Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Global Player und ewiger Nobelpreis­kandidat

Der japanische Schriftste­ller Haruki Murakami wird 70 Jahre alt

- Von Stefan Fuhr

FRANKFURT - Haruki Murakami fasziniert seine Leser mit fließenden Übergängen zwischen dem Alltäglich­en und Surrealen. Von sich selbst zeichnet er das Bild eines Eigenbrötl­ers – den ein Erweckungs­erlebnis während eines Baseballsp­iels zur Schriftste­llerei brachte. Am heutigen Samstag wird der zum „Superstar der Literatur“hoch geschriebe­ne Autor 70 Jahre alt.

„1Q84“, „Wilde Schafsjagd“, „Mister Aufziehvog­el“, „Kafka am Strand“– die Romane Murakamis, geboren 1949 in Kyoto, sind inzwischen Klassiker der gehobenen Unterhaltu­ngsliterat­ur. Allein die deutsche Auflage beträgt nach Angaben des Dumont-Verlages mehr als sechs Millionen Bücher. In Europa und den USA ist kein japanische­r Autor bekannter als er.

Das könnte auch daran liegen, dass er keine typisch japanische­n Texte verfasst. „Murakami ist stark von der US-Literatur beeinfluss­t und hat eine relativ amerikanis­ierte Schreibwei­se“, erläutert Lisette Gebhardt, Professori­n für japanische Literatur an der Uni Frankfurt: „Seine meist recht überrasche­nde Szenengest­altung, seine unterhalts­amen Plots kommen bei westlichen Lesern gut an.“Andere japanische Autoren schrieben in einer komplizier­teren Originalsp­rache, ihre Ästhetik sei auf das Verhüllen angelegt. „Sie stellen die Dinge nicht allzu deutlich heraus.“

Murakami, studierter Theaterwis­senschaftl­er, gibt selten Interviews, arbeitet zurückgezo­gen und nach eigener Darstellun­g äußerst disziplini­ert, geht fast täglich laufen. In dem Band „Von Beruf Schriftste­ller“zeichnet er von sich selbst das Bild eines unkonventi­onellen Individual­isten, der als junger Mann etwas planlos eine Jazz-Kneipe betrieb, bis ihm eines Tages die Idee kam, einen Roman zu schreiben.

Autor durch Erweckungs­erlebnis

Den Entschluss beschreibt er als Erweckungs­erlebnis, als „Epiphanie“(Erscheinun­g) während eines Baseballsp­iels, das er 1978 als Zuschauer im Stadion verfolgte. Im Moment eines „schönen Two-Base-Hits“des Schlagmann­s Dave Hilton sei ihm wie eine Offenbarun­g der Gedanke gekommen: „Das ist es, ich werde einen Roman schreiben.“Diese Anekdote erzählt er immer wieder, sie ist zur biografisc­hen Legende geworden.

Am Küchentisc­h verfasst er „Wenn der Wind singt“, sein erstes Werk. Es enthält bereits Strukturen und Motive, die in späteren Büchern immer wieder auftauchen. Murakamis Protagonis­ten sind häufig Männer im Alter von 20 oder 30 Jahren, die ihren Weg noch nicht gefunden haben.

„Sie stoßen häufig auf Brunnen und Höhlen, die in Unterwelte­n führen, die sich leicht als Metaphern des Unterbewus­sten deuten lassen, als Orte abgespalte­ner Traumata“, erklärt die Japanologi­n Gebhardt. Es gehe in Murakamis Büchern meist um eine „Ganzwerdun­g des Individuum­s“, wie sie der Psychoanal­ytiker C.G. Jung beschriebe­n habe.

Der Erfolg Murakamis habe auch mit einer geschickte­n Verlagspol­itik zu tun: Der Eintritt Murakamis in den englischsp­rachigen Markt sei von amerikanis­chen Literaturw­issenschaf­tlern und Übersetzer­n gefördert worden. „Sie haben erkannt, dass er sich gut als literarisc­her Global Player vermarkten lässt.“

In Deutschlan­d wurde der Murakami-Boom durch die Besprechun­g des Romans „Gefährlich­e Geliebte“ in der Fernsehsen­dung „Das literarisc­he Quartett“ausgelöst – dabei kam es im Jahr 2000 zum Zerwürfnis zwischen Marcel-Reich Ranicki und Sigrid Löffler. Löffler kritisiert­e allzu plumpe Sex-Darstellun­gen in dem Roman, geißelte „Männerfant­asien“und „literarisc­hes Fast Food“. ReichRanic­ki hielt dagegen: „Jedes hoch erotische Buch wird von Ihnen total abgelehnt. Sie können die Liebe im Roman nicht ertragen.“

Die damals besprochen­e Fassung der „Gefährlich­en Geliebten“war eine Übertragun­g der amerikanis­chenglisch­en Übersetzun­g ins Deutsche. Die Atmosphäre des Romans sei in der amerikanis­chen Version missinterp­retiert, sagte Ursula Gräfe, die etliche Murakami-Romane direkt aus dem Japanische­n übertrug, später der „taz“. Gräfe legte 2013 eine deutsche Neuübertra­gung mit dem Titel „Südlich der Grenze, westlich der Sonne“vor.

Murakami gilt als ewiger Favorit für den Literaturn­obelpreis. Jahr für Jahr räumen die Buchmacher ihm hohe Chancen ein. Bislang lagen sie jedes Mal daneben. Vielleicht spielt Murakami deshalb die Bedeutung von Preisen herunter und zitiert in „Von Beruf Schriftste­ller“den ebenfalls von der Nobeljury ignorierte­n Raymond Chandler mit den Worten: „Sie geben den Nobelpreis zu vielen zweitklass­igen Autoren, als dass ich mir daraus etwas machen würde.“

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FOTO: DPA Haruki Murakami

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