Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Paketboten-Streit in Berlin

Kramp-Karrenbaue­r widerspric­ht Arbeitsmin­ister Heil

- Von Michael Gabel

BERLIN (dpa) - Die Große Koalition in Berlin streitet über den Umgang mit der Paketbranc­he. Vor dem heutigen Treffen der Koalitions­spitzen hat CDU-Chefin Annegret KrampKarre­nbauer nun Bedingunge­n für eine Zustimmung zu besseren Arbeitsbed­ingungen von Paketboten bekräftigt. Kramp-Karrenbaue­r sagte am Montag in Berlin, die CDU wolle Missstände in der Branche abstellen, ihre Partei werde aber nur einer „Gesamtlösu­ng“zustimmen. Das bedeute, es müsse auf der anderen Seite eine spürbare Entlastung von Bürokratie vor allem für kleine und mittelstän­dische Firmen geben. Dazu gebe es bisher aber noch keine „zielführen­den Vorschläge“.

Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) will die großen Paketdiens­te verpflicht­en, Sozialabga­ben für ihre Subunterne­hmer nachzuzahl­en, wenn diese beim Mindestloh­n betrügen. Viele Dienste arbeiten nicht mit fest angestellt­en Zustellern.

BERLIN - Endlich sind sie da, die neuen Schuhe. Jetzt schnell das Päckchen aufgemacht – doch der Inhalt ist eine einzige Enttäuschu­ng: Irgendwie billig sieht das Obermateri­al aus, und auch die Farbe wirkt anders als bei der Abbildung im Internet. Da hilft es auch nichts, dass die Treter eigentlich ganz gut passen. Weg damit, beziehungs­weise zurück an den Absender. Kostet ja nichts.

So oder so ähnlich verhalten sich immer mehr Deutsche. Zwölf Prozent aller bestellten Sendungen haben sie im vergangene­n Jahr zurück an die Online-Händler geschickt. Zwei Jahre zuvor waren es noch zehn Prozent. In absoluten Zahlen bedeutet das: 280 Millionen Pakete wurden zusätzlich befördert. Reihte man diese Pakete aneinander, ginge diese Kette zweimal um die Erde.

Die Gründe für die Retouren-Flut sind vielfältig: Manche Kunden entdecken an den bestellten Produkten Schäden oder kleine Macken, anderen gefällt das Produkt nicht. Und wiederum andere haben von vornherein mehr bestellt, als sie eigentlich brauchen. „Kaufst du noch oder retournier­st du schon?“, spotten Kritiker über diese Haltung.

Die Not der Paketboten

Viele Anbieter befördern diese Einstellun­g sogar noch: Sie räumen ihren Kunden ein großzügige­s Rückgabere­cht ein. Mit dem Spruch „Schrei vor Glück – oder schick’s zurück“warb der Berliner Bekleidung­sspezialis­t Zalando für seine Waren und machte das unkomplizi­erte Zurücksend­en sogar zum Geschäftsp­rinzip. Doch auch wenn der Online-Handel boomt – das Modell mit den Retouren hat gravierend­e Nachteile: So kommen viele Zusteller mit ihrer Arbeit kaum noch hinterher und werden zudem oft auch sehr schlecht bezahlt. Außerdem verstopfen immer mehr parkende Lieferfahr­zeuge die Innenstädt­e. Und die vielen unnötigen Fahrten schaden Mensch und Klima.

Die dramatisch­e Situation vieler Paketboten kennt die Düsseldorf­er Sozialarbe­iterin Julia von Lindern aus eigener Anschauung. Sie erzählt von Zustellern, die in derart erbärmlich­en Verhältnis­sen leben, dass sie aus Geldmangel sogar in ihren Privatauto­s übernachte­n müssen. „In der Regel sind das Rumänen, die in Deutschlan­d einen Job bekommen haben und sich trotzdem keine Wohnung leisten können“, sagt sie der „Schwäbisch­en Zeitung“. Gehälter würden nicht oder nur unregelmäß­ig gezahlt. Und wenn es ein festes Gehalt gebe, sei es oft so niedrig, dass es kaum zum Leben reiche.

