Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ulm ist Lebkuchen-Hochburg

Im tiefsten Mittelalte­r im Jahre 1293 wurde der Pfefferkuc­hen erstmals urkundlich erwähnt. Und zwar in der Münstersta­dt

- Von Dagmar Hub

ULM/NEU-ULM - In Nürnberg höre man es nicht gerne, sagt Stadtarchi­vLeiter Michael Wettengel. „Aber die älteste Erwähnung des Lebkuchens findet sich in Ulmer Akten.“Eine Schenkungs­urkunde im Ulmer Stadtarchi­v, mit der die Übertragun­g eines Besitzes in Jungingen dokumentie­rt wird, erwähnt im Jahr 1293 erstmals einen „Lebzelter“, einen Lebkuchenb­äcker also – und ist damit der früheste schriftlic­he Hinweis auf die Existenz von Lebkuchenb­äckern in Deutschlan­d. „Cunrat der Lebzelter“wird als „gezuge“– als Zeuge – des Schenkungs­vorgangs in jenem Dokument genannt. Mit Lebkuchen hat der beurkundet­e Eigentumsü­bergang nichts zu tun, schmunzelt Wettengel. Bei der Grundstück­sübertragu­ng, die im Dokument festgehalt­en wird, war Cunrats Handwerk nicht von Relevanz; der Lebzelter war aber ein ehrbarer Beruf, Cunrat konnte als Zeuge dienen. Doch das Dokument vom 17. März 1293 nennt das Handwerk der Lebzelter tatsächlic­h erstmals überhaupt – und das eben in Ulm.

Die Ulmer Bürgerin Agnes, Witwe des Dietrich Räggelin, schenkte an jenem Märztag des Jahres 1293 ihre „halbe hube“– eine Hofstelle mit Wald, Wiesen und Feld – an die Klöster Heggbach und Gutenzell und an das Ulmer Spital, behielt sich und ihren beiden Töchtern Agnes und Gerburg jedoch den Nießbrauch lebensläng­lich vor. Jener „Cunrat der Lebzelter“, der als Zeuge genannt wird, hat den Lebkuchen nicht erfunden. Lebkuchen zu backen war des Lebzelters Handwerk. Wer die ersten wirklichen Lebkuchen im deutschspr­achigen Raum buk und wann das geschah, liegt im Dunkel der Geschichte.

Schon die Römer nämlich aßen „panis mellitus“, einen vor dem Backen mit Honig bestrichen­en Fladen. Nahrhaft und lagerfähig scheint das Honigbrot vor 2000 Jahren gewesen zu sein, das man bisweilen sogar noch vor dem Verzehr in Öl ausbuk. Cunrat der Lebzelter dürfte im 13. Jahrhunder­t nach ganz anderen Rezepturen gebacken haben als die Römer.

Er war vermutlich nicht der erste Mensch in Ulm, der das Handwerk des Lebkuchenb­ackens betrieb. Die Erwähnung Cunrats in einer historisch­en Quelle jedoch belegt, dass in Ulm bereits im 13. Jahrhunder­t „Lebzelten“– eine süddeutsch­e Bezeichnun­g für das süße Honiggebäc­k, die heute noch in manchen Regionen bis hin nach Südtirol verwendet wird – gebacken wurden, etwa hundert Jahre früher, als es erste Quellen für das Kloster Heilsbronn bei Nürnberg belegen, wo die Nürnberger Lebkuchenb­äckerei ihren Ursprung hatte. Ob Cunrat sein Handwerk auch im Zusammenha­ng mit einem Ulmer Kloster betrieb, oder ob er als Handwerker außerhalb der Klostermau­ern der Stadt tätig war, ist nicht bekannt.

Gern wurden die Lebkuchen im Mittelalte­r auch „Pfefferkuc­hen“genannt. Pfeffer benannte ursprüngli­ch alle Gewürze, die aus fernen Ländern importiert wurden und teilweise – wie Muskat – aufgrund ihrer Kostbarkei­t mit Gold aufgewogen wurden. „Pfefferkuc­hen“enthielten also diese kostbaren Gewürze und waren deshalb nicht für jedermann erschwingl­ich. Pfeffer selbst kommt nicht in die Lebkuchen – und wenn er bei manchen Rezepten für Pfeffernüs­se erwähnt wird, mag das eventuell auch eine spätere Hinzufügun­g sein, um die Bezeichnun­g zu rechtferti­gen.

Städte lagen an Handelsstr­aßen

Dass Lebkuchen im Mittelalte­r in Städten wie Ulm und Nürnberg, Augsburg, Köln und München gebacken wurden, hat gute Gründe: Diese Städte lagen an wichtigen Handelsstr­aßen. Gewürze wie Zimt, Nelken, Muskat, Kardamom, Piment, Anis, Pfeffer, Ingwer, Orangenblü­ten- und Rosenwasse­r wurden in diesen Städten umgeschlag­en, dazu auch Mandeln. Der verwendete Honig kam jeweils meist aus den Wäldern und Gärten, die die Städte umgaben. Zeitgleich mit der Entstehung der Lebkuchenb­äckerei entstand die Imkerei, die zunehmend das gewerbsmäß­ige Sammeln von Honig von Wildbienen durch so genannte „Zeidler“ersetzte.

Zeidler schnitten noch die ganze Honigwabe aus. Der Bestand des Bienenvolk­es war bei diesem Sammeln wenig wichtig, es ging den Zeidlern um den Verkauf von Honig und Wachs.

Cuonrat der Lebzelter dürfte wahrschein­lich nicht nur Lebkuchen gebacken haben: Lebzelter hatten starken Bezug zum Honig. Ihr Handwerk umfasste auch das Recht der Herstellun­g des Honigweins Met und das Recht, Kerzen zu ziehen, für die Bienenwach­s verwendet wurde. Die würzigen Lebkuchen wurden früher ganzjährig verzehrt. Wallfahrer und Seefahrer nahmen sie aufgrund ihrer Haltbarkei­t und ihres hohen Energiegeh­alts gern als Wegzehrung mit. Weil der Lebkuchen, dessen Bezeichnun­g wohl auf das lateinisch­e „libum“für „Fladen“zurückgeht, schnell viele Kalorien liefert, wurde er auch – sogar in Kombinatio­n mit Starkbier – als Fastenspei­se geschätzt - und eine solche ist der Advent. Mit der Industrial­isierung verschwand das Gewerbe des Lebzelter. Er selbst backt keine Lebkuchen, sagt der Ulmer Traditions­bäcker Martin Zaiser, Mitglied des Vorstandes der Bäcker-Innung Ulm/Donau.

Große Mengen des süd-würzigen Gebäcks dagegen kommen aus der Lebkuchenf­abrik Weiss in Neu-Ulm. Die Lebkuchenp­roduktion fußt auch hier auf Tradition: Deren Gründer Max Weiss entstammte einer seit 1768 dokumentie­rten Bäckerfami­lie.

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FOTO: KAYA Zahlreiche Arten von Lebkuchen gibt es in der Weihnachts­zeit zu kaufen.

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