Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Kauders Niederlage bringt Merkel in Not
Brinkhaus löst Vertrauten der Kanzlerin als Unionsfraktionschef ab – Lindner für Vertrauensfrage
BERLIN/STUTTGART - Schwerer Dämpfer für CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel: Die Unionsfraktion im Bundestag hat am Dienstag ihren Vorsitzenden Volker Kauder (CDU), einen der engsten Vertrauten Merkels, gestürzt. Nach 13 Jahren im Amt musste sich der 69Jährige aus Tuttlingen seinem bisherigen Vize Ralph Brinkhaus (50) in einer Kampfabstimmung mit 112 zu 125 Stimmen klar geschlagen geben. Die Kanzlerin, die Kauders Wahl empfohlen hatte, räumte eine Niederlage ein. „Da gibt es auch nichts zu beschönigen“, sagte sie und dankte Volker Kauder. Nachfolger Brinkhaus habe sie eine „gute Zusammenarbeit“angeboten.
Ähnlich äußerte sich CSU-Chef Horst Seehofer. Der Innenminister sagte, das Ergebnis sei nun zu respektieren. Auch er hatte für Kauder geworben. Der neue Fraktionsvorsitzende Brinkhaus selbst betonte, er habe „großen Respekt“vor dessen Leistungen. Über seinen eigenen Wahlerfolg freue er sich „riesig“.
CDU-Vize Thomas Strobl, Chef der Südwest-CDU, sagte zur „Schwäbischen Zeitung“: „Das ist Demokratie, das ist Demokratie innerhalb einer Fraktion.“Er selbst habe über zwei Jahrzehnte gut mit Volker Kauder zusammengearbeitet. Auch ihm sei aber „in den letzten Wochen die kritische Stimmung unter den Kollegen“nicht entgangen. „Das ist bitter für Volker Kauder und damit auch ein Schlag für unsere Landesgruppe“, sagte der CDU-Landesgruppenvorsitzende Andreas Jung.
Die Opposition wertete die Abwahl Kauders als Anfang vom Ende der Ära Merkel. „Bei uns knallen die Korken“, sagte AfD-Fraktionschefin Alice Weidel. Ihr Parteikollege Alexander Gauland nannte das Ergebnis „einen weiteren Schritt zum Ende der Regierung Merkel“. Die LinkenFraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch sprachen davon, „dass das System Merkel zu Ende geht“. Anton Hofreiter, Fraktionschef der Grünen, stellte fest, wie „tief zerstritten die Union insgesamt ist“. Es fehlten die Ideen.
FDP-Parteichef Christian Lindner empfahl Merkel, die Vertrauensfrage zu stellen. „Dadurch kann sie entweder die Stabilität wiederherstellen oder die Führung an andere abgeben“, sagte er. Hans-Ulrich Rülke, FDP-Fraktionschef im Stuttgarter Landtag, sieht zudem den Einfluss der Landes-CDU in Berlin schwinden: „Erst ist es der CDU BadenWürttemberg nicht gelungen, bei der letzten Regierungsbildung einen Ministerposten im Bundeskabinett zu erreichen, und jetzt ging auch noch der Fraktionsvorsitz verloren.“
BERLIN - Da verschlug es selbst Ralph Brinkhaus die Sprache. Als sein Wahlsieg mit 125:112 Stimmen verkündet wurde, war die Fraktion erst einmal geplättet. Sogar der Sieger, der neue Fraktionsvorsitzende Brinkhaus konnte zunächst einmal gar nichts sagen. „Der war von der Rolle“, berichteten Abgeordnete später.
Der unterlegene Volker Kauder gratulierte gefasst seinem Nachfolger, doch dann zog sich der Fraktionsvorstand zurück, um sich zu sortieren. Denn mit dem Sturz des 69jährigen langjährigen Fraktionschefs hatte kaum jemand gerechnet.
Man muss schon weit zurückschauen, um darauf zu stoßen, dass ein Unionsfraktionsvorsitzender einen Gegenkandidaten hatte. Das letzte Mal war dies im Mai 1973 der Fall, als nach Rainer Barzels Rücktritt die CDU-Politiker Karl Carstens, Richard von Weizsäcker und Gerhard Schröder gegeneinander antraten. Karl Carstens gewann. Nun also, 45 Jahre später, hatte Volker Kauder nicht nur einen Herausforderer, sondern er wurde sogar von dem Ost-Westfalen Brinkhaus besiegt.
