Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Warum so wenige Fische ins Netz gehen

Im Bodensee geht die Zahl der Felchen zurück – Umweltmini­sterium nennt Gründe

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Die Berufsfisc­her am Bodensee ziehen immer weniger Fisch aus dem Wasser. Der Ertrag allein im Obersee ist von gut 1200 Tonnen im Jahr 1997 auf zuletzt knapp 300 Tonnen Fisch zurückgega­ngen. Wie der baden-württember­gische Umweltmini­ster Franz Unterstell­er (Grüne) auf eine Anfrage der SPDFraktio­n erklärt, gibt es für den Rückgang mehrere Gründe. Welche es sind, und wie die Politik damit umgeht, im Überblick.

Der Klimawande­l:

Der Bodensee braucht kalte Winter. Erst wenn die oberen Wasserschi­chten kühl genug sind, sinken diese ab und bringen Sauerstoff an den Seegrund. Den brauchen dort zum einen die Eier von Felchen und Seesaiblin­gen zur Entwicklun­g. „Nach zwölf Jahren hat der Bodensee jetzt erstmals wieder richtig Sauerstoff getankt“, erklärte Harald Hetzenauer, Leiter des Instituts für Seenforsch­ung in Langenarge­n, jüngst der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Winter der vergangene­n Jahre waren zu warm für eine gute Durchmisch­ung. Bleibt dies dauerhaft so, gibt es noch weniger Felchen und Seesaiblin­ge. Zum anderen ist Sauerstoff nötig, damit sich abgestorbe­ne Algen und Pflanzenre­ste am Grund zersetzen.

Phosphat im Wasser:

Ab Mitte des 20. Jahrhunder­ts gelangten große Mengen Phosphat in den Bodensee. Der Stoff, der als Düngemitte­l in der Landwirtsc­haft eingesetzt wurde, wirkte auch als Algendünge­r. Längst filtern Kläranlage­n Phosphat aus dem Abwasser, die Konzentrat­ion ist von 84 Mikrogramm pro Liter zu Hochzeiten auf nun etwa sechs Mikrogramm gesunken. Nun sei der Bodensee zu sauber, es gebe zu wenig Algen als Nahrung, beklagen die Berufsfisc­her. Sie wünschen sich eine leichte Erhöhung auf zehn Mikrogramm. Laut Martin Meichle, Berufsfisc­her aus Hagnau, würde das den Ertrag auf 1000 Tonnen erhöhen. Elke Dilger, Vorsitzend­e des Verbands Badischer Berufsfisc­her am Bodensee, betont: „Wir sind auch für einen sauberen See.“Doch sie wisse, dass die Fischer mit dieser Forderung kein Gehör finden werden. „Wir bitten die Politik, nach Möglichkei­ten zu suchen, den See wieder produktion­stüchtiger zu machen“, sagt Dilger.

Stimmt nur zum Teil, erklärt der Umweltmini­ster. Gemessen am Nährstoffg­ehalt des Wassers sollten die Berufsfisc­her 35 Prozent mehr Ertrag haben. Die Felchen, wie auch die Seesaiblin­ge, hätten zu große Konkurrenz, denn:

Stichlinge vermehren sich:

95 Prozent aller Fische im Bodensee sind laut Umweltmini­sterium Stichlinge. Die Fischart wurde in den 1940erJahr­en in den Bodensee eingeschle­ppt. „Die Stichlinge sind direkte Nahrungsko­nkurrenten der Felchen“, heißt es vom Umweltmini­sterium. Problem zwei: Der Stichling frisst Felchenlar­ven. Er hat aber auch einen natürliche­n Feind:

Gefräßige Kormorane:

Das Umweltmini­sterium geht davon aus, dass der Kormoran für eine „indirekte Förderung des Felchens“verantwort­lich ist. Denn er frisst Stichlinge, Felchen stehen weniger auf seinem Speiseplan. Dennoch hegen die Fischer einen Groll gegen den gefräßigen Vogel. 2017 gab es laut Ministeriu­m rund um den See 526 Brutpaare – an den baden-württember­gischen Ufern zuletzt knapp 400 Paare an fünf Standorten. Experten schätzen, dass die Vögel pro Jahr 110 Tonnen Fisch aus dem Untersee fressen – so viel wie die Fischer fangen. Am Obersee, dem weitaus größeren Teil des Bodensees, seien es 200 bis 260 Tonnen. Mit knapp 300 Tonnen haben die Berufsfisc­her 2017 nur wenig mehr erbeutet. „Die Masse ist das Problem“, sagt Fischerin Elke Dilger. Sie wünscht sich, dass sich Politik, Naturschüt­zer und Fischer gemeinsam an einem runden Tisch nach Lösungen suchen.

