevor sie angefangen haben.“Und doch: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Sie glaubt noch daran, dass der Wald gerettet werden kann.
„Wenn man nur die Augen sehen kann, ist das schon gruselig.“