Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Dieses Stück ist eine große Freude“
Regisseur Christian von Götz über „My Fair Lady“- Premiere heute im Theater Ulm
ULM - Christian von Götz hat „My Fair Lady“fürs Ulmer Theater inszeniert. Es ist bereits das vierte Mal, dass er diesen Klassiker auf die Bühne bringt. Warum er dieses Musical so mag – einige andere aber gar nicht, sagt er im Gespräch mit Marcus Golling.
Herr von Götz, Sie inszenieren „My Fair Lady“, das am Donnerstag im Theater Ulm Premiere hat, bereits zum vierten Mal. Was interessiert sie noch an diesem Gassenhauer der Musicalwelt?
Mich interessiert das, was mich von Anfang an interessiert hat an dem Werk. Es ist einfach ein unglaublich gut gebautes Stück – das meiner Meinung nach sogar auf dem GymnasialLehrplan gehört. Es ist ein Märchen mit unglaublich spannenden Nebenthematiken, ein sozialkritisches Werk, es ist toll orchestriert und hat starke Szenen und Figuren. Im Musicalbereich kann da nur die „West Side Story“mithalten.
In „My Fair Lady“geht es um Zähmung einer Frau durch einen höhergestellten Mann. Ist das 2018 nicht ein bisschen problematisch?
Das Gegenteil ist der Fall. Henry Higgins scheitert an Eliza Doolittles Emanzipationsdrang. Er will sie als ein Spielzeug benutzen – und am Ende stellen wir fest, dass sie ihn benutzt. Die Sprache, die sie erlernt, ist Synonym für Bildung. Dadurch, dass sie ihren Soziolekt ablegt, kann sie auch intellektuell reifen. Ein Kern des Stückes ist die Utopie, dass Bildung uns retten kann.
Was sind Higgins und Eliza Doolittle für Menschen?
Wir können Higgins mögen, weil er etwas Schillerndes hat. Sein Zynismus kennt keinen Standesunterschied. Er wettert in Ascot genauso über die Upper Class wie er sich über Vater Doolittle lustig macht. Er ist ein krasser Soziopath, der in jeder Hinsicht emotional scheitert. Am Ende des Werkes steht er an der Klippe, sein ganzes ungelebtes Leben bricht über ihm zusammen. Ich kann auch nicht sagen, dass Eliza eine schwache Figur ist. Man hat das Gefühl hat, dass mehr als 100 Jahre zwischen den beiden Figuren klaffen. Higgins gehört mit seinem nahezu hinterwäldlerischen Frauenbild ins 19. Jahrhundert. 2018 würde er – zu Recht – kommt niedergegendert. Eliza verweist mit ihrem Freiheitsdrang sogar in eine nachemanzipatorische Zeit.
Haben Sie Mitleid mit Higgins?
Jede große Theaterfigur ist ambivalent. Und er ist sowohl ein Arschloch als auch das Opfer seiner eigenen Konstrukte.
In Ulm wird die deutsche Fassung gespielt, in der Eliza und die anderen Leute von der Straße berlinern. Bekommen das die Darsteller gut hin? Ihre Eliza ist Österreicherin.
Das macht Maria Rosendorfsky gut! Ulm ist nur ein mittleres Haus, aber das Stück ist bis in die kleinsten Rollen gut und liebevoll besetzt. Das hat sich schon in den Vorgesprächen herausgestellt. Solche Stücke funktionieren nur, wenn sie von den Theatern hochgehängt werden. Für diesen Abend steht quasi das Schauspiel still, und auch das Musiktheater zeigt parallel nur eine Kammeroper. Nehmen wir die Figur der Mrs. Hopkins. Die hat einen Monolog von nicht einmal zwei Minuten – und sie wird von Marie Luisa Kerkhoff gespielt, derzeit auch die Amalie in „Die Räuber“. Mit so einer Besetzung ist das Berlinern überhaupt kein Thema. Ich finde die Übersetzung sehr gelungen, auch in den Details. Ich kenne keine bessere.
Am Münchner Gärtnerplatztheater ist derzeit eine bayerische Fassung von „My Fair Lady“auf dem besten Weg, ein Dauerbrenner im Spielplan zu werden. Hätten Sie sich eine schwäbische Version für Ulm gewünscht?
Ich weiß nicht. Hier in Ulm wäre das aus meiner Sicht falsch gewesen. „My Fair Lady“ist ein Großstadtstück. Wenn man dann einen regionalen, ländlichen Dialekt verwendet, wäre das inhaltlich total verrutscht. Ganz abgesehen davon, dass man dann vor eineinhalb Jahr mit dem Schreiben hätte anfangen müssen. Den meisten Dialekten fehlt dieses knappe, pointierte, das das Englische hat. Auf Berlinerisch geht das wahnsinnig gut. Das Berlinern in „My Fair Lady“klingt das auch nicht nach Taxifahrer, sondern es ist ein Zeichen. Es steht für Soziolekt und Urbanität.
„My Fair Lady“ist ihre erste Arbeit in Ulm. Was für einen Eindruck haben sie von Theater und Stadt?
Wir hatten nur fünf Wochen Zeit zum Proben, deswegen habe ich nicht viel von der Stadt gesehen. Und auch keine von den anderen Produktionen. Aber hier sind alle sehr fit, die technischen Abteilungen, die Requisite, der Malsaal. Es gibt keine Löcher. Das Ensemble besteht aus Kämpfern, guten Leuten, die auch bereit sind, über ihren Schatten zu springen. Auch ein großartiger Typ wie Fabian Gröver ist bereit, eine kleine Rolle wie Harry zu übernehmen. Er spielt das mit Respekt und Kraft.
Sie zeichnen nicht nur für die Regie verantwortlich, sondern auch für das Bühnenbild. Macht diese Kombination den Job leichter oder ist es in erster Linie mehr Arbeit?
Beides! Viele Dinge werden viel leichter. Ich bin zwar für die Requisite weniger greifbar, weil ich in den Proben sitze. Es gibt keine Differenzen, keine Wartezeiten. Es geht vieles schneller. Aber ich habe auch sehr viel vorbereitet, das war der Hammer. Aber aus Liebe zum Werk habe ich das gerne auf mich genommen.
Sie wechseln zwischen Oper, Operette und Musical hin und her. Sie haben dieses Jahr unter anderem schon Alban Bergs „Lulu“inszeniert. Kommt einem da ein Stück wie „My Fair Lady“nicht läppisch vor?