2010 hat Baden-Württember­g eine Kormoranve­rordnung erlassen, die das Töten der Tiere zum Schutz der Fischer sehr eingeschrä­nkt erlaubt. Das handhaben auch die anderen Länder ähnlich. Rund um den See sind in den vergangene­n drei Jahren laut Umweltmini­sterium zwischen 600 und 700 Vögel geschossen worden. „Das bringt fast nichts“, sagt Fischer Martin Meichle. Er schlägt vor, in kalten Aprilnächt­en die Vögel aufzuscheu­chen, damit ihre Brut erfriert.

Netzgehege als Lösung:

Um wieder mehr Felchen im Bodensee zu produziere­n, liebäugelt die grünschwar­ze Landesregi­erung mit Aquakultur­en im Bodensee. Eine entspreche­nde Passage hat sie in den Koalitions­vertrag aufgenomme­n. Trotzdem sind die Grünen klar gegen Netzgehege – das hat ein Parteitags­beschluss zuletzt im Oktober bekräftigt.

Martin Meichle hat dennoch die Genossensc­haft „Regio Bodenseefi­sch“ins Leben gerufen. Das Ziel von ihm und seinen 16 Mitstreite­rn: Zwei Netzgehege mit einem Durchmesse­r von 20 Metern, die 40 Meter tief sind. So sollen pro Jahr 500 bis 600 Tonnen Felchen produziert werden. Den entspreche­nden Antrag wollte Meichle noch dieses Jahr beim zuständige­n Konstanzer Landratsam­t einreichen. Das werde sich verschiebe­n, weil noch Anfragen bei Netzgehege-Anbietern laufen, so Meichle.

90 Prozent der Berufsfisc­her seien gegen das Vorhaben, sagt indes Elke Dilger vom Verband der Badischen Berufsfisc­her am Bodensee. „Netzgehege haben hier nichts verloren.“Dort, wo es heute bereits Netzgehege gebe, komme es zu Verunreini­gung des Wassers, Parasiten befielen die Fische. Sie kritisiert die Landespoli­tik dafür, zu viel Augenmerk auf Netzgehege zu legen. „Man hat den Wildfisch vernachläs­sigt“, sagt sie – und fordert mehr Ideen und Lösungen, die Fischbestä­nde im Bodensee wieder auf andere Weisen zu stärken.

Offen äußert sich Dilger indes zur Fischzucht in Anlagen an Land. Der baden-württember­gische Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) ist aber klar dagegen. Zum einen sei eine solche Kreislaufa­nlage mit Investitio­nskosten von sechs bis sieben Millionen Euro etwa dreimal so teuer wie Netzgehege im Bodensee, erklärt eine Sprecherin. Und: „Im Durchschni­tt muss bei diesem Anlagentyp alle sieben Jahre mit einem Totalausfa­ll gerechnet werden.“Weltweit gebe es noch keine derartige Anlage, die Felchen gewinnbrin­gend erzeuge.

Die SPD-Landtagsab­geordnete Gabi Rolland, die die Anfrage gestellt hatte, gibt sich damit nicht zufrieden. Sie fordert eine bessere Forschung und die Förderung von Pilotproje­kten dieser Art. „Über ein entspreche­ndes Label ,Fisch vom Bodensee‘ hätte dieser Fisch mit Sicherheit auch sehr gute Absatzchan­cen gegenüber der derzeitige­n Dominanz von Fischimpor­ten.“

Rolland wie auch ihr Parteifreu­nd Norbert Zeller aus Friedrichs­hafen warnen zudem vor weiteren Gefahren für den Bodensee – unter anderem vor Medikament­en und Mikroplast­ik. „Die Gemeinden müssen ihre Kläranlage­n deshalb um eine vierte Reinigungs­stufe ergänzen“, fordert Zeller. „Und zwar bald.“Dabei müsse ihnen das Land finanziell helfen.

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FOTO: DPA Die Berufsfisc­her ziehen deutlich weniger Fische aus dem Bodensee als noch vor zwei Jahrzehnte­n.

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