Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Das Album nach dem Rausch
AnnenMayKantereit haben sich von den Erwartungen verschiedener Lager nicht unter Druck setzen lassen
Ist das Musik für Spießer?
Dann allerdings passiert etwas Interessantes – die ein oder andere harte Kritik erscheint. Die Band sei kreuzbrav, mache Musik für Spießer und wolle partout nicht wehtun, so die Vorwürfe. AnnenMayKantereit sind nun quasi ein singender Bausparvertrag. „Auf einmal wurde uns von allen Seiten so eine Art Agenda vorgelegt: Ihr macht jetzt Musik für junge Leute, ihr seid das Sprachrohr einer Generation“, erinnert sich Malte Huck. „Auf einmal kam so eine Erwartung mit rein, die wir so gar nicht kannten“, sagt er. „Auf einmal war das Album auch nicht politisch genug. Als ob wir vorher ein krasses Aushängeschild für politische Musik gewesen wären.“
Sänger Henning May macht es heute noch ziemlich fuchsig, wenn man ihn auf bestimmte Kritiker-Zeilen von damals anspricht. „Wir sind junge Männer, die eher über Gefühle singen als darüber, dass wir Leuten das Steißbein brechen“, sagt er dann. „Wo ist da das Problem?“ Christopher Annen, Severin Kantereit, Malte Huck und Henning May (von links) haben ihr zweites Album vorgelegt, das sich hauptsächlich mit Nähe, Intimität, Gefühlen und Schmusen beschäftigt.
Die Kunst bestand nun darin, sich von all dem nicht kirre machen zu lassen. AnnenMayKantereit ist das anscheinend gelungen. „Schlagschatten“ist eher Evolution als Revolution. Die Songs klingen reifer und sind klarkantiger produziert. AnnenMayKantereit klingen jetzt etwas mehr nach Studio und etwas weniger nach Fußgängerzone.
Auch das Songwriting hat sich entwickelt. Hängen bleibt man bei „Weiße Wand“, das tatsächlich ins Politische driftet und die vergangenen Jahre verarbeitet. „Flüchtlingskrise
fühlt sich an wie Reichstagsbrand, auch wenn ich das nicht vergleichen kann“, singt Henning May darin. „Als wir unser erstes Album gemacht haben, waren wir superjung und hatten überhaupt keine Lebenserfahrung“, sagt er dazu. Nun sei das anders. „Und was wir gesehen haben ist, dass sich unser Land radikalisiert hat, in alle möglichen Richtungen.“Bevor man sich nun sorgt: Natürlich geht es auch wieder um Liebe und um Befindlichkeiten mit unter 30. May verleugnet das nicht. „Der größte Teil des Albums beschäftigt sich
mit Nähe, Intimität, Gefühlen, Schmusen“, sagt er. Für ihn ist das sogar eine Befriedigung. „Weil ich mich nach dem ersten Album schon gefragt habe, ob ich jemals wieder ein Liebeslied schreiben will.“