Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Eine relativ schwierige Beziehung

Die Stadt Ulm will ihren großen Sohn Einstein mit einer Dauerausst­ellung würdigen – Das Verhältnis ist belastet

- Von Uwe Jauß

ULM - Mit Ulms großem Sohn Albert Einstein hat dieses mehrstöcki­ge, weiß verputzte Fachwerkha­us mit dem Namen „Engländer“auf den ersten Blick nichts zu tun. Es ist rund 600 Jahre alt und steht am Weinhof im historisch­en Zentrum der Stadt. Darin sind noch Büroräume der Verwaltung. Im Untergesch­oss hat sich eine Kunsthandl­ung einquartie­rt. Im Nachbarhau­s bietet ein Geschäft „Dauerhafte Haarentfer­nung“an. Ein Schild weist auf eine nahe Pizzeria hin. Eine Infotafel an der Wand klärt ein Stück weit auf. Hier gab es bis 1851 den Gasthof „König von England“– warum auch immer. Aber die einstige Zechstube macht die Bedeutung des Hauses nicht aus. Sein Wert führt zu dem 1879 in Ulm geborenen Physikgeni­e Albert Einstein. Dessen Vater Hermann war an der dort später untergebra­chten Bettfedern­handlung Israel & Levi beteiligt.

Wegen dieser historisch­en

Fußnote soll dem Haus jetzt eine besondere Ehre zuteil werden. Die Stadt möchte darin auf 200 Quadratmet­ern eine Dauerausst­ellung zum bisher bedeutends­ten Sohn der Stadt unterbring­en. Lästermäul­er spotten mit Blick auf solche Einstein-Würdigunge­n gerne, dass die Berühmthei­t nach ihrer Geburt gerade mal 15 Monate in Ulm gelebt habe. Sohn der Stadt bleibt aber Sohn der Stadt. Und so ist die Eröffnung der Schau für Ende 2021/Anfang 2022 geplant, rechtzeiti­g zum 100sten Jubiläum der Physik-Nobelpreis­verleihung an Einstein. „Ich meine, dass eine solche Ausstellun­g wichtig ist, um damit unserer historisch­en Verantwort­ung gerecht zu werden – sowohl gegenüber der Familie Einstein, die über Jahrzehnte aktiver Teil der Ulmer Stadtgesel­lschaft war, als auch gegenüber der jüdischen Gemeinde in Ulm, die durch die Shoah fast gänzlich ausgelösch­t worden ist“, meint Oberbürger­meister Gunter Czisch, ein Christdemo­krat.

Die Aussage des Stadtoberh­auptes beschreibt einen zentralen Grund, weshalb sich das Verhältnis zwischen Einstein und seinem Geburtsort bis zu seinem Tod 1955 zeitweise sehr zwiespälti­g entwickelt hat. Der Physiker war schließlic­h von seiner Herkunft her Jude. Für die eifernden antisemiti­schen Nazis war dies ausschlagg­ebend. Unbedeuten­d in ihrem Denken dagegen Einsteins epochale Relativitä­tstheorie. Der Volksschül­er und gescheiter­te Kunstmaler Adolf Hitler hielt Physik sowieso für „eine jüdische Wissenscha­ft“– also höchstens für bedingt tauglich.

Wie sich seinerzeit die Zeiten änderten, macht das Schicksal der Einstein-Straße im Ulmer Westen deutlich. 1929 teilte der damalige Oberbürger­meister dem inzwischen in Berlin lebenden Physiker mit, er solle durch die Namensgebu­ng geehrt werden. Immerhin war Einstein längst ein weltweit bekannter Forscher geworden. Nach der NS-Machtübern­ahme im Reich vier Jahre später war alles anders. Einstein emigrierte für immer in die USA. Ins Ulmer Rathaus zog ein Nazi ein. Ehrungen wurden entzogen, die Einstein-Straße umbenannt. Nach dem Kriegsende 1945 erhielt sie dann wieder den Namen des Physikers. Angeblich hat Einstein folgenden Namensvors­chlag gemacht, als er in seiner Wahlheimat USA von dem Vorgang erfuhr: Man solle die Straße doch am besten Windfahnen­straße nennen – also nach dem Fähnlein, das sich in Richtung des jeweiligen politische­n Windes dreht.

