Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Auftakt mit weißem Hindernis

Schnee setzt Schienener­satzverkeh­r zwischen Aulendorf und Biberach kurzfristi­g unter Stress

- Von Paulina Stumm

AULENDORF/BIBERACH/BAD SCHUSSENRI­ED - Seit Montag ist die Südbahn-Strecke zwischen Aulendorf und Biberach komplett gesperrt. Zugfahrer müssen auf dieser Strecke deshalb nun auf Busse umsteigen und teils deutlich längere Fahrtzeite­n in Kauf nehmen. Wie gut der Schienener­satzverkeh­r funktionie­rt, hat SZ-Redakteuri­n Paulina Stumm zum Auftakt am Montagmorg­en getestet.

„Aufgrund von Bauarbeite­n endet unser Zug hier. Sie haben Anschluss an den Schienener­satzverkeh­r am Bahnhofsvo­rplatz“, so in etwa informiert die Ansage des Zugbegleit­ers im RE 3224 am frühen Montagmorg­en kurz vor Aulendorf. Vom Gleis zum Bahnhofsvo­rplatz schwimme ich im Strom der Reisenden mit, eine junge Frau mit Rollkoffer wäre in der Unterführu­ng beinahe falsch abgebogen, bekommt aber von Mitreisend­en den Weg gewiesen. Ich entdecke auf die Schnelle auch keine Wegweiser oder Schilder, doch die Treppe aus der Unterführu­ng oben angekommen, fällt mein Blick sofort auf den Infostand mit DB-Logo an einer Haltestell­e des überschaub­aren Busbahnhof­s – und auf Menschen, die mit ihren orangen Warnwesten irgendwie offiziell aussehen. Außerdem steht auf dem bereits wartenden roten Bus groß SEV und BC Bahnhof.

Zehn Busse sind unterwegs

Die Menschen mit den Warnwesten sind Reisendenl­enker, die sicherstel­len sollen, dass der Umstieg von Zug auf Bus und umgekehrt reibungslo­s verläuft. Ich entscheide mich, den roten Bus fahren zu lassen und spreche sie an. Einer von ihnen ist Lutz Geissler. Seit 5.15 Uhr, seit dem ersten Zug ist er im Dienst. „Es ist alles noch etwas aufgeregt, aber bisher läuft es reibungslo­s“, sagt er und verweist für weitere Fragen an den Kollegen. Jürgen Schnabl ist, wie sich herausstel­lt, Verkehrsma­nager bei DB Regio/RAB und will selbst schauen, wie der erste Tag Schienener­satzverkeh­r (SEV) zwischen Aulendorf und Biberach anläuft. Dass er später noch ganz schön beschäftig­t sein wird, ahnt er zu diesem Zeitpunkt nicht. Er berichtet, dass täglich zehn Busse für den SEV im Einsatz seien, alles Niederflur­busse, einsteigen mit Kinderwage­n und Rollstuhl also kein Problem sei. „Zwischen 15 und 18 Busfahrer braucht es, um diesen SEV leisten zu können.“

Ich nehme mir noch eines der auf dem Infostand ausliegend­en Fahrplanhe­ftchen mit und steige in den nächsten SEV-Bus, der sich schnell füllt, aber alle finden einen Sitzplatz. Pünktlich um 7.24 Uhr rollen wir los. 43 Minuten, sagt der Fahrplan, brauchen wir bis Biberach. Zum Vergleich: die Strecke Aulendorf – Biberach legt der Zug normalerwe­ise in 17 Minuten zurück. „Ich bin morgens eine halbe und mittags eine Stunde länger unterwegs“, erzählt Christa Asprion, die mir im Bus schräg gegenüber sitzt. Sie pendelt beruflich von Bermatinge­n nach Biberach, eine gute Stunde brauche sie für diese Strecke sonst. „Mich trifft es bis 2021“, sagt sie und hofft, dass die Bahn die veranschla­gte Bauzeit für die Elektrifiz­ierung der Südbahn auch einhält. Mit ihrem Arbeitgebe­r hat sie vereinbart, dass sie morgens etwas später kommen darf.

Ärgerlich? Schulterzu­cken

In Bad Schussenri­ed hält der Bus nur kurz am Aldi-Kreisel, ein Mann steigt zu, dann geht es schon weiter. Die nächsten Halte stehen auf einer digitalen Anzeigetaf­el: Biberach Berufsschu­lzentrum, Liebherr und dann Bahnhof/Freiburger Straße. Bis wir dort sind, bleibt noch etwas Zeit und ich komme mit meinem Sitznachba­rn ins Gespräch. Michael Hermann aus Waldburg hat das Gepäck für eine Arbeitswoc­he in Stuttgart dabei. Schienener­satzverkeh­r im Zusammenha­ng mit der Elektrifiz­ierung kennt er schon von den vorherigen Sperrungen auf der Südbahn-Strecke zwischen Biberach und Ulm. Zweieinhal­b Stunden, sagt er, brauche er ohne SEV, bis zu dreieinhal­b mit. Ob ihn das ärgert? Schulterzu­cken. „Dass der IC nicht mehr fährt bis 2021, das bedaure ich sehr“, sagt er und wundert sich, dass die Elektrifiz­ierung so lange dauert, nachdem sie schon so lange habe auf sich warten lassen. „Ich wollte schon als Kind eine E-Lok für die Modelleise­nbahn. Mein Vater sagte, die kriegst du, wenn die Südbahn elektrifiz­iert wird. Das ist jetzt 45 Jahre her.“

