Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Giftmüll-Streit im Elsass vor Gericht
Mehr als 40 000 Tonnen Sondermüll in einer alten Kalimine bedrohen das Grundwasser
PARIS (lon) - In Wittelsheim im Elsass, unweit der Grenze zu BadenWürttemberg, lagern in der Giftmülldeponie Stocamine Tonnen gefährlicher Substanzen. Frankreichs Umweltministerium entschied im Januar, die Deponie solle zubetoniert werden. Den Sondermüll zu bergen, sei zu gefährlich. Dagegen regt sich nun Widerstand von Naturschützern und elsässischen Lokalpolitikern. Ab morgen verhandelt das Verwaltungsgericht Straßburg über die Beschwerde gegen eine Endlagerung in Wittelsheim.
PARIS - Die Giftmülldeponie Stocamine bedroht das Grundwasser im Elsass. Der Umweltskandal unweit der Grenze zu Baden-Württemberg ist schon seit Jahren bekannt. Doch noch immer steht nicht fest, was mit dem Giftmüll geschehen soll.
Das Foto, das auf Seite 49 des Parlamentsberichts prangt, ist wenig vertrauenerweckend. Es zeigt weiße Säcke aufgereiht in einem Gang, dessen Decke eingestürzt ist und dessen Wände bröckeln. Aufgenommen wurde das Bild in der Sondermülldeponie Stocamine im elsässischen Wittelsheim, rund 30 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Mehr als 40 000 Tonnen Giftmüll lagern dort in einer ehemaligen Kalimine. Und zwar unter Bedingungen, die drei französische Abgeordnete in ihrem im vergangenen Jahr veröffentlichten Bericht als abenteuerlich schildern. Die Parlamentarier fordern deshalb, alles, was an Fässern und Spezialsäcken noch in 500 Metern Tiefe liegt, an die Oberfläche zu holen. Vor allem, weil der Giftmüll eines der größten Grundwasserreservoirs Europas bedroht, das bis nach Deutschland und in die Schweiz reicht.
Für Deutschland gibt der Umweltverband BUND zumindest kurzfristig Entwarnung. „Für einige hundert Jahre ist nicht von einer Gefahr für Deutschland auszugehen“, sagt Geschäftsführer Axel Mayer. Der Grund: Die Grundwasserströme liefen von Wittelsheim Richtung Straßburg und nicht Richtung Deutschland. Für das Elsass ist das, was da in der Nähe von Mulhouse lagert, allerdings hochgefährlich: Laborabfälle, Zyanid, Asbest, Arsen, sowie chromund quecksilberhaltige Substanzen listet der Parlamentsbericht auf.
Das größte Giftmülllager Frankreichs wurde 1999 eingeweiht und versprach den Bewohnern der Region, die früher für ihre Kaliminen bekannt war, Arbeitsplätze. 320 000 Tonnen Giftmüll sollten unterirdisch gelagert werden, doch schon drei Jahre später ereignete sich der GAU: In der Mine brach ein Brand aus, der erst zweieinhalb Monate später vollständig gelöscht war. Dabei sollten in dem verzweigten Stollensystem unter der Erde eigentlich nur nicht brennbare Materialien lagern. „Dieser Brand, der laut Justiz durch Nicht-Einhaltung der Vorschriften verursacht wurde, zeigt alle Mängel, die das Projekt aufweist“, heißt es in dem Parlamentsbericht. Trotz der offensichtlichen Fehler wurde die Firma Stocamine 2009 nur zu einer Geldstrafe von 50 000 Euro verurteilt.
Nach der Brandkatastrophe war allerdings klar, dass zumindest ein Teil des giftigen Mülls nun aus den Stollen geholt werden sollte. Doch es dauerte bis 2014, bis ein Großteil des gelagerten Quecksilbers in ein Salzbergwerk nach Thüringen gebracht wurde. Was mit dem Rest geschehen soll, ist bis heute unklar. „Die Abfälle müssen geborgen werden, wenn das technisch möglich ist“, fordern die Parlamentarier ganz klar. Sie geben allerdings auch zu, dass es in Frankreich keinen anderen Ort gibt, wo die besonders gefährlichen Stoffe gelagert werden können. Der Weg nach Deutschland oder in ein anderes Land wäre damit unvermeidlich.
Die Zeit drängt
Der mehr als 70 Seiten dicke Parlamentsbericht reiht sich an andere Gutachten, die zu dem Thema erstellt wurden. So gab der bekannte Umweltaktivist Nicolas Hulot als Minister eine Studie in Auftrag, die die Bergung des gesamten Giftmülls untersuchen sollte. Umweltschützer schöpften damals Hoffnung, doch Hulots Nachfolger François de Rugy kündigte im Januar an, dass der Rest des gefährlichen Abfalls in den Stollen bleiben solle. Die Sondermülldeponie solle zubetoniert werden, entschied der Minister und begründete seinen Schritt mit den Gefahren einer Bergung. Die will er nun allerdings doch noch in einer weiteren Studie untersuchen lassen, die er unter dem Druck der elsässischen Lokalpolitiker in Auftrag gab.
Ein Jahr soll das neue Gutachten dauern, doch die Zeit drängt. „Der Bergdruck wächst und die Bergung wird schwieriger“, warnt Mayer. Das Gestein in den Stollen bewegt sich laut Experten um vier bis sechs Zentimeter pro Jahr. Die Gegner von Stocamine versuchen deshalb, ihr Anliegen juristisch durchzusetzen: Von Mittwoch an verhandelt das Verwaltungsgericht Straßburg über ihre Beschwerde gegen eine Endlagerung des Giftmülls in Wittelsheim.