Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Ende einer Räuberlegende
In Feldkirch ist am Dienstag der sogenannte Postkartenräuber in einem kurzen Prozess zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden
FELDKIRCH - Eben noch hat Peter K. Energie gehabt. Mit dynamischen Schritten ist der 55-jährige, stämmige Angeklagte zwischen zwei Justizwachtmeistern in den Schwurgerichtssaal des Feldkircher Landesgerichts marschiert – so als wolle er mal kurz sein Urteil abholen. Er gilt hier in Vorarlberg fast schon als Verbrecherlegende, ein Serienbankräuber, bekannt als „Postkartenräuber“, weil er die Polizei durch zugeschickte Postkarten verhöhnt hat. Dann aber ist an diesem Dienstag alles anders: keine Dynamik mehr, nur noch Strafe. „Im Namen der Republik“verkündet die Vorsitzende Richterin Sabrina Tagwercher kurz und bündig den vor ihr stehenden Angeklagten: schuldig in allen Punkten der Anklage, zwölf Jahre Gefängnis.
Die Verteidigung hat acht bis zehn Jahre erwartet. Peter K. erstarrt, sinkt ein Stück weit zusammen. Seine Gesichtszüge drücken Verzweiflung aus. Nichts bleibt mehr von der Postkartenräuber-Legende oder dem Ruf, eine Art Robin Hood und Polizei-Austrickser zu sein. In dieser Form war er über Jahre hinweg in Vorarlberger Internetforen von ansonsten braven Bürgern klammheimlich bewundert worden. Jetzt steht nur noch ein verurteilter Bankräuber im Saal, vom Gericht zum wenig intelligenten, gewöhnlichen Kriminellen reduziert. Bestraft für 14 Überfälle, drei davon auf Bankfilialen im Westallgäu – was seine Geschichte sogar internationalisiert.
Berühmte Postkarten
Dass der unscheinbar wirkende einstige Handwerker überhaupt in den Ruch gekommen ist, ein besonderer Gangster zu sein, hat unterschiedliche Gründe. Zum einen geht es um seine berühmten Postkarten. Zwei davon schickt er ab. Eine Nachricht gilt 2009 einer Sparkassenfiliale in einem Teilort der Vorarlberger Landeshauptstadt Bregenz, dem Schauplatz seines vierten Überfalls. „Das wars noch nicht alles. Komme wieder“, steht da geschrieben. Auf einer zweiten Karte an die Polizei ist ein grinsender Schimpanse und der Hinweis „keep smiling“zu sehen.
Die Postkarten alleine waren es aber nicht. Es ist eher so, dass sich zu dieser Unverfrorenheit die außergewöhnlich langandauernde Überfallserie gesellte. 2008 schlägt der Mann erstmals zu. Tatort ist eine Sparkassenfiliale in Feldkirch-Altenstadt. Es ist der Auftakt von elf Überfällen auf Bankinstitute und Postniederlassungen in Vorarlberg. Peter K. entkommt nicht nur jedes Mal, er bleibt auch völlig unerkannt, ein Phantom. Die Fahnder haben zwar seine Erbgutspuren, die DNA. Sie besitzen Aufnahmen aus Überwachungskameras, seine Schrift, Sprachaufnahmen – und stehen dennoch vor einem Rätsel. „Uns fehlt ein Gesicht“, sagt damals Vorarlbergs Landespolizeidirektor Hans-Peter Ludescher.
Weil aber die Vorarlberger Banken ihre Sicherheitsvorkehrungen verbessern und der Fahndungsdruck zunimmt, verlegt Peter K. im Sommer 2016 sein Tätigkeitsfeld ins Westallgäu. Gleich zweimal sucht er sich Bankfilialen in Opfenbach heraus. DNA-Spuren an den Tatorten und weitere Analysen weisen den Weg zum Postkartenräuber. Nun dürfen die bayerischen Fahnder miträtseln. Womöglich wäre dies noch immer so, hätte in der Westallgäuer Marktgemeinde Heimenkirch nicht ein Bodybuilder am 5. September 2017 die örtliche Niederlassung der Raiffeisenbank besucht. Just zu diesem Zeitpunkt will Peter K. dort abkassieren. Der Bodybuilder packt ihn von hinten, überwältigt den Räuber.
Mehr als 190 000 Euro erbeutet
Gut 190 000 Euro hat der Postkartenräuber während seiner Karriere erbeutet. Die ist nun beendet. Rasch wird den kooperierenden bayerischen und Vorarlberger Beamten wegen der früheren DNA-Spuren klar, um wen es sich handelt. Wobei es eine Überraschung gibt. Sie betrifft die Heimat des Täters. Ein von der Vorarlberger Kripo beauftragter Profiler hatte dessen Lebensmittelpunkt im Vorarlberger Rheintal verortet. Tatsächlich ist Peter K. aber Tiroler und lebt bis zu seiner Verhaftung in Flirsch östlich des Arlbergpasses. Davon abgesehen stellen sich die Täteranalysen als recht zutreffend heraus: unauffällig, ledig, ein unbeschriebenes Blatt, immer wieder arbeitslos. Und anders als Teile der Öffentlichkeit hat die Polizei nie einen kriminellen Profi am Werk gesehen – sondern nur jemanden, der „sehr lange viel Glück gehabt hat“.
