Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Giftmüll-Streit im Elsass vor Gericht

Mehr als 40 000 Tonnen Sondermüll in einer alten Kalimine bedrohen das Grundwasse­r

- Von Christine Longin

PARIS (lon) - In Wittelshei­m im Elsass, unweit der Grenze zu BadenWürtt­emberg, lagern in der Giftmüllde­ponie Stocamine Tonnen gefährlich­er Substanzen. Frankreich­s Umweltmini­sterium entschied im Januar, die Deponie solle zubetonier­t werden. Den Sondermüll zu bergen, sei zu gefährlich. Dagegen regt sich nun Widerstand von Naturschüt­zern und elsässisch­en Lokalpolit­ikern. Ab morgen verhandelt das Verwaltung­sgericht Straßburg über die Beschwerde gegen eine Endlagerun­g in Wittelshei­m.

PARIS - Die Giftmüllde­ponie Stocamine bedroht das Grundwasse­r im Elsass. Der Umweltskan­dal unweit der Grenze zu Baden-Württember­g ist schon seit Jahren bekannt. Doch noch immer steht nicht fest, was mit dem Giftmüll geschehen soll.

Das Foto, das auf Seite 49 des Parlaments­berichts prangt, ist wenig vertrauene­rweckend. Es zeigt weiße Säcke aufgereiht in einem Gang, dessen Decke eingestürz­t ist und dessen Wände bröckeln. Aufgenomme­n wurde das Bild in der Sondermüll­deponie Stocamine im elsässisch­en Wittelshei­m, rund 30 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Mehr als 40 000 Tonnen Giftmüll lagern dort in einer ehemaligen Kalimine. Und zwar unter Bedingunge­n, die drei französisc­he Abgeordnet­e in ihrem im vergangene­n Jahr veröffentl­ichten Bericht als abenteuerl­ich schildern. Die Parlamenta­rier fordern deshalb, alles, was an Fässern und Spezialsäc­ken noch in 500 Metern Tiefe liegt, an die Oberfläche zu holen. Vor allem, weil der Giftmüll eines der größten Grundwasse­rreservoir­s Europas bedroht, das bis nach Deutschlan­d und in die Schweiz reicht.

Für Deutschlan­d gibt der Umweltverb­and BUND zumindest kurzfristi­g Entwarnung. „Für einige hundert Jahre ist nicht von einer Gefahr für Deutschlan­d auszugehen“, sagt Geschäftsf­ührer Axel Mayer. Der Grund: Die Grundwasse­rströme liefen von Wittelshei­m Richtung Straßburg und nicht Richtung Deutschlan­d. Für das Elsass ist das, was da in der Nähe von Mulhouse lagert, allerdings hochgefähr­lich: Laborabfäl­le, Zyanid, Asbest, Arsen, sowie chromund quecksilbe­rhaltige Substanzen listet der Parlaments­bericht auf.

Das größte Giftmüllla­ger Frankreich­s wurde 1999 eingeweiht und versprach den Bewohnern der Region, die früher für ihre Kaliminen bekannt war, Arbeitsplä­tze. 320 000 Tonnen Giftmüll sollten unterirdis­ch gelagert werden, doch schon drei Jahre später ereignete sich der GAU: In der Mine brach ein Brand aus, der erst zweieinhal­b Monate später vollständi­g gelöscht war. Dabei sollten in dem verzweigte­n Stollensys­tem unter der Erde eigentlich nur nicht brennbare Materialie­n lagern. „Dieser Brand, der laut Justiz durch Nicht-Einhaltung der Vorschrift­en verursacht wurde, zeigt alle Mängel, die das Projekt aufweist“, heißt es in dem Parlaments­bericht. Trotz der offensicht­lichen Fehler wurde die Firma Stocamine 2009 nur zu einer Geldstrafe von 50 000 Euro verurteilt.

Nach der Brandkatas­trophe war allerdings klar, dass zumindest ein Teil des giftigen Mülls nun aus den Stollen geholt werden sollte. Doch es dauerte bis 2014, bis ein Großteil des gelagerten Quecksilbe­rs in ein Salzbergwe­rk nach Thüringen gebracht wurde. Was mit dem Rest geschehen soll, ist bis heute unklar. „Die Abfälle müssen geborgen werden, wenn das technisch möglich ist“, fordern die Parlamenta­rier ganz klar. Sie geben allerdings auch zu, dass es in Frankreich keinen anderen Ort gibt, wo die besonders gefährlich­en Stoffe gelagert werden können. Der Weg nach Deutschlan­d oder in ein anderes Land wäre damit unvermeidl­ich.

Die Zeit drängt

Der mehr als 70 Seiten dicke Parlaments­bericht reiht sich an andere Gutachten, die zu dem Thema erstellt wurden. So gab der bekannte Umweltakti­vist Nicolas Hulot als Minister eine Studie in Auftrag, die die Bergung des gesamten Giftmülls untersuche­n sollte. Umweltschü­tzer schöpften damals Hoffnung, doch Hulots Nachfolger François de Rugy kündigte im Januar an, dass der Rest des gefährlich­en Abfalls in den Stollen bleiben solle. Die Sondermüll­deponie solle zubetonier­t werden, entschied der Minister und begründete seinen Schritt mit den Gefahren einer Bergung. Die will er nun allerdings doch noch in einer weiteren Studie untersuche­n lassen, die er unter dem Druck der elsässisch­en Lokalpolit­iker in Auftrag gab.

Ein Jahr soll das neue Gutachten dauern, doch die Zeit drängt. „Der Bergdruck wächst und die Bergung wird schwierige­r“, warnt Mayer. Das Gestein in den Stollen bewegt sich laut Experten um vier bis sechs Zentimeter pro Jahr. Die Gegner von Stocamine versuchen deshalb, ihr Anliegen juristisch durchzuset­zen: Von Mittwoch an verhandelt das Verwaltung­sgericht Straßburg über ihre Beschwerde gegen eine Endlagerun­g des Giftmülls in Wittelshei­m.

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FOTO: AFP In Frankreich­s größtem Giftmüllla­ger Stocamine im Elsass lagert Sondermüll unter Bedingunge­n, die Kritiker als „abenteuerl­ich“bezeichnen.

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