Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Der 9. November: musikalische Reflektion eines zwiespältigen Datums
Der Liedermacher und Lehrer Frieder Gutscher bei einem Konzert in Oberholzheim
OBERHOLZHEIM - Sehr guten Zuspruch hat das Konzert mit Frieder Gutscher, Liedermacher und Lehrer, am Freitagabend im Evangelischen Gemeindehaus in Oberholzheim gefunden.
Bereits zum dritten Mal dürfe sie Frieder Gutscher in Oberholzheim begrüßen, sagte Pfarrerin Doris Seitz-Kernen. Den Termin 9. November hätten sie gewählt, um etwa dem Brand der Synagogen vor 80 Jahren zu gedenken, aber auch so positive Ereignisse, wie den Fall der Mauer am 9. November 1989 zu würdigen. Die Gedanken daran sollen an diesem Abend einen gewissen Raum einnehmen, aber im Mittelpunkt solle die Musik von Frieder Gutscher stehen.
Der 9. November 1989 sei ein Tag des Friedens gewesen, erklärte Frieder Gutscher. Musikalisch interpretierte er dies mit dem Lied „ Haus des Friedens, dort wächst ein weiter Raum. Wo Menschen Heimat finden, da wächst ein Lebensbaum.“Gutscher begleitete sich selber auf der Gitarre. Neben seinen Liedern hatte er auch einige Geschichten mitgebracht, die er vorlas. Besinnliche, zum Nachdenken anregende, aber auch heitere, welche die Gäste zum Lachen brachten.
„ Dass du da bist, tut so gut und ich weiß, dass ist genug, dass ich da bin jetzt und hier, ist mein Glück, ich danke dir“, war ein weiteres Lied des Liedermachers. Er erzählte, dass sein Vater in einer jüdischen Fabrik seine Ausbildung gemacht habe. Die Juden hätten nicht verstehen können, was 1938 passiert ist. „ Bloß weil wir Juden sind?“, hätten sie sich gefragt.
Auf der Geige präsentierte er einige jüdische Stücke. In dieser Musik vereine sich Freude, aber auch Wehmut und Schmerz.
Seine Lieder behandelten verschiedene Gefühle der Menschen. Freude, Liebe, aber auch den Schmerz, sich nicht vollkommen zu fühlen oder die Scham. Die Scham sei ein Gefühl, das man nicht so einfach abstreifen könne, so Gutscher. „Lege ab das Hemd der Scham und lege an das Kleid der Würde. Der dich erschaffen hat, lädt dich ein, du darfst sein“, ermutigte er im Lied.
Einige Gedanken zum 9. November und die Verfolgung der Juden in Deutschland hatten Pfarrerin SeitzKernen und Renate Wiese, die das Konzert organisiert hatte, zusammengestellt. Von 1935 bis 1944 seien rund 430 Gesetze und Verordnungen erlassen worden, die auf die Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung gezielt hätten und sie verunsicherten. Sie hätten sich eigentlich als Deutsche verstanden und galten nun als Fremde. Pässe wurden beschlagnahmt, um weitere Auswanderungen zu verhindern. „Die Juden waren Gefangene im eigenen Land, ohne Schutz vor Willkür und Übergriffen.“In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden Synagogen angezündet, Wohnungen zerstört und Geschäfte geplündert. Tausende von Juden wurden deportiert. Wegen der zahlreichen Glasscherben, die es in dieser Nacht gegeben hat, sei diese später verharmlosend „Reichskristallnacht“genannt worden.
Viele Deutsche hätten damals weggeschaut und geschwiegen, sagte Renate Wiese. Sie stellte die Frage: „Wäre es heute anders, hätten wir in vergleichbarer Situation den Mut, „Nein“zu sagen?“Um den Gästen Raum zu geben, dieser Frage nachzusinnen, spielte Frieder Gutscher auf der Querflöte, „Oh, Haupt voll Blut und Wunden.“
„Wenn ein Volk anfange, über seinen Schatten zu stehen, dann kann Verwandlung geschehen“, so Gutscher. Man solle den Mut haben, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und zu wissen, „ Gott sieht mich“.
Mit einzustimmen, war bei allen Liedern ausdrücklich erwünscht und die Gäste im Gemeindehaus kamen der Aufforderung gerne nach. Mit gemeinsam gesungenen Kanons endete ein zu Herzen gehender Abend, und die Gäste nutzen die Gelegenheit, anschließend noch miteinander ins Gespräch zu kommen.