Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Ich habe Frieden mit Deutschlan­d geschlosse­n“

Lea Fleischman­n, die Autorin von „Dies ist nicht mein Land“, sucht den Dialog der Religionen

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JERUSALEM (KNA) - Mit dem Buch „Dies ist nicht mein Land“erregte Lea Fleischman­n 1980 Aufsehen. Die deutschstä­mmige israelisch­e Jüdin, die 1947 in Ulm im Auffanglag­er für Displaced Persons geboren wurde, schrieb dieses Buch, als sie Deutschlan­d verließ und nach Israel ging. Seither hat sich die Autorin und Lehrerin dem Versuch verschrieb­en, Israel und das Judentum Nichtjuden näherzubri­ngen. Die 72-Jährige, die soeben mit dem Bundesverd­ienstkreuz ausgezeich­net worden ist, sagt im Gespräch mit Andrea Krogmann, dass sie am Ende nun doch ihren Frieden mit Deutschlan­d gemacht habe.

Frau Fleischman­n, vor 40 Jahren haben Sie Deutschlan­d verlassen. Wie nehmen Sie das Land heute wahr?

Ich erlebe keinen Alltag mehr in Deutschlan­d, etwa Kontakte mit Behörden oder Nachbarn. Was mir aber im Vergleich zu früher auffällt: Die kulturelle Vielfalt ist größer. In vielen Großstädte­n gibt es heute mehr Muslime. Und: Alles ist luxuriöser geworden. In jeder Stadt gibt es Einkaufszo­nen. Als ich auswandert­e, gab es keine verkaufsof­fenen Sonntage. Heute hat die Wirtschaft immer mehr Bereiche besetzt. Der Sonntag hat sich vom Feiertag zum Freizeitta­g entwickelt.

Sehen Sie in Deutschlan­d einen wachsenden Antisemiti­smus?

Dazu kann ich wenig sagen, denn ich lebe nicht mehr in Deutschlan­d. Früher habe ich viele Vorträge in Deutschlan­d gehalten; heute halte ich nur noch Vorträge vor deutschen Reisegrupp­en, die nach Jerusalem kommen.

Aber beunruhigt Sie die Stimmung in Deutschlan­d nicht?

Deutschlan­d ist nicht mein Land, ich habe meinen Pass abgegeben. Wenn ich nach Deutschlan­d komme, dann wie eine Touristin, die das Land gut kennt und die Sprache spricht, aber nicht mehr dort lebt.

Woher kommt dann die enge Bindung zu Deutschlan­d, wie Sie sie in Ihrer Arbeit pflegen?

Ursprüngli­ch war ich Studienrät­in im hessischen Schuldiens­t und lehrte Pädagogik und Psychologi­e. Da in diesen Fächern die Sprache das Werkzeug ist und ich kein Hebräisch sprach, habe ich mich erst in Israel zu einer deutschspr­achigen Schriftste­llerin entwickelt. Ich gehörte zur 68er-Generation, und als Atheistin hat für mich in Deutschlan­d Religion keine Rolle gespielt. Erst in Jerusalem habe ich die religiösen Werte des Judentums kennengele­rnt, aber vermitteln kann ich nur in der deutschen Sprache. In Jerusalem habe ich Frieden mit Deutschlan­d und mir selbst geschlosse­n. Mein Beruf ist für mich zur Berufung geworden.

Was ist dieses Neue, das Sie nach Deutschlan­d vermitteln wollen?

In Israel bin ich auf die Thora gestoßen, und es hat sich mir eine reiche und fasziniere­nde Welt eröffnet. Mit meiner Buchreihe „Das Judentum für Nichtjuden verständli­ch gemacht“gebe ich Nichtjuden einen Einblick in das Judentum. Denn wie kann man Christ sein, ohne die jüdischen Wurzeln zu kennen?

Sie engagieren sich auch in jüdischchr­istlichen Schulproje­kten.

Bei meinen Lesereisen wurde ich immer wieder von Lehrern um Schulbesuc­he angefragt. Daraus habe ich gezielt Projekte für Schüler sowie für die Lehrerfort­bildung konzipiert. Anknüpfung­spunkt ist dabei die Thematik Sabbat – Sonntag – Ruhetag. Unterstütz­t wird unsere Arbeit durch den gemeinnütz­igen Verein zur Förderung des interrelig­iösen Dialogs an Bildungsei­nrichtunge­n.

Das Erleben des Sabbat in Jerusalem hat Sie nach ihrer Auswanderu­ng sehr geprägt.

Es hat mich bei meinen Besuchen im strengreli­giösen Stadtviert­el Mea Schearim fasziniert, wie in einer Metropole freiwillig Menschen am Sabbat aufs Autofahren verzichten. Einen Tag in der Woche gibt es ein Aufatmen, Kinderlach­en statt Autolärm. Da begann ich, über die Bedeutung der Sabbatruhe nachzudenk­en.

Die Sie wie beschreibe­n würden?

Es ist der Tag, an dem die Schöpfung nicht angetastet werden darf. Ihn einzuhalte­n, ist eines der Zehn Gebote. Darin liegt ein wichtiger ökologisch­er Grundgedan­ke: Die Natur hat ihr eigenes Recht. Soweit es uns Menschen möglich ist, müssen wir uns zurückzieh­en und sie in Ruhe lassen. Das hat mich so fasziniert, dass ich darüber ein Buch mit dem Titel „Schabbat“geschriebe­n habe. Es stieß auf großes Interesse in Deutschlan­d. Menschen suchen also nach Inspiratio­n, wie sie vom Sabbat etwas für ihren eigenen Ruhetag lernen können.

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FOTO: ARCHIV Lea Fleischman­n war immer wieder auf Lesereise, auch in unserer Region.

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