Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Merkel auf Versöhnungstour
In Griechenland fordert die Bundeskanzlerin die EU zur Solidarität mit Flüchtlingen auf
ATHEN (dpa) - Deutschland und Griechenland pochen angesichts der dramatischen Flüchtlingslage auf einigen Ägäis-Inseln darauf, dass die EU das Migrationsproblem gemeinsam und solidarisch angeht. „Auf Dauer kann es nicht akzeptabel sein, dass einige europäische Länder sagen, dieses Problem interessiert uns überhaupt nicht“, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag bei Gesprächen in Athen. Nur mit Solidarität sei die Flüchtlingskrise zu bewältigen – darin teile sie die griechische Position.
Der griechische Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos sagte, nur gemeinsam in der EU könne man das Problem angehen. Er würdigte die Migrationspolitik Merkels angesichts deutscher Kritik an ihrem Kurs als geradezu historisch. Die Kanzlerin habe große Courage bewiesen.
Merkel kritisierte ferner: „Wir haben einige Länder, die sagen: Wenn wir Flüchtlinge aufnehmen, dann geben wir damit das Signal, dass wir illegale Migration fördern, und das ist das falsche Signal. Wir müssen abschrecken“, erklärte die Kanzlerin Schülern bei einem Besuch der Deutschen Schule Athen und stellte klar: „Ich glaube nicht an diese Abschreckung. Also: Ich muss nur alles schrecklich genug machen, dann wird keiner mehr kommen.“Es müssten vielmehr in den Herkunftsländern der Flüchtlinge Perspektiven geschaffen werden.
Eine Absage gab es von der Bundeskanzlerin an die Türkei. Angesichts der türkischen Defizite bei Meinungs-, Religionsund Pressefreiheit sehe sie auf absehbare Zeit nicht, dass das Land Mitglied der EU sein werde. Dennoch sollten die Verhandlungen nicht einfach abgebrochen werden. „Das würde mehr Verletzungen mit sich bringen.“Die Kanzlerin erinnerte daran, dass sie stets gegen eine Mitgliedschaft und stattdessen für eine „besondere Partnerschaft“gewesen sei.
Merkel trifft Tsipras
Auf die Frage nach einer europäischen Armee sagte Merkel, sie gehe davon aus, dass es bis dahin noch lange dauern werde. Den Grund dafür sieht die Kanzlerin vor allem auch in der Bundesrepublik. „Wir in Deutschland werden große Probleme haben auf dem Weg zu einer europäischen Armee, weil bei uns jeder militärische Einsatz vom Parlament bestätigt werden muss.“
Natürlich sei das schwierig für die anderen Länder, wenn in Deutschland jedes Mal das Parlament zustimmen müsse. Die anderen fragten sich dann, ob sie sich auf solch einen Kameraden, solch ein Land verlassen könnten.
Bereits am Donnerstagabend hatte sich Merkel mit Ministerpräsident Alexis Tsipras zu Gesprächen in Athen getroffen. Für beide hat sich damit eine Art politischer Zirkel geschlossen. Die Kanzlerin wurde bei ihrem Besuch mit einer weiteren zentralen Herausforderungen konfrontiert, die wohl mit ihrer Amtszeit verbunden bleiben wird und die auch für Tsipras zentral ist: der Kampf gegen die Schuldenkrise. Bei einem knapp zweistündigen Treffen versuchten Merkel und Tsipras, einen Schlussstrich unter die tiefen Zerwürfnisse von damals zu ziehen.
Tsipras war erst einer der schärfsten Merkel-Kritiker gewesen. Nach seiner Amtsübernahme Anfang 2015 machte er allerdings eine Kehrtwende und setzte die von Brüssel und Berlin verlangten Reformen und Sparmaßnahmen weitgehend um. Nach dem Treffen mit Tsipras mahnte Merkel an, die Reformen in Griechenland müssten fortgesetzt werden – das Land sei noch nicht am Ende des Reformwegs. Sie würdigte zugleich die Anstrengungen des griechischen Volkes, „das durch schwierige Zeiten gegangen ist“, um aus der Finanzkrise zu kommen. Tsipras betonte, Merkel erlebe ein völlig anderes Griechenland, das Wachstum erziele. „Wir sind nicht mehr Teil des Problems, sondern Teil der Lösung.“
Merkel gab Tsipras außerdem Rückendeckung für dessen Versuch, den griechischen Namensstreit mit Mazedonien beizulegen. Die Überwindung des Streits werde allen Seiten nutzen. Skopje und Athen hatten im Juni vereinbart, dass die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien sich in Nord-Mazedonien umbenennt. Griechische Konservative und Nationalisten kritisieren diese Übereinkunft, weil auch eine nordgriechische Provinz Mazedonien heißt. Sie fürchten Gebietsansprüche des Nachbarn. Athen blockiert deshalb seit Jahrzehnten die Annäherung Mazedoniens an die EU und die Nato.
Am Freitag stimmte das Parlament in Skopje schließlich der Umbenennung zu. Bei dem historischen Votum stimmte die erforderliche Zweidrittelmehrheit dafür. Nun muss das Parlament in Athen der Vereinbarung zwischen Tsipras und dem mazedonischen Ministerpräsidenten Zoran Zaev noch zustimmen.