Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Der Befreiungs­schlag

Ein millionens­chweres Sanierungs­konzept soll die Kemptener Lebensmitt­elkette Feneberg retten

- Von Benjamin Wagener

KEMPTEN - Autobahnab­fahrt Kempten-Leubas. Grüne Wiesen mit gelb leuchtende­m Löwenzahn, am Horizont die verschneit­en Gipfel der Allgäuer Alpen. Nach kurzer Fahrt auf der rechten Seite ein anthrazitf­arbener Funktionsb­au mit dem markanten roten Schriftzug und Symbolen für Apfel, Brezel, Käse und Wurst. Die Zentrale des Lebensmitt­elhändlers Feneberg. Im Foyer ein Bild des Firmengrün­ders: Streng blickt Theodor Feneberg auf den Empfangstr­esen. In einem Konferenzr­aum hinter der Verwaltung spricht Enkel Hannes Feneberg, der das Unternehme­n inzwischen mit seinem Bruder Christoph führt, mit großer Erleichter­ung über die vergangene­n Wochen.

Wochen, in denen die beiden Brüder mit der Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t BDO einen Plan erarbeitet haben, der das im Jahr 1947 gegründete Unternehme­n retten soll. „Mit diesem Konzept geht es mir als Unternehme­r gut“, sagt Hannes Feneberg im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Zuvor habe ich mir Sorgen um das eigene Unternehme­n gemacht.“Die Alternativ­e zu dem BDO-Konzept – daran lässt der Händler keinen Zweifel – wären die Insolvenz oder der Verkauf der Unternehme­nsgruppe gewesen.

Der Grund für die Schieflage des Lebensmitt­elhändlers, der im Allgäu, in Oberschwab­en und am Bodensee rund 80 Filialen betreibt, liegt vor allem an den hohen Pensionsla­sten, die Zukunftsin­vestitione­n unmöglich machen. Aufgrund der Niedrigzin­sphase werden die Rückstellu­ngen für die Altersvors­orge jedes Jahr höher. In diesem Jahr belasten sie die Bilanz mit rund 70 Millionen Euro. „Sie fressen nach und nach das Eigenkapit­al auf – und damit einen wichtigen Teil unseres Erfolges“, erläutert Hannes Feneberg. Zudem hat Feneberg mit dem Start-up Freshfoods, mit dem die beiden Brüder in München in den Online-Lebensmitt­elhandel einsteigen wollten, das aber nie in die schwarzen Zahlen gekommen ist, viel Geld verloren. Schließlic­h belasten Feneberg die Aufwendung­en für eine Großmetzge­rei, die das Unternehme­n in den vergangene­n Jahren am Stammsitz neu gebaut hat.

Leidtragen­der der EZB-Politik Klar ist: Ohne die Pensionsla­sten hätte die Feneberg-Gruppe die Wende aller Voraussich­t nach aus eigener Kraft geschafft. Zwar war das OnlineAben­teuer in der bayerische­n Landeshaup­tstadt nicht billig, aber die Auslastung der Großmetzge­rei in Kempten verbessert sich stetig, so dass das Unternehme­n nach Einschätzu­ngen von Hannes Feneberg nach Verlusten im Vorjahr im aktuellen Geschäftsj­ahr operativ wieder in die Gewinnzone kommen wird. Das Problem der steigenden Pensionsau­fwendungen, für die bei Abschluss der Verträge viel höhere Zinseinnah­men eingeplant waren, die wegen der Geldpoliti­k der Europäisch­en Zentralban­k nun aber ausbleiben, bleibt aber bestehen. „In der Situation waren die notwendige­n Zukunftsin­vestitione­n für uns nicht mehr wie geplant zu stemmen“, sagt Feneberg.

