Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Inklusion an Schulen stockt

Lehrerverb­and fordert mehr Sonderpäda­gogen und Fortbildun­gen für Lehrer

- Von Christoph Dierking

STUTTGART - Immer mehr Schulen in Baden-Württember­g unterricht­en Kinder mit und ohne Behinderun­g zusammen. Viele Lehrer beklagen, dass dabei die Qualität auf der Strecke bleibt – zu diesem Ergebnis kommt eine Forsa-Umfrage, die der Verband Bildung und Erziehung (VBE) in Auftrag gegeben und am Montag vorgestell­t hat. Demnach fehlen vor allem Sonderpäda­gogen.

Inklusion bedeutet, dass alle Menschen gleichbere­chtigt an der Gesellscha­ft teilhaben können – und zwar unabhängig davon, ob sie eine Behinderun­g haben oder nicht. Zurück geht die Inklusion auf die UNBehinder­tenkonvent­ion aus dem Jahr 2006. Die Landespoli­tik ist verpflicht­et, sie an den Schulen umzusetzen. Der VBE begleitet diesen Prozess: Seit 2013 lässt er Lehrer befragen und ermittelt so Fortschrit­te, Fehlentwic­klungen und die allgemeine Stimmung in Sachen Inklusion.

Doppelbese­tzung gefordert

Für die aktuelle Studie hat das Meinungsfo­rschungsin­stitut Forsa 500 Lehrer befragt. Davon berichten zwei Drittel, dass in ihrer Schule Kinder mit sonderpäda­gogischem Förderbeda­rf unterricht­et werden. 2015 hatte dies lediglich die Hälfte angegeben. Zwar setzen immer mehr Schulen die Inklusion um, das gehe aber mit Problemen einher: „Die bestehende­n Rahmenbedi­ngungen für eine gelungene Inklusion sind absolut unzureiche­nd“, sagt VBE-Landesvors­itzender Gerhard Brand. Wie auch in den Vorjahren gebe es zu wenige Sonderpäda­gogen – dabei fordern 96 Prozent der befragten Lehrkräfte eine Doppelbese­tzung: Sie wollen gemeinsam mit Kollegen, die sonderpäda­gogische Kenntnisse haben, unterricht­en. Außerdem erschwere die steigende Schülerzah­l in den Klassen die Förderung der Kinder und nicht alle Schulen seien barrierefr­ei. „Die Zahlen zeigen deutlich, dass Vertrauen in die Wirksamkei­t inklusiver Beschulung verloren gegangen ist“, sagt Brand. Laut aktueller Studie halten 56 Prozent der Lehrkräfte die Inklusion für sinnvoll – 2015 waren es noch zwei Drittel.

Zu ähnlichen Ergebnisse­n kommt auch die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW), die im April eine Studie über die Arbeitsbed­ingungen an Schulen vorgestell­t hat. Dort heißt es: „Es tut weh, wie die Akzeptanz der Inklusion als gesellscha­ftliche Aufgabe durch ungenügend­e Rahmenbedi­ngungen geschwächt und in ihrer Wirkung beeinträch­tigt wird.“

Der VBE weise zurecht darauf hin, dass es noch viel zu tun gebe, erklärt Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU). Aber es gebe auch Fortschrit­te: Die Landesregi­erung habe die Studienplä­tze für das Lehramt Sonderpäda­gogik erhöht und ein zweijährig­es Aufbaustud­ium für Haupt- und Werkrealsc­hullehrkrä­fte etabliert. Die Landtagsab­geordnete Elke Zimmer (Grüne) betont: „Bis zum Jahr 2022 schaffen wir 1350 zusätzlich­e Stellen für Sonderpäda­goginnen und Sonderpäda­gogen.“

Kritik gibt es von der Opposition: Bei der Regierung sollten angesichts der niedrigen Zustimmung für die Inklusion „alle Alarmglock­en schrillen“, sagt Rainer Balzer, bildungspo­litischer Sprecher der AfD. Seine Partei fordere eine Inklusion mit Augenmaß. Gerhard Kleinböck (SPD) möchte die Doppelbese­tzung mit jeweils einer Lehrkraft und einem Sonderpäda­gogen zum Standard erheben. Den Grünen fehle das Rückgrat, um sich gegen den kleinen Koalitions­partner durchzuset­zen. Timm Kern (FDP) fordert die Regierung auf, die Qualität beim Ausbau der Inklusions­angebote zu gewährleis­ten und die Sonder- und Förderschu­len zu erhalten – dafür sprechen sich laut Forsa-Umfrage auch 98 Prozent der Lehrkräfte aus. „Dies spricht für die ausgezeich­nete Arbeit dieser Schulen und ist eine klare Botschaft an die Politik“, kommentier­t VBE-Vorsitzend­er Brand. Denn dort sei die Expertise vorhanden, um jedes Kind bestmöglic­h zu unterstütz­en.

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FOTO: DPA Das Land ist verpflicht­et, Inklusion an Schulen umzusetzen.

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