Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Der Befreiungsschlag
Ein millionenschweres Sanierungskonzept soll die Kemptener Lebensmittelkette Feneberg retten
KEMPTEN - Autobahnabfahrt Kempten-Leubas. Grüne Wiesen mit gelb leuchtendem Löwenzahn, am Horizont die verschneiten Gipfel der Allgäuer Alpen. Nach kurzer Fahrt auf der rechten Seite ein anthrazitfarbener Funktionsbau mit dem markanten roten Schriftzug und Symbolen für Apfel, Brezel, Käse und Wurst. Die Zentrale des Lebensmittelhändlers Feneberg. Im Foyer ein Bild des Firmengründers: Streng blickt Theodor Feneberg auf den Empfangstresen. In einem Konferenzraum hinter der Verwaltung spricht Enkel Hannes Feneberg, der das Unternehmen inzwischen mit seinem Bruder Christoph führt, mit großer Erleichterung über die vergangenen Wochen.
Wochen, in denen die beiden Brüder mit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO einen Plan erarbeitet haben, der das im Jahr 1947 gegründete Unternehmen retten soll. „Mit diesem Konzept geht es mir als Unternehmer gut“, sagt Hannes Feneberg im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Zuvor habe ich mir Sorgen um das eigene Unternehmen gemacht.“Die Alternative zu dem BDO-Konzept – daran lässt der Händler keinen Zweifel – wären die Insolvenz oder der Verkauf der Unternehmensgruppe gewesen.
Der Grund für die Schieflage des Lebensmittelhändlers, der im Allgäu, in Oberschwaben und am Bodensee rund 80 Filialen betreibt, liegt vor allem an den hohen Pensionslasten, die Zukunftsinvestitionen unmöglich machen. Aufgrund der Niedrigzinsphase werden die Rückstellungen für die Altersvorsorge jedes Jahr höher. In diesem Jahr belasten sie die Bilanz mit rund 70 Millionen Euro. „Sie fressen nach und nach das Eigenkapital auf – und damit einen wichtigen Teil unseres Erfolges“, erläutert Hannes Feneberg. Zudem hat Feneberg mit dem Start-up Freshfoods, mit dem die beiden Brüder in München in den Online-Lebensmittelhandel einsteigen wollten, das aber nie in die schwarzen Zahlen gekommen ist, viel Geld verloren. Schließlich belasten Feneberg die Aufwendungen für eine Großmetzgerei, die das Unternehmen in den vergangenen Jahren am Stammsitz neu gebaut hat.
Leidtragender der EZB-Politik Klar ist: Ohne die Pensionslasten hätte die Feneberg-Gruppe die Wende aller Voraussicht nach aus eigener Kraft geschafft. Zwar war das OnlineAbenteuer in der bayerischen Landeshauptstadt nicht billig, aber die Auslastung der Großmetzgerei in Kempten verbessert sich stetig, so dass das Unternehmen nach Einschätzungen von Hannes Feneberg nach Verlusten im Vorjahr im aktuellen Geschäftsjahr operativ wieder in die Gewinnzone kommen wird. Das Problem der steigenden Pensionsaufwendungen, für die bei Abschluss der Verträge viel höhere Zinseinnahmen eingeplant waren, die wegen der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank nun aber ausbleiben, bleibt aber bestehen. „In der Situation waren die notwendigen Zukunftsinvestitionen für uns nicht mehr wie geplant zu stemmen“, sagt Feneberg.
Diese Zeit der Sorgen soll mit der Umsetzung des nun erarbeiteten Konzepts aber zu Ende gehen. Kern ist eine Ausweitung des Sortiments – bislang hat Feneberg vor allem mittelpreisige Markenprodukte und die hochpreisigen Eigenmarken wie „Von hier“oder die Fleischmarken „Prima“in den Regalen gehabt. Nun will Feneberg auch niedrigpreisige Produkte und zwar über alle Sortimentsbereiche einschließlich Fleisch- und Wurstwaren anbieten. Bei Tests in ausgewählten Filialen habe das gut funktioniert, die Anzahl der Kunden sei um rund zehn Prozent gestiegen. „Das Erfreuliche war, dass auch unsere besonderen Lebensmittel wie die ,Von-hier’-Produkte von den Neukunden profitiert haben“, erläutert Feneberg.
Die meisten Produkte, die das Unternehmen neu in das Sortiment integriert, wird Feneberg von Edeka einkaufen. Der Kemptener Lebensmittelhändler entwickelt sich damit mit einem Schlag zu einem der umsatzstärksten Kunden des genossenschaftlich organisierten Unternehmensverbunds. „Die Kooperation mit Edeka ist für uns die Möglichkeit, selbstständig zu bleiben“, erklärt Hannes Feneberg. Die Fleisch- und Wurstwaren, die das Unternehmen künftig im Niedrigpreissegment anbietet, bezieht Feneberg in Zukunft vom Fleischfabrikanten Tönnies.
Nach und nach will Feneberg nun alle Filialen auf das neue Sortiment umstellen. Außerdem optimiert das Unternehmen seine Logistik und seine Prozesse in der Warenwirtschaft und IT. „Diese Dienstleistungen werden wir uns überall da, wo es die Feneberg-Identität nicht betrifft, von unserem Partner Edeka holen“, erläutert Feneberg.