Als schlagendes Beispiel für Peter K.s Dusel gilt ein Überfall bei Bregenz vor neun Jahren. Er hat fast schon Slapstickcharakter wie in einem Dick-und-Doof-Film. Peter K. stürzt seinerzeit mit einer Tragetasche voll geraubtem Geld aus der Bank. Zwischen den Notenbündeln befindet sich aber ein Alarmpaket der Bank – solche Utensilien sollen einen Raub sinnlos machen. In diesem Fall besteht das Paket aus einer Farbpatrone. Sie explodiert. Peter K. lässt die Geldtasche geschockt fallen, entkommt in höchster Not, indem er über einen Gartenzaun klettert. Bei einer anderen Tat im Westallgäuer Ort Opfenbach muss der Mann einen Überfall ergebnislos beenden. Der Bankangestellte hat ihm erklärt, es sei gerade kein offenes Bargeld in der Filiale.
Umfassendes Geständnis
Ein krimineller Masterplan sieht anders aus. In den ersten Vernehmungen nach seiner Festnahme 2017 betont Peter K. dann auch, dass seine Überfallserie mehr oder weniger auf dem Zufallsprinzip beruht habe. Er legt sofort ein umfassendes Geständnis abgelegt – erst in Bayern, dann nach der Auslieferung in Vorarlberg. Dies ermöglicht dem Schöffensenat des Feldkircher Landesgerichts am Dienstag einen kurzen Prozess. Der Morgen reicht. „Ich bekenne mich schuldig in allen Verbrechen“, murmelt Peter K. Er sei einfach so in das Räuberleben hineingerutscht und habe nicht mehr aufhören können. Es tue ihm jetzt alles sehr leid.
Noch einmal unterstreicht er, sein Vorgehen sei „einfach“und „primitiv“ gewesen. Dem widersprechen weder die Vorsitzende Richterin Tagwercher noch Staatsanwältin Konstanze Manhart. Die Anklägerin macht aber unerbitterlich deutlich, dass Peter K. nach ihrer Ansicht ein „eiskalter und berechnender“Krimineller sei. Reue nimmt sie ihm nicht ab.
Manhart zählt vieles zu Ungunsten des Angeklagten auf. Zum wiederholten Mal kommt dabei eine Rolle zur Sprache, in die sich Peter K. offenbar nach seiner Festnahme flüchten wollte: die des tragischen Gangsterhelden, der zwar geraubt, bei seinen Taten aber niemanden körperlich verletzt habe. Mit anderen Worten: Er sei nie richtig böse gewesen. Manhart erklärt dies zu Unsinn: „Er hat die Überfälle verübt, weil er es unter seiner Würde befand, arbeiten zu gehen.“Es sei allein ums Geld gegangen. „Er ist auch kein armer Drogensüchtiger, wie er uns glauben machen will“, fährt die Staatsanwältin fort. Drogen habe Peter K. zwar konsumiert – aber ohne süchtig gewesen zu sein.
Traumatisierte Opfer
Manhart erinnert an das Vorgehen des Angeklagten. Demnach hat Peter K. die Bankangestellten meist mit einer Spielzeugpistole bedroht. Für die Opfer ist die Spielzeugpistole den protokollierten Zeugenaussagen zufolge aber nicht als solche erkennbar gewesen. „Sie wurde für echt gehalten. Die Opfer haben sich in Todesgefahr gesehen“, meint Manhart. Zumal Peter K. immer wieder gerufen habe: „Geld her oder ich erschieße dich.“„Er hat kein Mitgefühl mit den Opfern gehabt“, attestiert die Staatsanwältin dem Angeklagten. Dieser Punkt spielt am Prozessmorgen eine weitere Rolle. Die Opfer in den Geldinstituten fordern über eine Nebenklage Schmerzensgeld. Einzelne von ihnen sind bis heute traumatisiert und werden psychologisch betreut.
Anwalt kündigt Berufung an
Am Schluss findet das Richtergremium aus zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen zu wenig, was für Peter K. spricht: seine frühere Unbescholtenheit, sein Geständnis, die Bereitschaft, Schmerzensgeld zu zahlen und den entstandenen Schaden so weit wie möglich zu begleichen. Durch den Besitz eines Einfamilienhauses verfüge der Angeklagte über finanzielle Mittel, erklärt die Vorsitzende Richterin Tagwercher. Wie sie bei der Urteilsverkündung sagt, würden die genannten Punkte Peter K. immerhin die mögliche Höchststrafe von 15 Jahren ersparen.
Am Schluss fragt die Richterin Peter K., ob er den Spruch des Gerichts verstanden habe. Mit brüchiger Stimme kommt ein „Ja“. Dann hat Peter K. kurz die Gelegenheit, sich mit seinem Verteidiger zu beraten. Er taumelt ihm fast entgegen. Das Dutzend Jahre Gefängnis lastet schwer auf ihm, das Urteil will er nicht akzeptieren. Sein Anwalt meldet umgehend Berufung vor dem Oberlandesgericht Innsbruck an.