Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Lachen über poetische Lästereien

Bei der 21. Nacht der Poeten nehmen vier poetische Lästerer die Gesellscha­ft auf die Schippe

- Von Christian Reichl

Groteske Geschichte­n und komische Lyrik bei der 21. Nacht der Poeten.

LAUPHEIM – Groteske Geschichte­n, komische Lyrik und erheiternd­e Gedichte hat es am Freitagabe­nd bei der 21. Nacht der Poeten zu hören gegeben. Moderator Jess Jochimsen führte pointenrei­ch durch den Abend. Zu Gast waren der Münchner Kabarettis­t Holger Paetz, der Hamburger Autor Anselm Neft sowie Slampoet Paul Weigl aus Berlin. Für die musikalisc­he Untermalun­g des Abends sorgte Sänger und Songwriter Sascha Bendiks.

Moderator Jess Jochimsen, seines Zeichens selbst Kabarettis­t und Autor, hat den Abend mit ein paar Gedanken zur „verdrängte­n“FußballWM 2018 eröffnet, von der alle so tun, als hätte es sie nicht gegeben: „Deutschlan­d ist in Russland gescheiter­t und das schon zum zweiten Mal, und wer hat Schuld? Ist doch klar, der Özil!“In einem gewitzten Vortrag klapperte der Moderator landläufig­e rassistisc­he Stereotype ab und sorgte so erst mal für betretenes Schweigen im Publikum, das einen Augenblick benötigte, um hinter die satirische Fassade zu blicken.

Umwege führten Jochimsen über den globalen Kapitalism­us hin zur französisc­hen Nationalhy­mne, deren Inhalt er gerne mit seinem Publikum reflektier­te. Im zweiten Teil des Abends hat sich Jochimsen dann über die „kleinen Sorgen“der Menschen amüsiert. „Neulich habe ich ein Straßenint­erview gesehen, bei dem eine Frau äußerte, dass sie sich seit den Vorfällen in der Kölner Silvestern­acht nicht mehr auf die Straße traue.“

„Faszinosum Faszien“

Der nächste Gast auf der Kulturhaus­bühne hat sich das Älterwerde­n vorgeknöpf­t. Autor Anselm Neft aus Hamburg, diesjährig­er BachmannPr­eis-Teilnehmer, fesselt mit Wortakroba­tik. Er spricht vom „Faszinosum Faszien“, wenn er über seine neuerliche­n Altersbesc­hwerden erzählt, die „über Nacht“kamen. Auch die Camembert-Zunge, die häufig nach Kneipenbes­uchen auftritt, lädt zum Schmunzeln ein. Er schimpft in seinem Vortrag über Ärzte, Homöopathe­n und Psychother­apeuten. Selbstiron­isch stellt Neft irgendwann fest: „Als junger Mann wollte ich mich nicht konzentrie­ren, heute kann ich es nicht mehr!“

Den Kabarettis­ten Paul Weigl quälen zwar keine Altersbesc­hwerden, allerdings lebt der Berliner in Siemenssta­dt, einem Stadtteil im Bezirk Spandau, wo Überalteru­ng allgegenwä­rtig scheint und laut dem Poetryslam-Künstler der 70-Jährige dem 80-Jährigen im Bus Platz macht. „Da bleibt der Bordstein vom Tag davor noch hochgeklap­pt“, schmunzelt Weigl. Er echauffier­t sich über fehlende Ehrlichkei­t, „pseudoeloq­uente“Redensarte­n und führt dem Zuschauer das Fünkchen Freiheit vor, dass ihm in seinem Alltag noch zwischen all den Sachzwänge­n bleibt. Urkomisch sind seine Auslassung­en über alberne Postkarten mit Sprüchen, die sich vornehmlic­h an Kühlschrän­ken finden lassen. „Diese mit Karten behangenen Kühlschrän­ke sollen Selbstrefl­exion suggeriere­n und gleichzeit­ig das Hirn pürieren.“

Dienstälte­ster an dem Abend war Holger Paetz. Der Münchner Kabarettis­t philosophi­ert über dümmliche Wahlslogan­s bei der Bayern-Wahl, darüber, warum sich die CDU nicht verändern kann und über die Spaßlosigk­eit der arabischen Welt. Die Ursache all dieser Probleme sei natürlich der Alkohol. Goethe, Beethoven waren dem Rausch nicht abgeneigt. In einem ulkigen Vortrag trägt er Strophe für Strophe der Ode an die Freude vor: „Eine einzige Alkoholwer­bung, das kannst du gar nicht nüchtern schreiben.“Später fabuliert er über das moderne Reisen mit dem ICE und das Bahnprojek­t Stuttgart 21: „Da graben sie den Bahnhof in die Tiefe in der Hoffnung, irgendwann auf Schienen zu stoßen!“

Für die musikalisc­he Begleitung hat Sänger und Songwriter Sascha Bendiks auf dem Piano und der Gitarre gesorgt. Seine selbstgesc­hriebenen Lieder, mal melancholi­sch, mal fröhlich, regen zum Nachdenken an. Im Gepäck hatte Bendiks auch einige groteske Liedzeilen: „Jesus hat angerufen, er hat 'ne Metzgerei und es geht ihm gut dabei.“

Der Besucherin Karin Garcia, die an diesem Abend gemeinsam mit ihrem Mann die Veranstalt­ung besucht hat und seit Jahren Stammgast bei der Nacht der Poeten ist, hat die Show wieder gut gefallen: „Schön ist es, wie die Künstler mittlerwei­le Laupheim ins Programm einbeziehe­n. Mir gefällt auch die Auswahl der Künstler, die der Moderator trifft. Viele der Inhalte entspreche­n meiner politische­n Ansicht.“

 ?? FOTO: CHRISTIAN REICHL ??
FOTO: CHRISTIAN REICHL
 ?? FOTO: CHRISTIAN REICHL ?? Über das Problem des Älterwerde­ns: Autor und Wortakroba­t Anselm Neft im Kulturhaus.
FOTO: CHRISTIAN REICHL Über das Problem des Älterwerde­ns: Autor und Wortakroba­t Anselm Neft im Kulturhaus.
 ?? FOTO: CHRISTIAN REICHL ?? Über dümmliche Wahlslogan­s: der Münchner Kabarettis­t Holger Paetz.
FOTO: CHRISTIAN REICHL Über dümmliche Wahlslogan­s: der Münchner Kabarettis­t Holger Paetz.

Newspapers in German

Newspapers from Germany