Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Mehr Frauen werden Opfer häuslicher Gewalt
Familienministerin Giffey nennt Zahlen „schockierend“und verspricht mehr Hilfe
BERLIN - Für viele Frauen ist das eigene Zuhause ein gefährlicher Ort: 138 893 Menschen sind in Deutschland im vergangenen Jahr Opfer von Gewalt durch ihren Partner oder ExPartner geworden. Von diesen sind 147 Frauen getötet worden, wie Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) am Dienstag bei der Vorstellung der „Kriminalstatistischen Auswertung zu Partnerschaftsgewalt 2017“in Berlin erklärte. Damit sei häufiger als jeden dritten Tag eine Frau in Deutschland von ihrem Partner getötet worden. Im Vergleich zum Jahr 2016, als 109 000 Frauen Opfer häuslicher Gewalt wurden, ist die Zahl stark gestiegen.
Giffey nannte die Entwicklung „schockierend“. Die Zahlen zeigten, dass sehr viele Frauen in Angst leben müssen. Nach ihrer Einschätzung ist zudem die Dunkelziffer enorm hoch. „Das Hellfeld ist deutlich kleiner als das Dunkelfeld“, sagte sie. „Nur 20 Prozent der Betroffenen suchen direkt Hilfe, gehen bis hin zur Anzeige.“Die Steigerung im vergangenen Jahr erkläre sich vor allem dadurch, dass neue Kategorien in die Statistik aufgenommen worden seien, etwa Zuhälterei, Zwangsprostitution und Freiheitsberaubung.
Experten sehen jedoch auch die hohe Zahl von Zuwanderern aus anderen Kulturkreisen in den vergangenen Jahren als Grund. Der Kriminologe Christian Pfeiffer, ehemals Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, verwies am Dienstag im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“auf Untersuchungen, nach denen die Partnerschaftsgewalt zwischen 1992 und 2011 um circa zwei Fünftel abgenommen habe. „Wenn es jetzt einen Anstieg der Gewalt gegen Frauen in der Beziehung gibt, spricht viel für die These, dass hier die starke Zuwanderung aus Kulturen männlicher Dominanz eine gewichtige Rolle spielt“, erklärte Pfeiffer. Immerhin seien „gut ein Drittel der Tatverdächtigen bei Polizeieinsätzen nach dem Gewaltschutzgesetz Ausländer“.
Giffey betonte derweil, dass häusliche Gewalt durch alle ethnischen Gruppen und soziale Schichten gehe. „Es gibt vielfältige Gründe für Gewaltvorfälle: Häufig sind es Beziehungsprobleme oder auch finanzielle oder psychische Probleme. Sehr häufig ist auch das Thema Alkohol im Spiel“, erklärte Giffey.
Die Ministerin kündigte den Ausbau von Hilfseinrichtungen an. Derzeit könnten die 350 Frauenhäuser und die 600 Beratungsstellen jährlich rund 300 000 Frauen samt Kindern versorgen. Dies reiche nicht aus. „Was wir sehen und auch rückgemeldet bekommen aus den Ländern, ist dass der Bedarf größer ist, als das, was an Plätzen zur Verfügung steht“, erklärte sie.
BERLIN - Eine junge Frau liegt tot auf dem Fahrersitz ihres Mercedes. Ein Spaziergänger findet den leblosen Körper, ruft die Polizei, die einen grausamen Verdacht hegt: Der Ehemann habe einen Unfall vorgetäuscht – und seine Frau erwürgt. Der 35-Jährige schweigt, über Monate steht er vor Gericht, im Juli dieses Jahres wird er schließlich wegen Mordes verurteilt. Der Fall aus Hoßkirch im Landkreis Ravensburg macht Schlagzeilen, er wühlt die Menschen auf, wie so viele ähnliche Beziehungstaten auch.
