Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Global Player und ewiger Nobelpreiskandidat
Der japanische Schriftsteller Haruki Murakami wird 70 Jahre alt
FRANKFURT - Haruki Murakami fasziniert seine Leser mit fließenden Übergängen zwischen dem Alltäglichen und Surrealen. Von sich selbst zeichnet er das Bild eines Eigenbrötlers – den ein Erweckungserlebnis während eines Baseballspiels zur Schriftstellerei brachte. Am heutigen Samstag wird der zum „Superstar der Literatur“hoch geschriebene Autor 70 Jahre alt.
„1Q84“, „Wilde Schafsjagd“, „Mister Aufziehvogel“, „Kafka am Strand“– die Romane Murakamis, geboren 1949 in Kyoto, sind inzwischen Klassiker der gehobenen Unterhaltungsliteratur. Allein die deutsche Auflage beträgt nach Angaben des Dumont-Verlages mehr als sechs Millionen Bücher. In Europa und den USA ist kein japanischer Autor bekannter als er.
Das könnte auch daran liegen, dass er keine typisch japanischen Texte verfasst. „Murakami ist stark von der US-Literatur beeinflusst und hat eine relativ amerikanisierte Schreibweise“, erläutert Lisette Gebhardt, Professorin für japanische Literatur an der Uni Frankfurt: „Seine meist recht überraschende Szenengestaltung, seine unterhaltsamen Plots kommen bei westlichen Lesern gut an.“Andere japanische Autoren schrieben in einer komplizierteren Originalsprache, ihre Ästhetik sei auf das Verhüllen angelegt. „Sie stellen die Dinge nicht allzu deutlich heraus.“
Murakami, studierter Theaterwissenschaftler, gibt selten Interviews, arbeitet zurückgezogen und nach eigener Darstellung äußerst diszipliniert, geht fast täglich laufen. In dem Band „Von Beruf Schriftsteller“zeichnet er von sich selbst das Bild eines unkonventionellen Individualisten, der als junger Mann etwas planlos eine Jazz-Kneipe betrieb, bis ihm eines Tages die Idee kam, einen Roman zu schreiben.
Autor durch Erweckungserlebnis
Den Entschluss beschreibt er als Erweckungserlebnis, als „Epiphanie“(Erscheinung) während eines Baseballspiels, das er 1978 als Zuschauer im Stadion verfolgte. Im Moment eines „schönen Two-Base-Hits“des Schlagmanns Dave Hilton sei ihm wie eine Offenbarung der Gedanke gekommen: „Das ist es, ich werde einen Roman schreiben.“Diese Anekdote erzählt er immer wieder, sie ist zur biografischen Legende geworden.
Am Küchentisch verfasst er „Wenn der Wind singt“, sein erstes Werk. Es enthält bereits Strukturen und Motive, die in späteren Büchern immer wieder auftauchen. Murakamis Protagonisten sind häufig Männer im Alter von 20 oder 30 Jahren, die ihren Weg noch nicht gefunden haben.
„Sie stoßen häufig auf Brunnen und Höhlen, die in Unterwelten führen, die sich leicht als Metaphern des Unterbewussten deuten lassen, als Orte abgespaltener Traumata“, erklärt die Japanologin Gebhardt. Es gehe in Murakamis Büchern meist um eine „Ganzwerdung des Individuums“, wie sie der Psychoanalytiker C.G. Jung beschrieben habe.
Der Erfolg Murakamis habe auch mit einer geschickten Verlagspolitik zu tun: Der Eintritt Murakamis in den englischsprachigen Markt sei von amerikanischen Literaturwissenschaftlern und Übersetzern gefördert worden. „Sie haben erkannt, dass er sich gut als literarischer Global Player vermarkten lässt.“
In Deutschland wurde der Murakami-Boom durch die Besprechung des Romans „Gefährliche Geliebte“ in der Fernsehsendung „Das literarische Quartett“ausgelöst – dabei kam es im Jahr 2000 zum Zerwürfnis zwischen Marcel-Reich Ranicki und Sigrid Löffler. Löffler kritisierte allzu plumpe Sex-Darstellungen in dem Roman, geißelte „Männerfantasien“und „literarisches Fast Food“. ReichRanicki hielt dagegen: „Jedes hoch erotische Buch wird von Ihnen total abgelehnt. Sie können die Liebe im Roman nicht ertragen.“
Die damals besprochene Fassung der „Gefährlichen Geliebten“war eine Übertragung der amerikanischenglischen Übersetzung ins Deutsche. Die Atmosphäre des Romans sei in der amerikanischen Version missinterpretiert, sagte Ursula Gräfe, die etliche Murakami-Romane direkt aus dem Japanischen übertrug, später der „taz“. Gräfe legte 2013 eine deutsche Neuübertragung mit dem Titel „Südlich der Grenze, westlich der Sonne“vor.
Murakami gilt als ewiger Favorit für den Literaturnobelpreis. Jahr für Jahr räumen die Buchmacher ihm hohe Chancen ein. Bislang lagen sie jedes Mal daneben. Vielleicht spielt Murakami deshalb die Bedeutung von Preisen herunter und zitiert in „Von Beruf Schriftsteller“den ebenfalls von der Nobeljury ignorierten Raymond Chandler mit den Worten: „Sie geben den Nobelpreis zu vielen zweitklassigen Autoren, als dass ich mir daraus etwas machen würde.“