Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Ein Apfelbaum für den Wurzellosen
Zum Abschied von Vital Heynen bei den Volleyballern des VfB Friedrichshafen
FRIEDRICHSHAFEN - Seine Habseligkeiten aus drei Jahren Friedrichshafen passten in ein Auto. Noch in der Nacht nach seinem letzten Spaziergang von der ZF-Arena in seine rund zehn Kilometer entfernte Wohnung in Bitzenhofen bei Oberteuringen, hatte Vital Heynen den Großteil seiner Sachen zusammengepackt. Trainer im Profisport sind professionelle Nomaden, Meister des Provisorischen. „Der größte Gegenstand ist eigentlich mein Fahrrad. Ich bin ja nicht immer zu Fuß zur Arbeit gegangen“, sagt der nunmehr Ex-Trainer des VfB Friedrichshafen und lacht.
Für einen, dessen Traum (und der seiner Spieler) von der deutschen Volleyballmeisterschaft zum dritten Mal hintereinander – und diesmal so dramatisch und knapp wie nie – vor noch nicht einmal einem Tag wieder an den Volleyball-Giganten der Berlin Volleys zerschellte, wirkt Heynen am Telefon erstaunlich gelöst. Und schon ziemlich distanziert.
„Ich habe mir diesmal richtig lange Urlaub gegeben: Ich fliege erst am späten Mittwochabend nach Polen“, sagt Heynen noch. Auch hier wirkt die Ironie nicht beißend, nicht aufgesetzt. Sondern eher so, als ob er ganz genau wüsste, dass diese Einstellung wohl auf jeden, der seinen Lebensunterhalt nicht mit dem Bessermachen von Profisportlern bestreitet, mindestens erstaunlich wirken muss.
„Weiter, immer weiter“
Doch Heynen ist ein Getriebener, während der drei Jahre in Friedrichshafen hatte er sich auch emotional aufgerieben zwischen der Arbeit mit seinen Vereinsspielern und erst der belgischen und dann der polnischen Nationalmannschaft, die er im vergangenen Jahr sensationell zum Weltmeistertitel führte. Und dann war da ja noch die Familie in Belgien. Er gab sich weder die Zeit, die großen Triumphe zu genießen, noch die wenigen, aber entscheidenden Niederlagen zu verarbeiten. Das hat ihn, den rastlosen Menschenfänger, der sich selbst mal als „ständigen und passionierten Gegen-die-WändeLäufer und Mauern-Einreisser“bezeichnet hat, müde gemacht.
Auch darum entschied Heynen schon letzten Herbst, dass es nach dieser Saison nicht weitergehen würde für ihn in Friedrichshafen, dass er ein Jahr lang nur noch die Nationalmannschaft betreuen würde. Nun aber wirken die alten Mechanismen. „Mir hilft es, dass sofort die nächste Herausforderung ansteht“, so Heynen, der ab Mittwoch wieder im Weltmeistercoachmodus sein wird. Diesen Sommer stehen Weltliga und EM auf dem Programm, mindestens eine Medaille ist Pflicht.
Vormittags war Vital Heynen noch auf der Geschäftsstelle gewesen, um sich von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zu verabschieden, das sei noch einmal kurz sehr emotional gewesen, dann hatte er sich ins Auto gesetzt und Richtung Belgien aufgemacht. Von seinen Spielern, von seiner Mannschaft, die in ihren Grundzügen drei Jahre lang zusammenspielte und fast alles gewann, was es gewinnen gab, bis auf eben den wichtigsten Titel, hatte er sich bereits nach der Finalniederlage verabschiedet.
Viele von diesen hatten richtig geweint am Sonntag nach diesem nervenaufreibenden 2:3 (17:25, 21:25, 25:19, 25:23, 14:16), in dem die Häfler nach zwei hypernervös abgegebenen Sätzen plötzlich erst ihre Kampfkraft, dann ihre Euphorie und schließlich ihre Spiellust wiedergefunden hatten und die Partie schon gedreht hatten, ehe die Berliner im Tie-Break doch wieder zu den bärenstarken und scheinbar nervenlosen und für die Häfler im entscheidenden Momant nun schon seit insgesamt vier Jahren unschlagbaren Volleyball-Maschinen wurden. Heynen, zuvor wie ein Derwisch an der Seitenlinie entlang springend und brüllend und gestikulierend, hatte als erstes fair Berlins Trainer Cédric Énard gratuliert, dann seine Spieler abgeklatscht. „Es ist schade, dass es nicht zur Meisterschaft gereicht hat, es war richtig knapp. Aber wir haben alles gegeben. Deswegen ist das schade, aber okay. Ihr könnt stolz sein“, wiederholte Heynen so oder so ähnlich wieder und wieder.
Dann verabschiedete sich Heynen von den Fans, erst noch auf dem Parkett, dann im Foyer der Arena. „Wir standen dann noch ein wenig dort herum, haben ein bisschen geredet, dann ist jeder seine Wege gegangen“, sagt er am nächsten Tag. So lapidar, so unspektakulär endete nach drei Jahren also die Ära Vital Heynen beim VfB Friedrichshafen. „Im Sport ist es so: Man verbringt sehr viel Zeit miteinander, kommt sich sehr nah, feiert miteinander, trauert miteinander, aber dann geht es weiter. Immer weiter“, so Heynen.
Gut gewählt scheinen da die zwei Geschenke, die er vom VfB bekommen hat: Von den Mitarbeitern der Geschäftsstelle gab es für den Spaziergänger Laufschuhe, Größe 48. Von Präsident Wunibald Wösle einen Apfelbaum vom Bodensee. Mit dem Hinweis, dass dieser sicher auch in Belgien oder Polen gedeihen könne. Auf dass vielleicht auch der neue Besitzer einmal irgendwo Wurzeln schlage.