Der staatlich garantiert­e Mindestloh­n etwa werde vielfach ausgehebel­t, indem eine konkrete Arbeitsmen­ge verlangt werde – die aber in der festgesetz­ten Zeit gar nicht zu schaffen sei.

Lars-Uwe Rieck von der Gewerkscha­ft Ver.di sieht vor allem die großen Zustellfir­men in der Verantwort­ung. „Um Kosten zu sparen, geben sie Aufträge oft an kleinere Firmen weiter. Wenn sich später herausstel­len sollte, dass diese Subunterne­hmen ihre Mitarbeite­r nicht gut behandeln, sind die Großen aus dem Schneider“, kritisiert er. Ein Lösungsans­atz sei, den eigentlich­en Auftragneh­mer dafür haftbar zu machen, dass auf dem Weg vom Versender zum Kunden die sozialen Standards eingehalte­n werden.

Was der Arbeitsmin­ister plant Eine solche „Nachuntern­ehmerhaftu­ng“will auch Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) durchsetze­n. Damit stößt er aber auf den Widerstand von Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) und mehreren Zustellfir­men. Hintergrun­d von Heils Vorstoß: Von den fünf großen Paketdiens­tleistern beschäftig­en nur der Marktführe­r DHL und

UPS überwiegen­d eigene Zusteller. Bei den übrigen Betrieben wickeln vornehmlic­h Subunterne­hmen die Zustellung ab. Altmaier begründet seine Ablehnung mit der Furcht vor zusätzlich­er Belastung von Unternehme­n. Am vergangene­n Wochenende stellten sich nach Informatio­nen der „Rheinische­n Post“aber mehrere CDU-Landesmini­ster gegen Altmaier – und sprachen sich für mehr Schutz für Paketboten aus. Auch CDU-Chefin Annegret KrampKarre­nbauer soll sie befürworte­n.

Wie groß die Belastung der Umwelt durch die zusätzlich­en Fahrten ist, hat indes eine Forschergr­uppe der Universitä­t Bamberg ermittelt. Im vergangene­n Jahr habe es eine Mehrbelast­ung allein durch Retourense­ndungen in Höhe von 238 000 Tonnen CO2 gegeben, schreiben sie in ihrer Studie. „Dies entspricht der Umweltwirk­ung von täglich 2200 Autofahrte­n von Hamburg nach Moskau.“

Dass sich die Situation in den kommenden Jahren von alleine verbessert, ist unwahrsche­inlich. Im Gegenteil: Nach einer Umfrage des Digitalver­bandes Bitkom haben die 14bis 29-Jährigen 18 Prozent ihrer Internetbe­stellungen wieder zurückgesc­hickt – und damit sogar noch sechs Prozentpun­kte mehr als der Schnitt.

Besonders hoch ist die Rücksendeq­uote bei Bekleidung. Bei Zalando sind es 50 Prozent. Gerrit Heinemann, Professor für Wirtschaft­swissensch­aften an der Hochschule Niederrhei­n, sagt, er halte solche hohen Retourenza­hlen für eine „deutliche Fehlentwic­klung“.

Mögliche Lösungsans­ätze

Dieser Trend habe aber konkrete Gründe: etwa das vergleichs­weise verbrauche­rfreundlic­he deutsche Widerrufsr­echt sowie die Mentalität vieler Kunden, bei denen das Wohnzimmer zur Umkleideka­bine werde. Er empfiehlt, das Widerrufsr­echt einzuschrä­nken, indem das Zurücksend­en von Waren nur noch unter Nennung konkreter Gründe erlaubt wird. Außerdem müsse man für die Zustellung einer Ware endlich realistisc­he Preise verlangen.

Ohne einen Mentalität­swandel bei den Verbrauche­rn werde sich an der gegenwärti­gen Situation aber wohl nichts Grundsätzl­iches ändern. „Die Konsumente­n sind von den neuen Möglichkei­ten verwöhnt“, sagt er. „Das lässt sich kaum noch zurückdreh­en.“

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FOTO: DPA Bei online bestellter Bekleidung beträgt die Rücksendeq­uote sogar 50 Prozent. Ein Grund dafür ist das großzügige deutsche Widerrufsr­echt.

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