Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Im Räderwerk finsterer Macht
Verdis „Don Carlo“wird am Theater St. Gallen opulent in Szene gesetzt
ST. GALLEN - Viel Beifall für alle Mitwirkenden gab es nach der Premiere einer neuen Produktion von Giuseppe Verdis anspruchsvoller Oper „Don Carlo“am Theater St. Gallen. Besonders die Gesangssolisten, der von Michael Vogel perfekt vorbereitete Chor, das Orchester und sein neuer Chefdirigent Modestas Petrenas wurden ausgiebig gefeiert. Das Team des italienischen Regisseurs Nicola Berloffa musste für seine opulente Inszenierung neben überwiegendem Applaus auch einige Buhs einstecken.
Verdi hat seinen „Don Carlo“ursprünglich für Paris als Grand Opéra mit dem Originaltitel „Don Carlos“konzipiert. Für Produktionen in italienischer Sprache hat er das Stück später mehrfach umgearbeitet und gekürzt. Das Libretto von Joseph Méry und Camille du Locle basiert unter anderem auf Friedrich Schillers „dramatischen Gedicht“über den Infanten von Spanien. Die Opernhandlung spielt um 1560 am Hof von Philipp II. und folgt in der Urfassung dem fünfaktigen Modell der französischen Historienoper, die große Politik mit individuellen Schicksalen verknüpft.
Schon für die Uraufführung 1867 musste Verdi an der Partitur einschneidende Striche vornehmen. In Mailand ließ er eine noch kürzere und stark veränderte vieraktige Fassung spielen. Weitere Versionen zeigen, dass der Komponist mit der musikdramatischen Umformung des episch angelegten Stoffs immer wieder unzufrieden war. Seine ambitionierte Vertonung krankt auch daran, dass bürgerliche Vorstellungen von Liebe und Ehe recht naiv auf die historischen Protagonisten zurückprojiziert werden. Ein damaliger Regent hätte sich wohl kaum derart selbstquälerisch wie Verdis Filippo gefragt, ob ihn eine Frau wie Elisabetta, die er aus machtpolitischem Kalkül geehelicht hat, wirklich liebt.
Bühne lässt Empirezeit aufleben
In St. Gallen wird eine vieraktige italienische Mischversion gespielt. Um die Handlung besser verständlich zu machen, sind einige Szenen der Urfassung eingefügt. Dass bei intimen Begegnungen Elisabettas in französischer Sprache gesungen wird, ist plausibel, da die nunmehrige Gattin Filippos ja aus Frankreich stammt und sich im spanischen Machtgetriebe völlig verloren vorkommt. Eine schlüssige Geschichte will sich am Ende dennoch nicht ergeben. Dass Berloffa die Zeitangaben des Librettos ingnoriert und das Stück stattdessen in seiner Entstehungszeit spielen lässt, eliminiert zumindest historische Unstimmigkeiten.
Fabio Cherstichs Bühne zeigt Innenräume eines Palais im Stil des Second Empire. Dazu passend lassen die üppigen Kostüme Allessandro Facchinettis jene Epoche mit allen Zutaten auferstehen. Grelles Seitenlicht (Valerio Tiberi) verleiht der Szene eine gespenstisch düstere Note und wirft bedrohliche Schatten an Wände, hinter denen ständig gelauscht wird. In dieser lähmenden Atmosphäre spitzt sich der verzwickte Machtpoker spannend zu.
Nicht alle Solisten sind stark
Eduardo Aladrén wird seiner Rolle als Carlo weder stimmlich noch darstellerisch gerecht. Intonationsprobleme, unangenehm forcierte Spitzentöne und plumpe Posen stören. Für Flanderns Freiheitskampf scheint sich dieser lethargische, nur um sein Ego kreisende Jammerlappen kaum zu interessieren. Unkollegial übertönt er im Duett den kultiviert singenden, subtil schauspielernden Nikolay Borchev (Posa). Alex Penda hat als kaum jugendlich wirkende Elisabetta dem strahlkräfig-voluminösen Mezzosopran der souverän auftretenden Alessandra Volpe (Eboli) stimmlich wenig entgegenzusetzen. Bei der Premiere jedenfalls tönte sie unausgeglichen.
Tareq Nazmi gelingt vokal und szenisch ein ausdrucksstarkes Porträt der inneren Zerrissenheit Filippos. Sonor und melodiös stemmt er sich beim grandiosen Bassduell mit Ernesto Morillo (Großinquisitor) gegen die teuflischen Attacken dieses Strippenziehers, der ihn letztlich als Marionette im Räderwerk der Macht zappeln lässt. Der junge litauische Dirigent Modestas Pitrenas animiert das Sinfonieorchester St. Gallen zu differenziertem Spiel mit vorbildlich abgetönten Hornpassagen und betörenden Instrumentalsoli.