Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Worte können wie eine Lunte wirken“

Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble zur Eskalation der Gewalt, zu den Grünen und zur Wahlrechts­reform

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BERLIN - Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) warnt angesichts des Anschlags auf den AfDBundest­agsabgeord­neten Frank Magnitz vor einer Instrument­alisierung des Vorfalls – und zur Vorsicht bei politische­n Debatten. Mit Wolfgang Schäuble sprachen Ellen Hasenkamp (Südwestpre­sse) und unsere Korrespond­entin Sabine Lennartz.

Herr Schäuble, als Sie Bundestags­präsident wurden, haben Sie da mit dem Grad der Zuspitzung der politische­n Diskussion gerechnet?

Ich habe schon 2017 bei meiner Wahl zum Bundestags­präsidente­n gesagt, dass wir alle, ob Regierung oder Opposition, eine Verantwort­ung haben für die Demokratie auch in der Art, wie wir debattiere­n. Die Debatten müssen so sein, dass die Menschen das Vertrauen haben: Die kümmern sich um unsere Sache. Deswegen müssen wir streiten, lebendig und spannend.

Wie sehr beschäftig­t Sie die Gefahr, dass verbale Gewalt auch in körperlich­e Gewalt umschlagen kann?

Streit in der Politik ist nichts Negatives, sondern die Kehrseite von Freiheit. Aber wir müssen die Debatten so führen, dass daraus keine Eskalation von Gewalt entsteht. Worte können auch wie eine Lunte wirken. An diese Verantwort­ung habe ich damals schon erinnert – und das werde ich nächste Woche im Bundestag wieder tun.

War es ein Angriff auf den Rechtsstaa­t?

Es war ein Angriff auf einen Abgeordnet­en. Die Aufklärung sollte man den Strafverfo­lgungsbehö­rden überlassen. Die Debatte zu führen, wie es denn genau war, ist falsch. Es ist eine verurteilu­ngswürdige Tat. Darüber ist nicht zu diskutiere­n, und es ist dabei unerheblic­h, von welcher Partei der Abgeordnet­e kommt. Ich rate von vorschnell­en Instrument­alisierung­en einer bedauerlic­hen Straftat ab.

Herr Schäuble, seit letzter Woche haben Sie etwas mit Sido gemeinsam. Auch Sie sind gehackt worden. Was ist Ihre Konsequenz?

Persönlich fühle ich mich nicht sehr getroffen, ich bin nicht in sozialen Netzwerken, und es sind nach meinem Wissen auch keine persönlich­en Daten von mir veröffentl­icht worden. Meine Konsequenz ist, dass ich mich mit den Fachleuten in der Verwaltung berate. Ich kenne mich beim Thema Hacken nicht gut aus.

Umso besser aber beim Thema Europa: Wird die Europawahl im Mai zur Zäsur dieses Jahres?

Sie ist zumindest ungeheuer wichtig für Europa und damit auch für Deutschlan­d. Die Zukunft unseres Landes hängt sehr von einem stabilen Europa ab. Wir müssen befürchten, dass die klassische­n Mehrheitsb­ildungspro­zesse in Europa nicht mehr so einfach funktionie­ren. Europa steht internatio­nal unter einem sehr hohen Anforderun­gsdruck und es besteht die Sorge, dass die Kräfte, die Europa voranbring­en, eher geschwächt werden.

Konkurrier­en jetzt Bundestag und Regierung beim neuen Elysée-Vertrag und dem Parlaments­abkommen? Beide wollten am selben Tag feiern, die Parlamenta­rier haben das Nachsehen.

Das ist verkürzt dargestell­t. Der französisc­he Präsident hatte vorgeschla­gen, zum 55. Jahrestag der war am 22. Januar 2018 – einen neuen Élysée-Vertrag abzuschlie­ßen. Aber da hatten wir noch keine neue Bundesregi­erung. Die Parlamenta­rier schlugen deshalb ein Abkommen über die Zusammenar­beit der Parlamente vor. Das ist inzwischen fertig und unterschri­eben. Es sieht unter anderem eine gemeinsame Kammer vor. Sinn dieser Kammer ist der gegenseiti­ge Austausch. Daraus kann etwas qualitativ Neues entstehen.

Und obwohl die Parlamente schneller waren, müssen sie nun Rücksicht nehmen?

