Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Verwaisten Eltern wieder Halt geben
Wie zwei Frauen mit dem Tod ihrer Kinder umgehen – Neue Selbsthilfegruppe in Biberach
BIBERACH/LAUPERTSHAUSEN Grenzenlosen Schmerz und Trauer haben Sonja Schädler aus Laupertshausen und Sonja Schelkle aus Biberach erlebt. Die beiden Bekannten haben ihre Kinder verloren, sich dann in einer Selbsthilfegruppe kennengelernt und ziehen nun gemeinsam an einem Strang: In Biberach haben sie die neue Trauergruppe „Kontiki“ins Leben gerufen – und wollen anderen Eltern wieder Halt geben.
Als vor zwei Jahren ihr zwölfjähriger Sohn starb, erzählt Schelkle, da musste sie die bittere Erkenntnis machen: „Ich habe kein Handwerkszeug in mir, um mit dem Tod meines Sohnes umzugehen.“Der Tod kam überraschend nach einer Herzmuskeltransplantation. „Das Sterben war nie eine Option“, sagt sie heute unter Tränen. Der Schock und die Trauer Sonja Schädler, Trauerbegleiterin der Biberacher Trauergruppe „Kontiki“
wirken bis heute nach, aber Schelkle hat sich nach dem Tod ihres Sohnes nicht zurückgezogen, sondern die Öffentlichkeit und das Gespräch gesucht. In einer Selbsthilfegruppe fand sie Halt, bald absolvierte die Montessori-Pädagogin selbst die Ausbildung zur Trauerbegleiterin.
Jeden Tag mit dem Tod gerechnet
Auch Sonja Schädler musste den Tod ihrer Kinder erleben. Sie und ihr Mann Siegfried verloren ihren Sohn Luis und ihre Tochter Sophia, beide erkrankten an der seltenen Niemann-Pick-Krankheit. Beim Kampf um das Leben ihrer Kinder mussten sie „jeden Tag mit dem Tod rechnen“, erzählt sie. „Für uns war damals klar, dass wir an die Öffentlichkeit gehen.“Mit Spendengeldern und Öffentlichkeitsarbeit warb sie Sonja Schelkle aus Biberach und Sonja Schädler aus Laupertshausen gründen eine Trauergruppe für verwaiste Eltern. Beide haben selbst Kinder verloren.
für die Erforschung der Krankheit. Doch wichtig sei ihr auch gewesen, dass ihre Kinder „nicht in Vergessenheit geraten“. Auch Schädler beschäftigte sich intensiv mit dem Tod und ließ sich zur Trauerbegleiterin schulen.
„Durch diese Ausbildung können
wir den trauernden Menschen so empathisch wie möglich begegnen. Wir wurden gelehrt, auf die Bedürfnisse und die Lebenssituationen der trauernden Personen einzugehen“, erklärt Schädler, die gelernte Industriekauffrau ist. Vor allem Frauen hätten oft das Bedürfnis, über ihre
Trauer mit anderen zu sprechen. „Aber die Welt da draußen will das irgendwann nicht mehr hören.“In diesem Fall aber kann die Trauergruppe der richtige Ort sein.
Schädler und Schelkle möchten weitergeben, was sie selbst erlebt haben, mit einer eigenen Trauergruppe. „Wir wollen andere Eltern auffangen, so wie wir damals aufgefangen wurden“, sagt Schädler. Die Arbeit der bisherigen Gruppen für verwaiste Eltern in Biberach von Heinrich Gils, Ruth Bolz-Kuchelmeister und Heinz Weiss sowie von Norbert Nitsche soll weiterführt werden, betonen sie. Diese seien „sehr erfolgreich“gewesen. Auch für die Zukunft sei es wichtig, dass es Ansprechpartner für verwaiste Eltern in Biberach gebe.
Das Motto der neuen Gruppe ist „Trauer Raum geben“. Der Name Kontiki geht auf den Namen eines Floßes zurück, auf welchem sich der Norweger Thor Heyerdahl 1947 aufmachte um zu beweisen, dass es die Besiedlung Polynesiens vor der Zeit der Inka möglich war. Auf stürmischer See und schwieriger Überfahrt trotzten die Seemänner allen Entbehrungen und erreichten schließlich ihr Ziel. „Das Floß ist eine wunderbare Metapher für das Getragensein auf stürmischer See“, erklärt Schädler. „Im Gefühl, das Ufer nicht mehr zu erreichen und zu ertrinken im Schmerz.“Selbst dann gebe es die Hoffnung „auf neues Leben und einen neuen Horizont zu erblicken, Land unter den Füßen zu bekommen am anderen Ende der Welt und wieder Leben zu finden, gefühlt auch am anderen Ende der Welt.“
In der Trauergruppe sollen alle Fragen behandelt werden, die verwaiste Eltern beschäftigen: „An wen kann ich mich wenden? Mit wem kann ich sprechen? Wo finde ich jemanden, der eine vergleichbare Erfahrung machen musste? Wie kann ich mit dem schmerzlichen Verlust weiterleben?“
Angesiedelt ist die Selbsthilfegruppe bei der Kontaktstelle Trauer der Caritas, sie wird unterstützt vom Förderverein Hospiz Biberach sowie von der Kontakt- und Informationsstelle für gesundheitliche Selbsthilfegruppen. Die Gruppe soll keine geschlossene Veranstaltung werden, betont Schädler. Neben regelmäßigen Gruppenabenden sollen auch gemeinsame Spaziergänge, Filme, Workshops und Vorträge auf dem Programm stehen.
Jeder Trauernde gehe durch verschiedene Phasen der Trauer, glauben Schädler und Schelkle – und das sagen auch wissenschaftliche Untersuchungen. Zu Beginn eines Verlusts stehen meist Schuld, Wut und Fassungslosigkeit. „Am Ende kann man lernen, die Trauer wie eine Sucht zu akzeptieren.“Diesen Weg wollen Sonja Schelkle und Sonja Schädler mit allen gehen, die Hilfe, Gespräche oder einen Austausch brauchen.
„Wir wollen andere Eltern auffangen, so wie wir damals aufgefangen wurden.“