Die Kosten für das erarbeitete Restrukturierungsprogramm beziffert Hannes Feneberg auf 70 bis 80 Millionen Euro in den nächsten fünf bis sechs Jahren. Dazu sollen alle Beteiligten ihren Anteil beitragen: Als erstes die Familie Feneberg, dann die Mitarbeiter, die alle auf einen Teil ihres monatlichen Gehalts verzichten sollen, außerdem die Sparkasse Kempten als Hausbank, die wichtigsten Lieferanten und der Pensionssicherungsverein, der rund zehn Millionen Euro beisteuert, indem er für die kommenden vier bis fünf Jahre die Zahlung der laufenden Betriebsrenten übernimmt. Der Abbau von Arbeitsplätzen spielt darin nur eine untergeordnete Rolle: Von den 3200 Jobs sollen allenfalls zweistellige Zahlen sozialverträglich gestrichen werden – wohl vor allem in der zentralen Logistik. In den Märkten will Hannes Feneberg das Personal auf keinen Fall reduzieren.
In den vergangenen Tagen haben Hannes und Christoph Feneberg zusammen mit den Wirtschaftsprüfern von BDO den Plan der Belegschaft in 13 Mitarbeiter-Versammlungen vorgestellt. „Es ist beeindruckend, wie geschlossen die Mitarbeiter hinter Feneberg stehen“, sagt BDO-Experte Julian Lappe. „Für die Mitarbeiter ist nicht die Frage nach dem Gehaltsverzicht das Wichtigste gewesen, sondern die Aussage, dass es eine Feneberg-Zukunft gibt“, ergänzt Hannes Feneberg. Schließlich hätten in den vergangenen Tagen Gerüchte über eine Übernahme der gesamten Feneberg-Gruppe an Edeka für große Unruhe gesorgt.
Der Betriebsrat ist nach „intensiven Verhandlungen mit dem Ergebnis sehr zufrieden“, wie Brunhilde Speiser, die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende, sagt. „Natürlich gibt es finanzielle Einbußen, unser Bestreben war es, sie so gering wie möglich zu halten“, erläutert Speiser weiter. „Auszubildende und die Mitarbeiter mit den niedrigsten Einkommen müssen keine Einbußen im Bruttolohn hinnehmen, bei den anderen liegen die Einbußen zwischen drei und 4,3 Prozent vom Bruttolohn.“Der Betriebsrat habe den Prozess mit eigenen Anwälten und Wirtschaftsprüfern begleitet – und werde das auch weiter tun. „Wir sind überzeugt, dass wir Feneberg mit diesem Konzept gemeinsam zukunftssicher aufstellen“, ergänzt Speisers Betriebsratskollege Kurt Poppel. „Die Mitarbeiter hängen an der Firma, es ist halt ein Familienunternehmen, bei dem man aufeinander achtet.“
Die Mitarbeiter müssen jeder persönlich dem Gehaltsverzicht zustimmen, dazu haben sie nun rund zwei Wochen Zeit. „Ich bin überzeugt, dass wir es so schaffen“, sagt Feneberg. „Wenn ich das nicht wäre, hätte ich mich ja nicht vor meine Mitarbeiter stellen können, um von ihnen diese Hilfe zu verlangen.“
Bauernverträge gesichert
Wie sehr dem im Vergleich zu den großen Lebensmittelketten „kleinen Krämer“, wie Hannes Feneberg sich selbst bezeichnet, das Los seiner Mitarbeiter am Herzen liegt, ist zu spüren, wenn der 57-Jährige über die Szenarien spricht, die Realität werden könnten, wenn das Rettungskonzept nicht greift. „Als Inhaber hätten wir es auch einfacher haben können, etwa mit einem Verkauf. Aber ein Verkauf oder gar eine Insolvenz hätten für die Mitarbeiter natürlich viel tiefere Einschnitte bedeutet“, sagt Feneberg. Denn sowohl der Käufer oder auch der Erwerber, der Teile der Feneberg-Gruppe aus der Insolvenzmasse herauskauft, hätte wohl hauptsächlich Interesse an den großen Märkten gehabt. Aber was wäre mit den kleinen Filialen, der Metzgerei, der Verwaltung und – vor allem – mit den 600 Vertragsbauern gewesen? „Das können wir nun alles weiterführen, wir als Familie sehen uns für diese Menschen in der Verantwortung“, sagt Feneberg.
Nun ist der Allgäuer Krämer darauf angewiesen, dass seine Mitarbeiter dem Gehaltsverzicht zustimmen und den aufgezeigten Weg mitgehen. Einige Abweichler, die nicht zustimmen, könnten Hannes und Christoph Feneberg verkraften, allzu viele nicht. Aber es sieht gut aus, das ist das Gefühl von Hannes Feneberg. „Es hat mich tief beeindruckt, wie all unsere Mitarbeiter mitziehen, das sieht man nicht alle Tage“, sagt er. Große Gefühle sind die Sache eines Hannes Feneberg nicht. In diesem Moment ist zu spüren, wie erleichtert er ist – für sich, seine Mitarbeiter und das Unternehmen, das sein Großvater vor mehr als 70 Jahren aufgebaut hat. Müsste man das Gemälde Theodor Fenebergs im Foyer angesichts des Rettungsplans neu malen, würde der Feneberg-Gründer wohl weniger streng dreinblicken.