Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Inklusion an Schulen stockt
Lehrerverband fordert mehr Sonderpädagogen und Fortbildungen für Lehrer
STUTTGART - Immer mehr Schulen in Baden-Württemberg unterrichten Kinder mit und ohne Behinderung zusammen. Viele Lehrer beklagen, dass dabei die Qualität auf der Strecke bleibt – zu diesem Ergebnis kommt eine Forsa-Umfrage, die der Verband Bildung und Erziehung (VBE) in Auftrag gegeben und am Montag vorgestellt hat. Demnach fehlen vor allem Sonderpädagogen.
Inklusion bedeutet, dass alle Menschen gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben können – und zwar unabhängig davon, ob sie eine Behinderung haben oder nicht. Zurück geht die Inklusion auf die UNBehindertenkonvention aus dem Jahr 2006. Die Landespolitik ist verpflichtet, sie an den Schulen umzusetzen. Der VBE begleitet diesen Prozess: Seit 2013 lässt er Lehrer befragen und ermittelt so Fortschritte, Fehlentwicklungen und die allgemeine Stimmung in Sachen Inklusion.
Doppelbesetzung gefordert
Für die aktuelle Studie hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa 500 Lehrer befragt. Davon berichten zwei Drittel, dass in ihrer Schule Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichtet werden. 2015 hatte dies lediglich die Hälfte angegeben. Zwar setzen immer mehr Schulen die Inklusion um, das gehe aber mit Problemen einher: „Die bestehenden Rahmenbedingungen für eine gelungene Inklusion sind absolut unzureichend“, sagt VBE-Landesvorsitzender Gerhard Brand. Wie auch in den Vorjahren gebe es zu wenige Sonderpädagogen – dabei fordern 96 Prozent der befragten Lehrkräfte eine Doppelbesetzung: Sie wollen gemeinsam mit Kollegen, die sonderpädagogische Kenntnisse haben, unterrichten. Außerdem erschwere die steigende Schülerzahl in den Klassen die Förderung der Kinder und nicht alle Schulen seien barrierefrei. „Die Zahlen zeigen deutlich, dass Vertrauen in die Wirksamkeit inklusiver Beschulung verloren gegangen ist“, sagt Brand. Laut aktueller Studie halten 56 Prozent der Lehrkräfte die Inklusion für sinnvoll – 2015 waren es noch zwei Drittel.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die im April eine Studie über die Arbeitsbedingungen an Schulen vorgestellt hat. Dort heißt es: „Es tut weh, wie die Akzeptanz der Inklusion als gesellschaftliche Aufgabe durch ungenügende Rahmenbedingungen geschwächt und in ihrer Wirkung beeinträchtigt wird.“
Der VBE weise zurecht darauf hin, dass es noch viel zu tun gebe, erklärt Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU). Aber es gebe auch Fortschritte: Die Landesregierung habe die Studienplätze für das Lehramt Sonderpädagogik erhöht und ein zweijähriges Aufbaustudium für Haupt- und Werkrealschullehrkräfte etabliert. Die Landtagsabgeordnete Elke Zimmer (Grüne) betont: „Bis zum Jahr 2022 schaffen wir 1350 zusätzliche Stellen für Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen.“
Kritik gibt es von der Opposition: Bei der Regierung sollten angesichts der niedrigen Zustimmung für die Inklusion „alle Alarmglocken schrillen“, sagt Rainer Balzer, bildungspolitischer Sprecher der AfD. Seine Partei fordere eine Inklusion mit Augenmaß. Gerhard Kleinböck (SPD) möchte die Doppelbesetzung mit jeweils einer Lehrkraft und einem Sonderpädagogen zum Standard erheben. Den Grünen fehle das Rückgrat, um sich gegen den kleinen Koalitionspartner durchzusetzen. Timm Kern (FDP) fordert die Regierung auf, die Qualität beim Ausbau der Inklusionsangebote zu gewährleisten und die Sonder- und Förderschulen zu erhalten – dafür sprechen sich laut Forsa-Umfrage auch 98 Prozent der Lehrkräfte aus. „Dies spricht für die ausgezeichnete Arbeit dieser Schulen und ist eine klare Botschaft an die Politik“, kommentiert VBE-Vorsitzender Brand. Denn dort sei die Expertise vorhanden, um jedes Kind bestmöglich zu unterstützen.