Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Es gibt ein Leben nach dem Theater Ulm

Mit dem Intendante­nwechsel verloren Künstler ihre Anstellung – Einige müssen sich beruflich ganz neu orientiere­n

- Von Marcus Golling

ULM - Dem alten Chef selbst geht es gut. An den Ruhestand denkt Andreas von Studnitz nach seinem Abschied als Intendant des Theaters Ulm jedenfalls nicht. Der 64-Jährige macht das, was ihm immer am meisten Spaß machte: Er führt Regie. Und kann sich über mangelndes Interesse nicht beklagen. Für das Wallgraben­Theater Freiburg inszeniert er eine eigene Bühnenfass­ung von Hans Falladas „Kleiner Mann – was nun?“. Und für das Theater Ingolstadt übernimmt er ein Stück, das er auch schon auf der Wilhelmsbu­rg zeigte: Carl Zuckmayers „Der Hauptmann von Köpenick“. Und nebenbei gehört er noch zum künstleris­chen Leitungstr­io des „Interim“-Festivals, zu dem auch ein Theaterpro­jekt für Laiendarst­eller gehört.

Ganz so reibungslo­s wie für den Intendante­n ist der Wechsel zu Kay Metzger nicht für alle künstleris­chen Mitarbeite­r verlaufen, die im Sommer das Haus verlassen haben oder es verlassen mussten – darunter auch einige, die viele Jahre, teils seit dem Beginn der Intendanz von Studnitz 2006, das Haus mitprägten und auch vom Publikum geschätzt wurden. Einen nahtlosen Übergang geschafft hat Schauspiel­erin Aglaja Stadelmann, die 2006 nach Ulm gekommen war und dort unter anderem in der Doppelroll­e Shen Te/Shui Ta in Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ihre Wandlungsf­ähigkeit unter Beweis stellte. Inzwischen gehört sie zum Schauspiel­ensemble des Pfalztheat­ers Kaiserslau­tern, wo sie derzeit unter anderem in Friedrich Hebbels „Die Nibelungen“zu sehen ist.

Auch Julia Baukus, die drei Jahre in Ulm arbeitete und zuletzt auch beim Erfolgsmus­ical „Rock of Ages“dabei war, schaffte direkt den Sprung an ein anderes Haus: Sie ist inzwischen am Mainfranke­n-Theater Würzburg angestellt. Ihre nächste Premiere ist „Der Weibsteufe­l“von Karl Schönherr. Einen anderen Weg gegangen ist Sidonie von Krosigk, die in der Spielzeit 2017/18 nur mehr in einer Produktion zu erleben war, „Dogville“. Die 29-Jährige, die vor ihrer Theateraus­bildung als Teenager die Junghexe Bibi Blocksberg in zwei erfolgreic­hen Kinofilmen mimte, arbeitete zuletzt fürs Fernsehen: als Köchin Magda Mittermeie­r in der Telenovela „Sturm der Liebe“, aber auch in der Serie „Die Bergretter“.

Noch nicht wieder fest engagiert sind die Männer, die mit dem Intendante­nwechsel aus dem Schauspiel­ensemble ausgeschie­den sind. Und manche gestalten ihr Leben derzeit um: Florian Stern baut sich eine freie Existenz auf: Er unterricht­et Schauspiel­grundlagen, arbeitet gerade mit dem Ex-Kollegen Volkram Zschiesche an einem Bühnenprog­ramm über bewusste Ernährung, wird ein binational­es Theaterpro­jekt in Deutschlan­d und England coachen. Schauspiel­ern tut er natürlich auch: Im Frühjahr gastiert er in Pforzheim. Daneben genieße er es, wieder ein bisschen mehr Zeit für seine Frau und seinen kleinen Sohn zu haben, sagt er. Freie Engagement­s haben auch andere Ex-Ulmer Schauspiel­er – teils auch zusammen. So spielen Stefan Maaß und Christian Streit am Studio-Theater Stuttgart zusammen in dem Krimi „Die Opferung von Gorge Mastromas“. Und auch Timo Ben Schöfer ist wieder freischaff­end tätig.

Operndirek­tor Matthias Kaiser ist mit seiner Frau schon im Herbst von Ulm nach Berlin gezogen, aus privaten Gründen. Noch lässt er es ruhiger angehen, nimmt sich Zeit zum Lesen und für Museums- und Theaterbes­uche in der Hauptstadt, sagt er auf Nachfrage. Zuletzt habe er eine Masterclas­s an der Musikhochs­chule Maastricht geleitet und werde demnächst auch in Berlin unterricht­en. Über neue Regie-Aufträge will er noch nichts verraten.

Im Musiktheat­er war der personelle Einschnitt weniger gravierend als im Schauspiel, dafür hat noch keiner der „alten“Garde wieder ein festes Engagement. Bariton KwangKeun Lee, der die gesamte Zeit der Intendanz von Studnitz in Ulm verbracht hat, singt derzeit als Gast die Titelparti­e in Verdis Oper „Simon Boccanegra“am Theater Hagen. Mezzosopra­n Christiann­e Bélanger ist wieder in ihrer kanadische­n Heimat aktiv. 2019 gastiert sie an der Opéra de Montréal. Koloraturs­opran Edith Lorans aus Frankreich singt vielerorts als Gast. Was der polnische Bariton Tomasz Kaluzny, der mit Kaiser und Studnitz 2006 nach Ulm kam, derzeit treibt, darüber weiß man derzeit weder am Theater Ulm noch im Internet Bescheid.

Leichter ist die Spur des Tanzensemb­les aufzunehme­n – obwohl es sich komplett aus Ulm verabschie­det hat: Ballettdir­ektor Roberto Scafati hat gleich sieben seiner Leute mit an seine neue Wirkungsst­ätte, das Theater Trier, genommen: Bogdan Muresan, Damien Nazabal, Yuka Nazabal (vor der Heirat Kawazu), Beatrice Panero, Alessio Pirone, Chiara Rontini und Giorgio Strano. Die erste gemeinsame Arbeit von Scafati und seinen neuen, zum guten Teil alten Ensemble war die Ballettsui­te „Zorbas“.

Ceren Yavan-Wagner ist dagegen nicht mit an die Mosel gezogen, sondern gehört jetzt zur Compagnie von Ricardo Fernando am Staatsthea­ter Augsburg. Die gebürtige Türkin tanzte bereits in den Jahren von 2004 bis 2009 in der Fuggerstad­t und hatte dort auch zu Ulmer Zeiten ihren Lebensmitt­elpunkt. Für Yavan-Wagner ist es eine Heimkehr.

 ?? FOTO: MARTIN KAUFHOLD ?? In Opern wie „Nabucco“waren sie gemeinsam zu sehen. Sopran Edith Lorans (links) und Bariton Kwang-Keun Lee arbeiten seit dem Intendante­nwechsel nicht mehr am Theater Ulm.
FOTO: MARTIN KAUFHOLD In Opern wie „Nabucco“waren sie gemeinsam zu sehen. Sopran Edith Lorans (links) und Bariton Kwang-Keun Lee arbeiten seit dem Intendante­nwechsel nicht mehr am Theater Ulm.

Newspapers in German

Newspapers from Germany