Zu treu an Merkels Seite
Kauder hatte bereits bei der letzten Wahl zum Fraktionsvorsitzenden nur 75 Prozent der Stimmen bekommen. Manche werfen ihm vor, die Unionsfraktion nicht genügend zu profilieren – notfalls gegen die Kanzlerin. Tatsächlich stand Kauder als Fraktionsvorsitzender 13 Jahre treu an der Seite Angela Merkels. Bei der Finanzkrise, dem Atomausstieg und der Flüchtlingskrise: Kauder hat immer wieder die Mehrheiten für die Kanzlerin sichergestellt. Und er führte die Fraktion so lange wie kein Unionsfraktionschef vor ihm.
Freund und Feind gleichermaßen attestieren Kauder, dass auf sein Wort Verlass ist. Auch der Biberacher Abgeordnete Josef Rief sagte, er habe sich von ihm immer gut vertreten gefühlt. Rief sprach von einer bitteren Stunde für den Fraktionschef. „Politik kann brutal sein.“
Fair gekämpft
Auffällig ist aber auch, dass selbst Kauder-Freunde wie Rief nur gute Worte über Ralph Brinkhaus fanden, der fair gekämpft habe. In seiner Rede vor den Abgeordneten trat der Herausforderer mit dem Versprechen an, der Fraktion mehr Gewicht gegenüber der Regierung zu verleihen und stärker im Team zu spielen. Dieser Sehnsucht sollen auch Abgeordnete im Parlamentskreis Mittelstand kurz zuvor noch Ausdruck verliehen haben. Mit seiner Rede vor der Fraktion hat Brinkhaus dann wohl noch einige überzeugt. Er sagte, ein Signal des Aufbruchs sei nötig. Die Union verliere Vertrauen und erreiche die Menschen nicht mehr.
Sowohl Kauder als auch Merkel hatten dagegen den Wert der Stabilität gelobt. Der bisherige Fraktionschef hatte der Wahl im Vorfeld gelassen entgegengesehen. Schließlich hatte sich die gesamte Unionsspitze für ihn ausgesprochen – Seehofer, Dobrindt, Merkel. Nach den vergangenen Wochen, „in denen sich die Große Koalition nicht mit Ruhm bekleckert hat“, wie der Parlamentarische Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer sagte, wollte man eigentlich zur parlamentarischen Arbeit zurückkehren. „Volle Konzentration auf die Sacharbeit“, hatte auch Merkel gefordert.
Den Schneid, nun den Vertrauten der Kanzlerin abzustrafen und damit eine neue Personaldiskussion auszulösen, die vor Merkel nicht halt machen wird, hatten viele der Unionsfraktion nicht zugetraut. Doch nun ist wieder alles anders, die Abgeordneten bestehen auf einem Neuanfang.
CSU-Chef Horst Seehofer versuchte, die Abwahl von Kauder tief zu hängen. „Volker Kauder hat eine sehr gute Arbeit geleistet, und Herr Brinkhaus wird das auch tun“, sagte er. Ist das ein Erbeben? „Ach“, meinte Seehofer, „das muss man nicht immer so dramatisch sehen.“So sei das in der Demokratie.
Vielleicht ein schlechtes Gewissen
Doch vielleicht überfiel den ein oder anderen Abgeordneten doch noch ein schlechtes Gewissen. Denn für Kauder gab es zum Abschied Standing Ovations, seine Arbeit wurde von vielen gewürdigt. Allen voran von Merkel, die ihm noch einmal dankte.
Die Kanzlerin räumte gleichzeitig zum zweiten Mal in dieser Woche einen Rückschlag ein. Natürlich sei das eine Niederlage, da gebe es nichts zu beschönigen, sagte Merkel. Aber sie werde Ralph Brinkhaus, wo immer das geht, unterstützen. „Ich möchte, dass die Unionsfraktion erfolgreich weiterarbeitet“, meinte sie, etwas blass im Gesicht.
Brinkhaus selbst trat bescheiden vor die Kameras, ohne zu triumphieren. „Ich freue mich riesig“, meinte er. Jetzt gehe es darum, ganz schnell wieder an die Arbeit zu kommen.