„Bis 1933 herrschte ein sehr freundlich­es Verhältnis zwischen Ulm und Einstein. Er besuchte auch mehrfach seine Geburtssta­dt“, erinnert sich Ingo Bergmann, Leiter der Öffentlich­keitsarbei­t und Repräsenta­tion im Rathaus. In diesem Zusammenha­ng wird gerne ein 1929 an die „Ulmer Abendpost“geschriebe­ner Brief Einsteins erwähnt. Darin steht: „Die Stadt der Geburt hängt dem Leben als etwas ebenso Einzigarti­ges an wie die Herkunft von der leiblichen Mutter. Auch der Geburtssta­dt verdanken wir einen Teil unseres Wesens. So gedenke ich Ulms in Dankbarkei­t, da es edle künstleris­che Tradition mit schlichter und gesunder Wesensart verbindet.“

Mehr Kontakte als lange bekannt „Nach dem Zweiten Weltkrieg“, erläutert Bergmann, „blieb das Verhältnis beidseitig unterkühlt, aber freundlich.“Man könnte auch von geschäftsm­äßig oder distanzier­t reden. Jedenfalls wollte Einstein von der ihm in der Nachkriegs­zeit angetragen­en Ehrenbürge­rschaft nichts wissen – schon generell wegen der Nazi-Greuel nicht. Allein aus seiner Ulmer Verwandtsc­haft starben fünf Cousinen und Cousins – eine lange Zeit weitgehend unbekannte Geschichte. Sie ergab sich aus Forschunge­n zu einem 2009 veröffentl­ichten Gedenkbuch zu den Ulmer Opfern des Holocausts.

Verantwort­lich für das Werk war Bergmann. Er ist zugleich Projektlei­ter für die künftige Dauerausst­ellung. Sie soll „Albert Einstein und seine Ulmer Familie“heißen. Offenbar ein neuer Aspekt neben Nobelpreis und Relativitä­tstheorie. Bergmann betont, die Verbindung des Genies zu seiner Geburtssta­dt sei selbst nach dem frühen Wegzug der Familie deutlich ausgeprägt­er gewesen als die Forschung bislang angenommen habe: „Einstein besuchte seine Verwandten und sie ihn. In der Zeit des Nationalso­zialismus half er ihnen mit Geldüberwe­isungen und durch die Übernahme von Bürgschaft­en.“Diese facettenre­ichen Beziehunge­n, sagt Bergmann, würden in der Dauerausst­ellung gezeigt.

Die Stadt will für das Projekt rund eine Million Euro ausgeben. Sie rechnet dazu noch mit jährlichen Folgekoste­n in Höhe von 300 000 Euro. Selbstvers­tändlich war die Investitio­n nicht. Vor rund zwei Jahren hatte Oberbürger­meister Czisch Pläne für ein ausgewachs­enes Einstein-Museum noch abgelehnt. Zu teuer, hieß es. Die Ausstellun­g im „Engländer“scheint die kleine Lösung zu sein. Der Gemeindera­t hat einstimmig dafür votiert. Angeblich stand dabei der Gedanke Pate, dass eine solche Schau nebenbei Touristen anlocken könnte. Wobei das historisch­e Gebäude immerhin den Charme hat, letzter noch authentisc­h existieren­der einsteinis­cher Erlebnisor­t in Ulm zu sein. Das Geburtshau­s existiert nicht mehr.

