Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Keine Lust auf Relegation
Stuttgart schöpft Zuversicht aus dem 5:1 über Hannover, nur der Kapitän warnt
STUTTGART - Woran erkennt man einen erfahrenen, womöglich sogar demütigen Sportler? Ganz einfach: Er abstrahiert, er reflektiert. Er jubelt nicht so laut, wenn Kantersiege eingefahren werden, und er jammert nicht, wenn es mal schlecht läuft. Von Christian Gentner, dem 33-jährigen Kapitän des VfB Stuttgart, darf man beides sagen – er ist ziemlich weit weg vom himmelhochjauchzend und zutodebetrübt der Fußballbranche. Über seine Verbannung aus der Startelf hat der Nürtinger bis dato kein böses Wort gefunden, und auch alle Euphorie war ihm am Sonntag fremd trotz des höchsten VfB-Siegs seit sieben Jahren, zu dem Gentner immerhin noch einen Assist beisteuerte. Gentner wusste: Der VfB hatte gerade nicht gegen den FC Barcelona 5:1 gewonnen, sondern gegen das Gegenteil, gegen Hannover 96. Die Niedersachsen sind seit Monaten nicht der hellste Stern, sondern eher das schwarzes Loch am Fußballhimmel, das Gegentore scheinbar magisch anzuziehen scheint.
„Wir müssen den Erfolg richtig einordnen. Wir hatten einen schwachen Gegner heute, das muss man so sehen. Es ist noch gar nichts gewonnen. Die Situation bleibt schwierig. Auf uns warten in den kommenden Wochen starke Gegner“, sagte Gentner also, und man hatte das Gefühl, da spricht kein Spieler, sondern ein Trainer. Dem offiziellen Trainer allerdings, Markus Weinzierl, war nicht wirklich nach Demut zumute. Bis zum Schützenfest am Fasnetssonntag war der 44-Jährige der Coach mit dem schlechtesten Punkteschnitt in der VfB-Geschichte, nur elf hatte er geholt in 16 Spielen. Von Woche zu Woche wurde Weinzierl von Reportern noch besorgter nach seinem Befinden gefragt, was immer auch implizierte: Zittern Sie um Ihren Job, machen Sie sich Sorgen, am Montag noch da zu sein?
Seit Sonntag dürfte klar sein: Weinzierl hat in den kommenden Partien in Dortmund, gegen Hoffenheim und in Frankfurt nicht nur ein paar weitere Niederlagen gut, er könnte sogar durchaus das Saisonende im Amt erleben. So breit grinsend wie nach dem Keller-Coup sah man den Bayern noch nie in Stuttgart, und so optimistisch klang er auch noch nicht. Die Relegation, auf der derzeit alles hindeutet in Stuttgart? Sei absolut vermeidbar, meinte Weinzierl. „Die Tendenz stimmt. Wir haben zwei Punkte auf Augsburg, vier auf Schalke, wir sind in der Lage, es aus eigener Kraft zu schaffen. Das gibt uns Zuversicht“, fand der Trainer – wohlwissend, dass sein VfB bei beiden seinen Ex-Clubs noch auswärts spielt. Und wohlwissend, dass es eigentlich drei und fünf Zähler Abstand sind – bedenkt man, dass das Torverhältnis des VfB um Längen schlechter ist.
Ein 18-Jähriger als Vorbild
Immerhin: Das Hannoverspiel zeigte erneut, dass Weinzierl nach langem Tüfteln das passende System gefunden hat. Sein 3-5-2- respektive 5-3-2 mit Steven Zuber und Alexander Esswein, den im Winter gekommenen dauerrackernden Halbstürmern hinter Mario Gomez, wirkt um einiges kompakter als das 4-4-2 zuvor. In Zuber gewann das Team den lange vermissten zweiten torgefährlichen Spieler zu Gomez hinzu, und der 18-jährige Innenverteidiger Ozan Kabak, eigentlich als langfristiger Ersatz für Weltmeister Benjamin Pavard geholt, entpuppt sich wie erhofft als Sofort-Verstärkung. Alle drei Spieler wurden noch im Winter von Michael Reschke verpflichtet, beim Türken Kabak, der nun der jüngste Abwehrspieler der Bundesliga-Geschichte mit einem Doppelpack ist, geriet Reschkes Nachfolger Thomas Hitzlsperger sogar ins Schwämen: „Er will alles wissen, will sofort Deutsch lernen, alles verstehen. Diese Einstellung brauchen wir. Da ist er schon ein Vorbild – trotz seines Alters."
Vorbilder – interne oder externe – bräuchten auch die Hannoveraner. „Angsthasenfußball“, einen „Grottenkick“und „Amateurfehler“hatte Trainer Thomas Doll bei seiner dezimierten Mannschaft gesehen – zuvorderst wohl jenen von Oliver Sorg, der sich vor dem 0:1 völlig grundlos meterweit vom Torschützen Gomez entfernt hatte. „Meine Rückkehr in die Bundesliga habe ich mir wirklich anders vorgestellt“, bilanzierte Doll, der ein Freund vieler und zumeist klarer Worte ist. Vielleicht könnte man den Satz auch umdrehen – und den Trainer in die Pflicht nehmen. Präsident Martin Kind und Manager Horst Heldt hatten sich das Doll-Comeback nach zehn Jahren Bundesliga-Pause mutmaßlich ebenfalls anders vorgestellt. Der 52Jährige schafft es nicht, seiner Mannschaft Selbstvertrauen und Aggressivität einzuimpfen, auch wenn er sagt: „Wenn ich das Gefühl hätte, nicht nah an der Mannschaft zu sein, wäre ich der Erste, der hier seine Tasche packt und sagt: Komm, macht’s ohne mich.“
Hannover scheint nicht zu retten zu sein, Schlusslicht Nürnberg auch nicht. Jeder Bundesligaclub, der nach 24 Spielen nur 14 Zähler hatte, stieg bisher ab. 96 habe am Sonntag seinen „Rücktritt eingereicht“, schrieb der „kicker“, „Sogar zu schlecht für Stuttgart“, titelten die „11 Freunde“. So kann man es sehen.