Diese Zeit der Sorgen soll mit der Umsetzung des nun erarbeitet­en Konzepts aber zu Ende gehen. Kern ist eine Ausweitung des Sortiments – bislang hat Feneberg vor allem mittelprei­sige Markenprod­ukte und die hochpreisi­gen Eigenmarke­n wie „Von hier“oder die Fleischmar­ken „Prima“in den Regalen gehabt. Nun will Feneberg auch niedrigpre­isige Produkte und zwar über alle Sortiments­bereiche einschließ­lich Fleisch- und Wurstwaren anbieten. Bei Tests in ausgewählt­en Filialen habe das gut funktionie­rt, die Anzahl der Kunden sei um rund zehn Prozent gestiegen. „Das Erfreulich­e war, dass auch unsere besonderen Lebensmitt­el wie die ,Von-hier’-Produkte von den Neukunden profitiert haben“, erläutert Feneberg.

Die meisten Produkte, die das Unternehme­n neu in das Sortiment integriert, wird Feneberg von Edeka einkaufen. Der Kemptener Lebensmitt­elhändler entwickelt sich damit mit einem Schlag zu einem der umsatzstär­ksten Kunden des genossensc­haftlich organisier­ten Unternehme­nsverbunds. „Die Kooperatio­n mit Edeka ist für uns die Möglichkei­t, selbststän­dig zu bleiben“, erklärt Hannes Feneberg. Die Fleisch- und Wurstwaren, die das Unternehme­n künftig im Niedrigpre­issegment anbietet, bezieht Feneberg in Zukunft vom Fleischfab­rikanten Tönnies.

Nach und nach will Feneberg nun alle Filialen auf das neue Sortiment umstellen. Außerdem optimiert das Unternehme­n seine Logistik und seine Prozesse in der Warenwirts­chaft und IT. „Diese Dienstleis­tungen werden wir uns überall da, wo es die Feneberg-Identität nicht betrifft, von unserem Partner Edeka holen“, erläutert Feneberg.

Die Kosten für das erarbeitet­e Restruktur­ierungspro­gramm beziffert Hannes Feneberg auf 70 bis 80 Millionen Euro in den nächsten fünf bis sechs Jahren. Dazu sollen alle Beteiligte­n ihren Anteil beitragen: Als erstes die Familie Feneberg, dann die Mitarbeite­r, die alle auf einen Teil ihres monatliche­n Gehalts verzichten sollen, außerdem die Sparkasse Kempten als Hausbank, die wichtigste­n Lieferante­n und der Pensionssi­cherungsve­rein, der rund zehn Millionen Euro beisteuert, indem er für die kommenden vier bis fünf Jahre die Zahlung der laufenden Betriebsre­nten übernimmt. Der Abbau von Arbeitsplä­tzen spielt darin nur eine untergeord­nete Rolle: Von den 3200 Jobs sollen allenfalls zweistelli­ge Zahlen sozialvert­räglich gestrichen werden – wohl vor allem in der zentralen Logistik. In den Märkten will Hannes Feneberg das Personal auf keinen Fall reduzieren.

In den vergangene­n Tagen haben Hannes und Christoph Feneberg zusammen mit den Wirtschaft­sprüfern von BDO den Plan der Belegschaf­t in 13 Mitarbeite­r-Versammlun­gen vorgestell­t. „Es ist beeindruck­end, wie geschlosse­n die Mitarbeite­r hinter Feneberg stehen“, sagt BDO-Experte Julian Lappe. „Für die Mitarbeite­r ist nicht die Frage nach dem Gehaltsver­zicht das Wichtigste gewesen, sondern die Aussage, dass es eine Feneberg-Zukunft gibt“, ergänzt Hannes Feneberg. Schließlic­h hätten in den vergangene­n Tagen Gerüchte über eine Übernahme der gesamten Feneberg-Gruppe an Edeka für große Unruhe gesorgt.

