Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Das stürmische Jahr seit Macrons Europa-Appell
Ein einsames Schiff auf dem Meer – bei Sturm und bei Sonnenschein. Das ist auf einem großen Wandteppich im Wintergarten des Pariser Élyséepalastes zu sehen. Manche interpretieren das Werk des zeitgenössischen Künstlers Pierre Alechinsky als eine Anspielung auf die schwierige Lage von Hausherr Emmanuel Macron. An diesem Mittwoch jährt sich der Tag, an dem der französische Präsident in der Sorbonne-Universität seinen flammenden Appell zur „Neugründung eines souveränen, vereinten und demokratischen Europas“lancierte. Er forderte einen europäischen Finanzminister und einen Haushalt für die Eurozone, der auf längere Sicht mit Steuereinnahmen finanziert werden könnte. Auch in der gemeinsamen Verteidigungspolitik machte der frühere Investmentbanker Druck – und schlug eine Interventionstruppe vor.
Das Bild hat sich dramatisch gewandelt: Italien hat eine Populistenregierung, in Österreich regiert die FPÖ mit. Europa streitet über Migration und den Brexit, also den bevorstehenden britischen EU-Ausstieg. Eine umfassende Eurozonen-Reform lässt auf sich warten, auch wenn Experten diese als notwendig erachten. Macron selbst steht seit der Affäre um seinen früheren Sicherheitsmann Alexandre Benalla unter Druck. Die Beliebtheitswerte sinken.
Macron tourt indes weiter durch die europäischen Hauptstädte, um Verbündete für seinen Reformkurs zu finden. Im Élyséepalast wird das Thema „Après-Sorbonne“genau verfolgt: Macron habe 49 Einzelvorschläge gemacht. Bei 22 davon, also knapp der Hälfte, sei eine Einigung erreicht oder in Sicht, beispielsweise beim EU-Urheberrecht, bilanzieren Berater. 18 Vorhaben seien zwar auf den Weg gebracht, aber ein Kompromiss stehe noch aus. Darunter sei eine faire Besteuerung der Digitalwirtschaft oder der Eurozonen-Haushalt. In den restlichen neun Bereichen würden Arbeiten vorbereitet. „Ergebnisse sind möglich“, lautet das Fazit im Kreis der oft übermüdet wirkenden Präsidentenhelfer. Beim Amtsantritt vor 16 Monaten war der Ex-Wirtschaftsminister noch sehr stark auf Deutschland und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) konzentriert. Auch dieses Bild hat sich gewandelt.
Es gibt erste kleine Erfolge
Immerhin: Drei Monate nach Amtsantritt der großen Koalition in Berlin stand die deutsch-französische Erklärung von Meseberg zur Zukunft der EU. Macron verbuchte es als großen Erfolg, dass Deutschland „sein“Eurozonen-Budget unterstützt, auch wenn es in bisherige Haushaltsstrukturen eingebettet werden soll.
Besonders gut laufe die Initiative im Hinblick auf die Verteidigung, heißt es mit gewissem Stolz in Paris. Vor drei Monaten vereinbarten neun EU-Staaten, unter ihnen auch Austrittskandidat Großbritannien, den Aufbau einer neuen Militärkooperation, um bei Krisen schneller reagieren zu können. Macrons Ziel ist es, Europa unabhängiger vom großen Nato-Partner USA zu machen.
Der Staatschef hat die Europawahl in acht Monaten bereits fest im Blick. Sein Lieblingsgegner: der rechtskonservative ungarische Regierungschef Viktor Orban. Macron wolle vor der Wahl die klassische europäische Rechte spalten, meinen Hauptstadt-Insider. Das kann der deutschen Kanzlerin kaum gelegen kommen – denn Orban gehört wie sie zur konservativen Europäischen Volkspartei (EVP).