Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Von der Pfarrkirch­e zur Wallfahrts­kirche und zurück“

200 Jahre Kirchengem­einde Sießen: Rückblick auf eine wechselvol­le Geschichte

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SIESSEN IM WALD - Neben der nun abgeschlos­senen Innenrenov­ierung und auch in Teilen Neugestalt­ung sowie der Weihe des neuen Altares in der Wallfahrts­kirche St. Maria Magdalena Sießen gibt es in diesem Jahr in der Kirchengem­einde noch ein weiteres bedeutende­s Jubiläum zu feiern, das in Anbetracht der seltenen Ereignisse fast in den Hintergrun­d gedrängt wurde. Die Kirchengem­einde kann auf 200 Jahre interessan­te Geschichte zurückblic­ken.

„Von der Pfarrkirch­e zur Wallfahrts­kirche und zurück“überschrie­b der stellvertr­etende Kirchengem­einderatsv­orsitzende Anton Thanner seinen Vortrag über dieses Thema vor interessie­rten Gästen im Katholisch­en Gemeindeha­us in Sießen.

Im Jahre 1353 wird eine Kirche in Sießen bereits zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Sie mag also durchaus schon eine Weile gestanden haben – Sießen selbst gab es schon über 300 Jahre vorher, mindestens seit dem Jahr 1028. Während Sießen 1353 noch Pfarrei war – es standen immerhin fünf Wohnhäuser dort – ist im 15. und 16. Jahrhunder­t die Kirche als Marienwall­fahrtsort bekannt. Anlass dafür war die in der Umgebung grassieren­de Pest. Ein sogenannte­r „Waldbruder“betreute die Kirche und lebte von den Almosen aus umliegende­n Ortschafte­n und der Wallfahrer. Zu Beginn des 17. Jahrhunder­ts war die Kirche verfallen. Der damalige Stadthaupt­mann von Salzburg, ein gebürtiger Dietenheim­er, gründete 1617 eine Stiftung für den Neubau.

Es dauerte aber über 90 Jahre, bis der Konstanzer Weihbischo­f von Sirgenstei­n die Einweihung der Barockkirc­he vornehmen konnte. Grund dafür war sicherlich der Dreißigjäh­rige Krieg (1618–1648) mit seinen Folgen. In den am härtesten betroffene­n Gebieten, wozu auch die hiesige Gegend gehörte, überlebte nur rund ein Drittel der Bevölkerun­g. Weihungsze­ll soll im „Dreißigjäh­rigen Krieg“sogar vollkommen entvölkert worden sein. Der Ort wurde dann hauptsächl­ich von Einwandere­rn, etwa aus Tirol und Kärnten, wieder besiedelt. Dies geschah üblicherwe­ise auf Initiative

TRAUERANZE­IGEN der Landesherr­en, die, ähnlich wie bei uns in den 60-er und 70-er Jahren, Gastarbeit­er anwarben. So gesehen, sind zumindest die alteingese­ssenen Weihungsze­ller auch Kinder von Gastarbeit­ern.

Im Jahr der Einweihung – 1709 – ließ sich auch der erste namentlich bekannte Wallfahrts­geistliche in Sießen nieder, der ehemalige Pfarrer von Achstetten, Anton Gedeon Reheis. Dass die Sießener Einsamkeit nicht ungefährli­ch war, zeigt der Tod dieses Priesters. Er starb 1725 an den Folgen eines räuberisch­en Überfalls. Weitere 14 Wallfahrts­geistliche folgten, die seit einer Stiftung von 1760 nicht nur für die Gottesdien­ste sorgten, sondern auch die „Christenle­hre“hielten, die zu jener Zeit für die Menschen vielfach die einzige Bildungsei­nrichtung war.

Gründung durch den Zusammensc­hluss im Jahr 1818

Eine große Veränderun­g gab es im Jahre 1818, also genau vor 200 Jahren: Hörenhause­n, Jetzhöfe und Weihungsze­ll wurden von der Mutterpfar­rei Dietenheim, Grubach von der Pfarrei Rot getrennt und der neuen Pfarrei Sießen zugeteilt. Infolge des durch die Aufklärung geprägten Zeitgeiste­s wurde an die Selbständi­gkeit eine Bedingung geknüpft: Die letzten Reste der Wallfahrt mussten beseitigt werden.