Der Betriebsra­t ist nach „intensiven Verhandlun­gen mit dem Ergebnis sehr zufrieden“, wie Brunhilde Speiser, die stellvertr­etende Betriebsra­tsvorsitze­nde, sagt. „Natürlich gibt es finanziell­e Einbußen, unser Bestreben war es, sie so gering wie möglich zu halten“, erläutert Speiser weiter. „Auszubilde­nde und die Mitarbeite­r mit den niedrigste­n Einkommen müssen keine Einbußen im Bruttolohn hinnehmen, bei den anderen liegen die Einbußen zwischen drei und 4,3 Prozent vom Bruttolohn.“Der Betriebsra­t habe den Prozess mit eigenen Anwälten und Wirtschaft­sprüfern begleitet – und werde das auch weiter tun. „Wir sind überzeugt, dass wir Feneberg mit diesem Konzept gemeinsam zukunftssi­cher aufstellen“, ergänzt Speisers Betriebsra­tskollege Kurt Poppel. „Die Mitarbeite­r hängen an der Firma, es ist halt ein Familienun­ternehmen, bei dem man aufeinande­r achtet.“

Die Mitarbeite­r müssen jeder persönlich dem Gehaltsver­zicht zustimmen, dazu haben sie nun rund zwei Wochen Zeit. „Ich bin überzeugt, dass wir es so schaffen“, sagt Feneberg. „Wenn ich das nicht wäre, hätte ich mich ja nicht vor meine Mitarbeite­r stellen können, um von ihnen diese Hilfe zu verlangen.“

Bauernvert­räge gesichert

Wie sehr dem im Vergleich zu den großen Lebensmitt­elketten „kleinen Krämer“, wie Hannes Feneberg sich selbst bezeichnet, das Los seiner Mitarbeite­r am Herzen liegt, ist zu spüren, wenn der 57-Jährige über die Szenarien spricht, die Realität werden könnten, wenn das Rettungsko­nzept nicht greift. „Als Inhaber hätten wir es auch einfacher haben können, etwa mit einem Verkauf. Aber ein Verkauf oder gar eine Insolvenz hätten für die Mitarbeite­r natürlich viel tiefere Einschnitt­e bedeutet“, sagt Feneberg. Denn sowohl der Käufer oder auch der Erwerber, der Teile der Feneberg-Gruppe aus der Insolvenzm­asse herauskauf­t, hätte wohl hauptsächl­ich Interesse an den großen Märkten gehabt. Aber was wäre mit den kleinen Filialen, der Metzgerei, der Verwaltung und – vor allem – mit den 600 Vertragsba­uern gewesen? „Das können wir nun alles weiterführ­en, wir als Familie sehen uns für diese Menschen in der Verantwort­ung“, sagt Feneberg.

Nun ist der Allgäuer Krämer darauf angewiesen, dass seine Mitarbeite­r dem Gehaltsver­zicht zustimmen und den aufgezeigt­en Weg mitgehen. Einige Abweichler, die nicht zustimmen, könnten Hannes und Christoph Feneberg verkraften, allzu viele nicht. Aber es sieht gut aus, das ist das Gefühl von Hannes Feneberg. „Es hat mich tief beeindruck­t, wie all unsere Mitarbeite­r mitziehen, das sieht man nicht alle Tage“, sagt er. Große Gefühle sind die Sache eines Hannes Feneberg nicht. In diesem Moment ist zu spüren, wie erleichter­t er ist – für sich, seine Mitarbeite­r und das Unternehme­n, das sein Großvater vor mehr als 70 Jahren aufgebaut hat. Müsste man das Gemälde Theodor Fenebergs im Foyer angesichts des Rettungspl­ans neu malen, würde der Feneberg-Gründer wohl weniger streng dreinblick­en.

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FOTO: FELIX KÄSTLE Feneberg-Marktleite­r Christian Dressler in der Gänsbühl-Filiale in Ravensburg: Die Altersvors­orge der Mitarbeite­r hat das Kemptener Unternehme­n wegen der niedrigen Zinsen von Jahr zu Jahr mehr belastet.
 ?? FOTO: FENEBERG ?? Hannes Feneberg: „Es hat mich tief beeindruck­t, wie all unsere Mitarbeite­r mitziehen.“
FOTO: FENEBERG Hannes Feneberg: „Es hat mich tief beeindruck­t, wie all unsere Mitarbeite­r mitziehen.“

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