Jeden Tag versucht in Deutschland ein Mann, seine Partnerin zu töten. Jedes dritte Mal gelingt es. 147 tote Frauen macht das im Jahr 2017. Sie wurden erstochen, erwürgt oder erschossen – ausgerechnet von denen, die ihnen am nächsten stehen oder früher einmal standen. „Wenn man das runterbricht wird montags, donnerstags und sonntags eine Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner ermordet“, rechnet Bundesfrauenministerin Franziska Giffey vor. „Das ist eine unvorstellbare Größenordnung für ein modernes Land wie Deutschland.“Die Zahlen der „Kriminalstatistischen Auswertung zu Partnerschaftsgewalt 2017“, die sie am Dienstag in Berlin vorträgt, nennt sie „schockierend“. Sie zeigen: Für viele Frauen ist das eigene Zuhause ein gefährlicher Ort.
Nötigung und Freiheitsberaubung
Die Statistik erfasst nicht nur Mord und Totschlag, sondern auch Körperverletzungen, Vergewaltigung, sexuelle Nötigung sowie psychische Gewalt wie Bedrohung und Stalking. Erstmals in die Statistik aufgenommen wurden Nötigung, Freiheitsberaubung, Zuhälterei und Zwangsprostitution. Fasst man alle Fälle zusammen, erfuhren in Deutschland im vergangenen Jahr insgesamt 13 8893 Menschen Gewalt in ihren Beziehungen, im Jahr zuvor waren es 13 3080. Die Dunkelziffer, so schätzen Experten, liegt viermal so hoch.
Es gibt sie überall in Deutschland, Männer, die ihre Frauen krankenhausreif schlagen, wieder und wieder. Die ihrer Ex-Frau auflauern, sie bedrohen, sie einsperren oder töten. Die Täter sind zu zwei Dritteln deutsche Staatsbürger. Einen Migrationshintergrund erfasst die Studie nicht.
Besonders gewalttätig seien Personen im Alter von 30 bis 39 Jahren und solche aus schwierigen sozialen Verhältnissen, sagt Giffey. Die Gefahr steige immer dann, wenn Alkohol, Geldsorgen oder psychische Probleme im Spiel seien. Ministerin Giffey betont aber auch: „Gewalt am Partner gibt es in allen ethnischen Gruppen und in allen sozialen Schichten.“
In 82 Prozent aller Fälle sind die Opfer Frauen. Fast die Hälfte davon lebt sogar in einem Haushalt mit dem Tatverdächtigen. Hilfe suchen nur die wenigsten von ihnen. „Und wenn, dann oft erst viel zu spät“, sagt Petra Söchting, die Leiterin des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“. Rund 37 000 Frauen und rund 300 Männer nahmen im vergangenen Jahr eine Beratung durch das Hilfetelefon in Anspruch. Ähnlich vielen Menschen sei in den 350 Frauenhäusern mit 6000 Plätzen und den 600 Beratungsstellen geholfen worden, sagt Giffey.
Doch der Ministerin reicht das nicht aus. Sie will die Unterstützung für Frauen ausbauen. Ihr langfristiges Ziel sei es, einen Rechtsanspruch auf Schutz gegen Gewalt zu schaffen, erklärt sie. „Das heißt zum Beispiel: Jede Frau, die einen Platz im Frauenhaus braucht, soll diesen auch bekommen. Ähnlich wie beim Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz.“Ein Aktionsbündnis und ein Runder Tisch von Bund, Ländern und Kommunen soll dabei helfen. Außerdem soll ein Förderprogramm in Höhe von sechs Millionen Euro aufgelegt werden. Dieser Betrag werde in den Folgejahren weiter erhöht. Im Jahr 2020 sollen dann 35 Millionen Euro in ein Aktionsprogramm gegen Gewalt an Frauen fließen, das Länder wie Kommunen beim Ausbau von Hilfsstrukturen unterstützt. Einen konkreteren Zeitplan nennt Giffey derweil nicht. „Wir werden sicher nächstes Jahr noch keine Gesetze verabschieden“, sagt sie. Das koste nun mal Geld und Überzeugungsarbeit. „In der Sache sind noch dicke Bretter zu bohren.“
Das Hilfetelefon „Gewalt gegen
Frauen“ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erleben oder erlebt haben. Es ist rund um die Uhr erreichbar unter 08000 116 016. Das Angebot ist kostenlos und anonym. Beratung ist in 17 Sprachen möglich.