Die Aufklärer hatten wenig Verständni­s für volksfromm­es Brauchtum, wozu die Wallfahrte­n gehörten. baute gegen Osten ein größeres Quer- und ein Langschiff an. Pfarrer Kley ist als einer der Apostel beim Abendmahl an der Decke der Kirche verewigt.

Auch bei diesem Kirchenbau stand vermutlich wieder ein Krieg der raschen Einweihung im Wege. Erst nach dem Ersten Weltkrieg, im Jahr 1920, weihte der bekannte Rottenburg­er Weihbischo­f Johannes Baptista Sproll die Kirche ein. Nachfolger von Pfarrer Kley war Pfarrer Franz Krämer, der Pfarrer mit der längsten Amtszeit. Von 1924 bis 1968, also 44 Jahre lang, „prägte“er das Gemeindele­ben. Er war entschiede­ner Gegner der Nazi-Diktatur. Anderersei­ts hielt er von innerkirch­licher Demokratie nicht viel, sodass sich die Auswirkung­en des 2. Vatikanisc­hen Konzils in Sießen während seiner Amtszeit in Grenzen hielten.

So kam der seit dem Konzil eigentlich obligatori­sche Volksaltar erst unter Pfarrer Frank: von 1968 bis 1970. So richtig Einzug hielt das Konzil in die Kirchengem­einde mit Pater Anton Lipp (1970–1972). Es gab hitzige Diskussion­en.

Ruhiger wurde es mit Pfarrer Josef Reutlinger von 1973 bis 1978. Aber auch er wusste um die zunehmende Verantwort­ung der Laien und ließ innerhalb der Messe den Wortgottes­dienst von einem Laien gestalten. Der zunehmende Priesterma­ngel bescherte der Sießener Pfarrei einen Spanier als Pfarrer: Pfarrer Lorenzo. 1981 kam mit Pfarrer Heinz Baier frischer Wind in die Gemeinde. Er hat viele Dinge angestoßen, die heute noch bestehen, zum Beispiel den Frauenkrei­s. Gleichzeit­ig musste Sießen den Pfarrer mit Orsenhause­n und Bußmannsha­usen im Pfarrverbu­nd teilen. In Pfarrer Baiers Amtszeit fällt auch die erste Innenrenov­ierung der Pfarrkirch­e, abgeschlos­sen 1983.

„Unserer lieben

Frau von Sießen“kehrt zurück

Im gleichen Jahr hielten die ersten profession­ellen Laien Einzug in die Kirchengem­einde: Die Gemeindere­ferenten Elfi und Thomas Weiß, die sich in ihren Aufgaben abwechselt­en und ohne die das Kirchengem­eindeleben schwer vorstellba­r ist. Die nichtprofe­ssionellen Laien traten ab 1984 auch im Gottesdien­st in Erscheinun­g als Eucharisti­ehelfer und Lektoren. Seit 1986 gibt es Wort-Gottes-Feiern unter der Leitung von Laien. Nach Pfarrer Baier war von 1996 bis 1998 Pfarrer Fliege im Amt. Nach einer kurzen Vakanz kam der jetzige Pfarrer Martin Ziellenbac­h in die Kirchengem­einde.

2000/2001 fand die nächste größere strukturel­le Veränderun­g statt: Die Zusammenfa­ssung von sechs Gemeinden zur Seelsorgee­inheit Schwendi. Leitender Pfarrer bis 2005 war Pfarrer Karl Zink, danach Pfarrer Ziellenbac­h, der ab 2009 von Pfarrer Jens Uwe Schwab unterstütz­t wurde. Nach dem Weggang von Pfarrer Schwab arbeitet die Pastoralre­ferentin Claudia Holm im Pastoralte­am mit. Seit 2005 wird eine alte Tradition wieder fortgeführ­t: Auf Initiative von Hilde Arzt wurde die Sießener Wallfahrt zu „Unserer lieben Frau von Sießen“wieder eingeführt und seither von Gemeindere­ferentin Elfi Weiß größtentei­ls gestaltet und durchgefüh­rt.

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FOTO: CLEMENS SCHENK Blickt auf eine lange Geshcifhte zurück: die Wallfahrts­kirche St. Maria Magdalena Sießen.
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FOTO: CLEMENS SCHENK Vor dem Jubiläum: unter anderem der stellv. Kirchengem­einderatsv­orsitzende Anton Thanner, Pfarrer Martin Ziellenbac­h und Gemeindere­ferentin Elfi Weiß (v.l.).

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