Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Schützenfest am Fasnetssonntag
Der VfB Stuttgart darf nach dem 5:1 durchatmen, in Hannover wird die Lage dagegen immer bedrohlicher
STUTTGART – Es ist fraglich, ob man schlechter Fußball spielen kann als es Hannover 96 am Sonntag zwischen 15.30 und 16.15 Uhr tat. Nicht stoppen, nicht passen, nicht decken, das war das Motto der Gäste zur Hochzeit der Fasnet. Vermutlich hätte das Team von Thomas Doll auch mit dem Bälleaufpumpen arge Probleme gehabt, so stand es neben sich. Das Duell beim VfB Stuttgart war angeblich ihr Abstiegsendspiel, aber die Niedersachsen traten auf wie ein Hobbyteam bei der Ferienfreizeit – und so wurde das Spiel zu einem leichten und befreienden Triumph für den VfB. 3:0 stand es nach starken 45 Minuten, 5:1 nach weniger starken zweiten 45 Minuten für den Tabellen-Sechzehnten im Kampf gegen den 17.. Stuttgart feierte den höchsten Bundesligasieg seit dem 5:0 gegen Berlin vor sieben Jahren, den vierten unter Markus Weinzierl, den ersten nach acht erfolglosen Partien und brachte somit fünf Zähler zwischen sich und die Gäste. Vor den schweren Partien in Dortmund, gegen Hoffenheim und in Frankfurt ist also Durchatmen erlaubt.
„Wir haben den Befreiungsschlag herbeigesehnt“, sagte VfB-Sportvorstand Thomas Hitzlsperger: „Es war ein verdienter Sieg. Dass er so hoch ausgefallen ist, freut uns umso mehr. Die erste Halbzeit war richtig gut. Das war nicht zu erwarten.“Und Gonzalo Castro fügte hinzu: „Das war so ein Spiel, das jeder hier gebraucht hat. Wir waren willig, wir wollten das Spiel gewinnen. Das haben wir am Ende dann auch gemacht.“
Bereits nach 44 Sekunden hätte VfB-Torjäger Mario Gomez treffen müssen, vier Treffer hätte der 33-Jährige vor der Pause machen können. Immerhin glückte dem gebürtigen Riedlinger das so wichtige 1:0. Nach vier Minuten war Gomez nach Pass von Steven Zuber 15 Meter vor dem Tor plötzlich sträflich allein und traf mit sattem Linksschuss – sein erster Treffer seit drei Monaten, und eine Initialzündung. Der VfB machte über die starken Flügelstürmer Zuber und Esswein Druck, 96 wirkte wie von allen guten Geistern verlassen. Ozan Kabak, Stuttgarts 18-jähriger ZwölfMillionen-Euro-Rekord-Neuzugang
von Galatasaray Istanbul, profitierte davon. Zweimal schlug der 1,86 Meter große, wuchtige Neuzugang nach Casto-Ecken per Kopf zu (16./45.), zweimal ließen ihn die 96er sträflich allein.
Schon zur Pause war klar: Der Türke, der im sechsten Spiel seine ersten VfB-Tore schoss, war der Mann des Tages, zwischendurch, nach einem Dribbling durchs Mittelfeld, bekam er von den 55 800 Fans sogar Szenenapplaus – und nach der Partie das Sonderlob von Hitzlsperger: „Ozan hat nicht nur zwei Tore gemacht, sondern auch super verteidigt. Seine Abgeklärtheit und Reife sind der Wahnsinn. Vor allem will er auch im Training immer dazulernen, ist neugierig, wissbegierig, fragt immer nach. Ein toller Junge.“
Weniger gut gefiel dem Sportvorstand „die schwierige Phase“von Minute 46 bis 70. Nach 9:0 Torschüssen, 6:0 Ecken und 3:0 Toren in Halbzeit eins „dachten wir vielleicht, es läuft von allein“. Der VfB zog sich zurück, verteidigte nur noch, Jonathas traf zum Anschluss (68.). Weinzierl schien noch mehr Beton anrühren zu wollen, brachte Christian Gentner für Gomez. Dann schlug die Stunde von Zuber. Auch die HoffenheimLeihgabe aus der Schweiz traf doppelt – erst nach einem Eckball-Abpraller, dem sage und zähle 18. Standardgegentor der 96er in dieser Saison -, dann nach feinem Gentner-Zuspiel (78./81.). Und bei seiner verdienten Auswechslung gab es plötzlich ganz neue Töne zu hören in der Mercedes-Benz-Arena: „Oh, wie ist das schön“, sangen die Fans, der Fußball ist schnelllebig, noch vor einer Woche hatten sie „Dietrich raus“skandiert. Aus dem 96er-Block dagegen war nur eine Reaktion zu sehen: „Versager“, hatten ein paar Fans auf ein Transparent gepinselt.
So konnte man es sehen. 96-Mittelfeldmann Marvin Bakalorz räumte das Versagen sogar ein: „Wir waren total behäbig, hatten null Abstimmung, kamen in jeder Situation einen Schritt zu spät. Das hatte mit Bundesliga nichts zu tun. Wir müssen endlich mal den Arsch hochkriegen und uns auf die Basics konzentrieren.“Trainer Doll urteilte noch härter: „Ich bin schon lange im Geschäft, aber so einen Auftritt habe ich noch nicht gesehen. Jeder, der es mit Hannover 96 hält, kann sich nur schämen.“Und nochmal Bakalorz: „Es fühlt sich so ein bisschen an wie Treibsand. Man will raus, man will strampeln, aber irgendwie kriegt man es nicht aufs Parkett.“
Beim VfB dagegen stimmen neuerdings die Basics, seit drei Spielen, in denen der Trainer jeweils die gleiche Aufstellung wählte. „Das war ein superwichtiger Sieg für uns – auch in der Höhe verdient“, sagte Weinzierl, und doch war der VfB nicht der große Sieger des Spieltags. Weil Augsburg (vier Zähler weg) über den BVB triumphierte, wird sich der VfB womöglich mit der Relegation anfreunden müssen. Aber das war am Sonntagabend zumindest für Hitzlsperger sekundär: „Heute fällt eine Last ab von uns allen.“