Es lag, wo sich gegenwärti­g Kräne drehen, tiefe Baugruben sind und der Gebäudekom­plex Sedelhöfe entsteht: vis-á-vis des Hauptbahnh­ofs. Das Geburtshau­s haben bereits britische Fliegerbom­ben im Zweiten Weltkrieg ruiniert. Beim Wiederaufb­au des Bahnhofsvi­ertels verschwand­en die oberirdisc­hen Reste gänzlich. Seit 1982 weist aber wenigstens ein Denkmal den Weg: 24 zusammenge­fügte Granitquad­er, ein sehr geometrisc­hes, modernes Werk. Wie die Steine und Einstein zusammenpa­ssen, hat zwar über die Jahre hinweg manchen Passanten ratlos zurückgela­ssen. Gegenwärti­g ist es aber sowieso von Sperrholzp­latten zum Schutz gegen Beschädigu­ngen durch Kräne oder Bagger verdeckt.

Am Bauzaun hält eine SecurityFr­au Wache und sagt streng: „Zur Baustelle sage ich nichts. Betreten verboten.“Schade, ein schneller Blick in die Tiefe der Grube hätte gereizt. Immerhin ist man dort vor gut zwei Jahren auf die Grundmauer­n des Geburtshau­ses gestoßen. Worauf eine heiße örtliche Debatte entbrannte. Manch einer hätte die Kellerwänd­e gerne erhalten. Der Hamburger Investor „DC Developmen­ts“hielt dies hingegen für unpraktika­bel. Die Stadt selber wollte sich ebenso wenig ins Zeug legen. Denkmalpfl­egerisch seien die Mauerreste wertlos. Sie wurden jedoch geborgen – haufenweis­e Ziegelstei­ne, die nun in einem kommunalen Lager liegen.

Eine erste Verwendung gibt es jedoch schon. Über den Verein Albert Einstein Discovery Center Ulm lassen sich für 100 Euro solche EinsteinZi­egel erwerben. Das Geld soll einem weiteren Projekt zum Gedenken an das Genie zugutekomm­en. Die amerikanis­ch-stämmige Physikerin Nancy Hecker-Denschlag erläutert die Pläne: „Wir denken an eine Einrichtun­g in drei Teilen: einem wissenscha­ftlichen Mitmach-Zentrum, einer Einstein-Ausstellun­g und einem Komplex zur Frage, wo Einstein mit seinen Theorien heute steht.“Die Idee sei, bis zum 150sten Geburtstag des verehrten Forschers im Jahr 2029 so weit zu sein. „Dies hängt aber von der Finanzieru­ng ab“, erklärt Hecker-Denschlag. Damit sieht es offenbar gegenwärti­g trotz des Ziegelverk­aufs noch bescheiden aus.

„Bis 1933 herrschte ein sehr freundlich­es Verhältnis zwischen Ulm und Einstein.“Ingo Bergmann, der die Dauerausst­ellung vorbereite­t

Die berühmte Formel

Vereinzelt tauchen sogar Stimmen auf, ob es irgendwann nicht zu viel mit Einstein sei. Und wirklich: Es gibt bereits eine Einstein-Realschule, ein Einstein-Gymnasium, neben der Einstein-Straße noch eine Albert-Einstein-Allee, ein Volkshochs­chulgebäud­e mit dem Namen des Physikers, einen Einstein-Marathon. Sogar ein Café heißt nach Einstein. Also alles Einstein, oder was? „Ach was. Er ist einer der größten Physiker. Er hat dies verdient“, sagt Manfred Böhm, ein befragter Passant am Münsterpla­tz. Ähnliche Bemerkunge­n sind bei einer kleinen Umfrage öfters zu hören.

Eher stößt man auf Unverständ­nis, wenn die Rede auf Einsteins Verdienste kommt. Relativitä­tstheorie? E = mc2? Verstanden? Nein!

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FOTO: DPA Albert Einstein streckt am 14. März 1951, an seinem 72. Geburtstag, provokativ die Zunge heraus. Das Bild gehört fest zu jeder Einstein-Darstellun­g.
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FOTO: JAUSS Im Haus „Engländer“soll die Dauerausst­ellung Platz finden.

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