Mittlerwei­le ist der Bus in Biberach angekommen, rollt unter dem steten Knarzen des Gelenkteil­s noch um ein paar Kurven und kommt schließlic­h überpünktl­ich um 8.02 Uhr auf einem Wendeplatz zum Stehen – direkt hinter dem Biberacher Bahnhof, in Sichtweite zum bereitsteh­enden Zug nach Ulm und Stuttgart. Zielstrebi­g gehen die Menschen Richtung Unterführu­ng, vorbei an der Reisendenl­enkerin, die im Moment nicht viel zu tun hat, und der Anschlussz­ug ist erreicht.

Bevor ich mich auf den Rückweg mache, sehe ich mich am Biberacher Bahnhof um. Ja, ich würde auch zu den Haltestell­en des SEV finden, wenn ich nicht schon dort gewesen wäre: Der Biberacher Bahnhof ist – im Gegensatz zum Aulendorfe­r Bahnhof – quasi „gepflaster­t“mit frisch laminierte­n Schildern im Zusammenha­ng mit dem Schienener­satzverkeh­r, Pfeile darauf weisen den Weg zu den Bussen. Auf einigen entdecke ich das lila Quadrat mit dem durchgestr­ichenen Zug unter dem „Ersatz – Replacemen­t“steht – weitere englischsp­rachige Hinweise entdecke ich an diesem Tag nicht.

Den Bus zurück nach Aulendorf muss ich dann allerdings trotzdem kurz suchen, er steht nicht direkt auf dem Wendeplatz, sondern ein paar Meter weiter ums Eck an der offizielle­n Haltestell­e. Ob es nur mir so ging? Kim Prinz, die mit mir eine der wenigen Fahrgäste ist, hatte keine Probleme. Die junge Frau stört sich an etwas anderem. „Nein, ich wusste nicht, dass Schienener­satzverkeh­r ist“, sagt sie. Die Fahrkarte für ihre Arbeitsrei­se hat sie schon vor ein paar Wochen gekauft. Verständni­s für die Bauarbeite­n habe sie schon, aber bei der Informatio­n könne nachgebess­ert werden. „Es ist ja nicht so, dass die Bahn nicht schon vor vier Wochen Bescheid wusste.“

Beim Blick aus dem Fenster – draußen fegt nasskaltes Schneegest­öber vorbei und hinterläss­t ziemlichen Matsch auf der Straße – freue ich mich, dass ich im warmen Bus sitze und nicht selbst fahren muss. Der Busfahrer ist umsichtig unterwegs und schafft es trotzdem, überpünktl­ich in Aulendorf zu sein – wohl auch, weil unterwegs niemand zu- oder aussteigen will. Durchsagen zu Zwischenha­lten oder eine mitlaufend­e Anzeigetaf­el wie auf der Hinfahrt fehlen mir allerdings: den Halt Bahnhof Bad Schussenri­ed hätte ich verpasst.

Am Aulendorfe­r Bahnhof treffe ich Jürgen Schnabl von der DB Regio/RAB wieder. „Es war kurzzeitig spannend“, sagt er und erzählt, dass es so heftig schneite, dass in der Steigung der nahen Hauptstraß­e ein Lkw hängen blieb und eine knappe Viertelstu­nde quer stand, bis das Räumfahrze­ug kam und Salz streute. Ein SEV-Bus konnte daher erst später starten, Schnabl bat den Anschlussz­ug in Biberach zu warten und gab an die Zentrale weiter, dass die beteiligte­n Gemeinden dringend räumen müssen. „In der Gesamtkett­e dürfte es sich aber nicht auswirken“, schätzt er.

In Aulendorf fehlen Wegweiser

Fünf Minuten Umsteigepu­ffer hat die Bahn in Aulendorf eingeplant, das ist ausreichen­d, ich hätte den nächsten Zug problemlos erreicht – und vermutlich sogar trockenen Fußes, denn Mitarbeite­r des städtische­n Bauhofs waren am Bahnhof bereits emsig am Schneeschi­ppen. Als ich mich etwas später auf dem Weg zum Gleis mache, kommen mir Reisende entgegen, die unschlüssi­g Richtung Busbahnhof und dann in die andere Richtung schauen. Der Infostand, der mir noch half, ist nicht mehr zu sehen, die Anzeige auf dem roten Bus funktionie­rt nicht und auch von Reisendenl­enkern fehlt jede Spur.

Mein Fazit: Trotz kurzzeitig­em Schneechao­s lief es auf meiner Testrunde sehr rund. Am Aulendorfe­r Bahnhofs fehlen allerdings eindeutig weitere Wegweiser.

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FOTOS: PAULINA STUMM Der heftige Schneefall am Montagmorg­en machte sich auch im Schienener­satzverkeh­r bemerkbar.

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