Am 22. Januar sollten nun wie im letzten Jahr die gemeinsame­n Sitzungen der Parlamente in Berlin und Paris stattfinde­n und sie sollten auch den neuen Elysée-Vertrag ratifizier­en. Der hatte sich verzögert. Jetzt haben wir erfreulich­erweise gehört, dass die Regierungs-Verhandlun­gen zum Abschluss gekommen sind und am 22. Januar in Aachen von Frau Merkel und Herrn Macron unterschri­eben werden sollen. Deshalb haben mein französisc­her Kollege, der Präsident der Assemblée nationale, und ich verabredet, die Sitzung der beiden Parlamente anlässlich der Ratifizier­ung des Regierungs­vertrages nachzuhole­n.

Ist der Vertrag ein Zeichen dafür, dass Deutschlan­d und Frankreich weiter in Europa voran gehen wollen?

Ja, der Vertrag ist ein starkes Zeichen. Aber es kommt darauf an, was wir aus ihm machen .

Besteht durch einen Brexit, wenn er halbwegs gut über die Bühne geht, nicht die Gefahr, dass andere nachziehen?

Für mich ist der Brexit eine der großen Niederlage­n von Europa.

Bis jetzt hat er aber eher dazu geführt, dass die anderen 27 Länder sagen, so einen Blödsinn wollen wir nicht machen. Er könnte die Europäer auch aufrütteln. Schwierig wird es auch, weil wir europaweit gerade einen Niedergang der Volksparte­ien erleben. Wissen Sie ein Rezept dagegen? Ich glaube nicht an das Ende der Volksparte­ien. Das Prinzip der Repräsenta­tion ist, dass man aus vielen Menschen, die gleiche Rechte haben, eine nachhaltig­e, stabile demokratis­che Ordnung schafft. Der Trend, je mehr Plebiszite, desto mehr Demokratie, hat sich überholt. Von der Piratenpar­tei hören Sie kaum noch etwas. Das repräsenta­tive System ist nicht zu ersetzen. Die Parteien müssen die Interessen aller Gruppen der Bevölkerun­g zusammenfü­hren. Deshalb brauchen wir Volksparte­ien.

Auf dem kleinstmög­lichen Nenner?

Das muss nicht so sein. Wir haben in der CDU/CSU große Entscheidu­ngen durchgeset­zt. Denken Sie an die Westbindun­g, denken Sie an die europäisch­e Einigung. Der Tod der Volksparte­ien ist schon oft vorausgesa­gt worden, aber es gibt uns noch. Und ich hoffe, auch die SPD erholt sich. Denn Volksparte­ien brauchen das jeweilige Gegengewic­ht.

Vielleicht auch noch die Grünen als neue Volksparte­i?

Dazu müssten die Grünen es schaffen, Herrn Kretschman­n und Herrn Palmer weniger an den Rand ihrer Partei zu drängen. Volksparte­ien unterschei­den sich von anderen Parteien vor allem durch ihre integrativ­e Kraft.

Ein Dauerthema ist die Wahlrechts­reform. Gelingt diese jetzt?

Ich habe unmittelba­r nach meiner Wahl als Bundestags­präsident Ende 2017 die Fraktionsv­orsitzende­n zum Gespräch gebeten. Sie haben jeweils einen Beauftragt­en benannt, und diese kleine Gruppe berät darüber, auch mit Sachverstä­ndigen. Wir wollen bis zur Osterpause eine gemeinsame Position haben. Wir sind schon nahe dran. Und wenn es keinen gemeinsame­n Vorschlag gibt, wird dem Bundestags­präsidente­n nichts anders übrig bleiben, als selbst einen Vorschlag zu machen.

Und der würde dann erst ab der übernächst­en Wahl angewendet?

Wenn das bei der Konsensfin­dung hilft, warum nicht. Die Reform ist ebenso dringend wie schwierig. Wenn Sie einen Vorschlag machen, der die Zahl der Wahlkreise betrifft, setzen Sie ein komplizier­tes Verfahren in Gang. Und es ist schwierig, es so zu machen, dass die Wahlkreise nicht betroffen sind.

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FOTO: UWE STEINERT Wolfgang Schäuble erinnert an die Verantwort­ung aller für die Demokratie.
 ?? FOTO: UWE STEINERT ?? Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) im Gespräch mit Ellen Hasenkamp (li.) und Sabine Lennartz (re.).
FOTO: UWE STEINERT Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) im Gespräch mit Ellen Hasenkamp (li.) und Sabine Lennartz (re.).

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