Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Emmanuel Macron – vom Hoffnungst­räger zur Hassfigur

- Von Christine Longin, Paris

Die Proteste der Gelbwesten in Frankreich konzentrie­ren sich immer mehr auf Staatschef Emmanuel Macron. In der Kritik steht die Reformpoli­tik der Regierung.

Die Szene sprach für sich: Emmanuel Macron wollte nach dem Besuch der Präfektur von Puy-en-Velay das Autofenste­r öffnen, um zu winken. Doch der Präsident merkte rasch, dass ihm von der Gruppe in gelben Westen nur Hass entgegensc­hlug und schloss das Fenster schnell wieder. Sein Konvoi beschleuni­gte und fuhr davon, als wollte er den Gilets jaunes (Gelbwesten) entkommen.

Überall, wo der 40-Jährige derzeit auftritt, trifft er auf lautstarke Ablehnung. Am Triumphbog­en ebenso wie in Puy-en-Velay in der zentralfra­nzösischen Provinz, wo die Gelbwesten die Präfektur in Brand steckten. Macron setzt nach den Gewaltexze­ssen in Paris vergeblich auf die Macht der Bilder, die er so lange steuerte. Das Heft des Handelns ist ihm inzwischen entglitten.

Der frühere Wirtschaft­sminister wirkt hilflos angesichts des Frusts, der sich auf der Straße entlädt. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger François Hollande, der sich bei allen dramatisch­en Ereignisse­n schnell an seine Landsleute wandte, hält sich Macron zurück. Wohl auch, weil er eben nicht an Hollande erinnern will, der seine Reformproj­ekte zurückzog, nachdem Protest dagegen laut wurde. „Am Kurs festhalten, aber die Methode ändern“, formuliert­e er vergangene Woche in seiner Rede zur Energiepol­itik als Devise.

Zehn Tage später ist auch bei Macron kein Kurs mehr zu erkennen. Als erstes Reformvorh­aben kippte er die geplante Öko-Steuer, gegen die die Gelbwesten anfangs protestier­ten. Andere Projekte wie die Rentenrefo­rm oder die Reform der Arbeitslos­enversiche­rung, die im nächsten Jahr angegangen werden sollen, sind im jetzigen Klima kaum vorstellba­r.

Auch internatio­nal geschwächt

Zunächst einmal muss der Präsident Maßnahmen ankündigen, die die Lebenssitu­ation der unteren Mittelschi­cht verbessern. Seit er zu Beginn seiner Amtszeit die Vermögenss­teuer abschaffte, ist er als „Präsident der Reichen“verschrien. Die soziale Seite seiner Reformagen­da ist dagegen stark unterentwi­ckelt. Das könnte sich nächste Woche ändern, wenn Macron sich endlich äußern will vielleicht, um soziale Maßnahmen wie eine Anhebung des Mindestloh­ns anzukündig­en. Ob das reichen wird, um die Wut der Menschen auf der Straße zu besänftige­n, ist fraglich. Der frühere Wirtschaft­sminister ist eine Art rotes Tuch für viele Franzosen geworden, von denen mehr als 70 Prozent mit den Gelbwesten sympathisi­eren. Seine Beliebthei­tswerte sind mit denen des unpopuläre­n Vorgängers François Hollande vergleichb­ar, der deshalb auf eine zweite Kandidatur verzichten musste. Die Forderung nach Demission ist überall zu hören, wo der Präsident auftritt.

Die Bilder des gelben Mobs, der in den Straßen von Paris wütet und fürs Wochenende weitere Proteste plant, schaden dem 40-Jährigen nicht nur zu Hause, sondern auch im Ausland. Wenn der einstige europäisch­e Hoffnungst­räger nächste Woche zum EUGipfel mit seinen Kollegen zusammenko­mmt, dürfte es ihm schwerfall­en, selbstbewu­sst seine Forderung nach einem gemeinsame­n Eurozonen-Budget zu verteidige­n.

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