Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Plädoyer für eine Frau als EU-Chefin
Der französische Präsident will den EVP-Kandidaten als EU-Kommissionschef verhindern
BRÜSSEL (dpa) - EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager wirbt für eine Frau als Nachfolgerin von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. „Natürlich sollte es eine Frau sein“, sagte die Dänin. Sie ließ offen, ob sie selbst interessiert ist. Ob die Sozialliberale Chancen hat, dürfte sich jedoch erst in einem komplizierten Postenpoker nach der Europawahl weisen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron lehnt das bisher übliche Spitzenkandidaten-Verfahren ab.
PARIS - Mit liberalen Verbündeten will Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei der Auswahl des neuen EU-Kommissionspräsidenten mitmischen. Doch der Einfluss Macrons ist begrenzt.
Macron wäre gerne Oberhaupt jenes Bündnisses, das sich am Wochenende im Straßburger Kongresspalast zusammenfand. Politiker aus zwölf Ländern waren zu Gast, darunter Vertreter der spanischen Zentrumspartei Cuidadanos und der deutschen FDP oder der ungarischen Oppositionspartei Momentum. Der italienische Mitte-Links-Politiker Matteo Renzi sendete eine Videobotschaft und auch der portugiesische Ministerpräsident Antonio Costa, ein Sozialist, schaltete sich auf dem Großbildschirm dazu.
Dieses Bündnis entspricht Macrons Selbstverständnis, weder rechts noch links zu sein. Bei den Präsidentschaftswahlen 2017 brachte der 41-Jährige mit diesem Konzept die Parteienlandschaft in Frankreich komplett durcheinander. Auf europäischer Ebene fällt ihm das allerdings deutlich schwerer – trotz der Bilder aus Straßburg. Macron baut nämlich mit seiner neuen Allianz auf die liberale ALDE-Fraktion, die die viertgrößte Gruppe im Europaparlament ist. Zusammen mit Macrons La République en Marche (LREM) und neuen Verbündeten könnte sie auf rund 100 Abgeordnete kommen. „Wir werden in der Mitte eine Gruppe bilden, ohne die nichts möglich sein wird“, sagte LREM-Spitzenkandidatin Nathalie Loiseau kämpferisch.
Der Blick auf die Umfragen gibt ihr erst einmal recht: Konservative und Sozialdemokraten dürften im neuen Europaparlament erstmals zusammen keine Mehrheit mehr haben. Die neue liberale Fraktion könnte deshalb zum Zünglein an der Waage werden. Die Rolle des Königsmachers dürfte allerdings nicht Macron zufallen, sondern dem ALDE-Chef Guy Verhofstadt. Der frühere belgische Regierungschef sitzt seit zehn Jahren im Europaparlament und will Parlamentspräsident werden.
Ob er diesen Plan aufs Spiel setzt, um Macrons europäische Machtspiele mitzuspielen, ist fraglich. Der französische Staatschef will vor allem Manfred Weber, den deutschen Spitzenkandidaten der konservativen EVP-Fraktion, als neuen Kommissionspräsidenten verhindern. Von der Idee, den Spitzenkandidaten der größten Parteienfamilie zum neuen Kommissionspräsidenten zu machen, hält Macron ohnehin nichts.
Barnier im Gespräch
Gerne würde er auf den wichtigen EU-Posten einen Franzosen setzen. Zum Beispiel Michel Barnier, den Brexit-Beauftragten der EU. Der Konservative, der aus seiner Nähe zu Macron keinen Hehl macht, wäre für den Top-Job in Brüssel durchaus zu haben. „Ich möchte Europa nützlich sein“, sagte der 68-Jährige am Sonntag in einem Interview. Diplomaten in Paris kritisieren allerdings, dass Macron sich mit Barnier eines Mannes bedient, der nicht gerade für einen Aufbruch in der EU steht. Immerhin versuchte der frühere Außenminister schon 2014 Kommissionspräsident zu werden. Damals für die EVP, die den jetzigen Kommissionschef Jean-Claude Juncker vorzog.
Fraglich ist auch, ob die anderen Staats- und Regierungschefs Macrons Personalie gut heißen. Der Präsident steht nämlich in der EU zunehmend allein da, wie sein Votum gegen die Aufnahme von Handelsgesprächen mit den USA Mitte April zeigte. Frankreich verweigerte als einziges Land die Verhandlungen, weil die USA 2015 aus dem Pariser Klimaabkommen ausgeschert waren. „Emmanuel Macron ist in Europa völlig isoliert, weil er sich geirrt hat. Er hat alle belehrt, gute und schlechte Noten verteilt und gespalten“, kritisierte der liberal-konservative Abgeordnete Jean-Christophe Lagarde vergangene Woche im Radiosender RTL. Macrons Ruf als europäischer Anführer litt außerdem unter der Krise der „Gelbwesten“, die der Präsident wochenlang nicht in den Griff bekam. Ein gutes Ergebnis bei den Europawahlen ist für Macron also dringend nötig, wenn er in Europa weiter den Ton angeben will.