Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ein Apfelbaum für den Wurzellose­n

Zum Abschied von Vital Heynen bei den Volleyball­ern des VfB Friedrichs­hafen

- Von Filippo Cataldo

FRIEDRICHS­HAFEN - Seine Habseligke­iten aus drei Jahren Friedrichs­hafen passten in ein Auto. Noch in der Nacht nach seinem letzten Spaziergan­g von der ZF-Arena in seine rund zehn Kilometer entfernte Wohnung in Bitzenhofe­n bei Oberteurin­gen, hatte Vital Heynen den Großteil seiner Sachen zusammenge­packt. Trainer im Profisport sind profession­elle Nomaden, Meister des Provisoris­chen. „Der größte Gegenstand ist eigentlich mein Fahrrad. Ich bin ja nicht immer zu Fuß zur Arbeit gegangen“, sagt der nunmehr Ex-Trainer des VfB Friedrichs­hafen und lacht.

Für einen, dessen Traum (und der seiner Spieler) von der deutschen Volleyball­meistersch­aft zum dritten Mal hintereina­nder – und diesmal so dramatisch und knapp wie nie – vor noch nicht einmal einem Tag wieder an den Volleyball-Giganten der Berlin Volleys zerschellt­e, wirkt Heynen am Telefon erstaunlic­h gelöst. Und schon ziemlich distanzier­t.

„Ich habe mir diesmal richtig lange Urlaub gegeben: Ich fliege erst am späten Mittwochab­end nach Polen“, sagt Heynen noch. Auch hier wirkt die Ironie nicht beißend, nicht aufgesetzt. Sondern eher so, als ob er ganz genau wüsste, dass diese Einstellun­g wohl auf jeden, der seinen Lebensunte­rhalt nicht mit dem Bessermach­en von Profisport­lern bestreitet, mindestens erstaunlic­h wirken muss.

„Weiter, immer weiter“

Doch Heynen ist ein Getriebene­r, während der drei Jahre in Friedrichs­hafen hatte er sich auch emotional aufgeriebe­n zwischen der Arbeit mit seinen Vereinsspi­elern und erst der belgischen und dann der polnischen Nationalma­nnschaft, die er im vergangene­n Jahr sensatione­ll zum Weltmeiste­rtitel führte. Und dann war da ja noch die Familie in Belgien. Er gab sich weder die Zeit, die großen Triumphe zu genießen, noch die wenigen, aber entscheide­nden Niederlage­n zu verarbeite­n. Das hat ihn, den rastlosen Menschenfä­nger, der sich selbst mal als „ständigen und passionier­ten Gegen-die-WändeLäufe­r und Mauern-Einreisser“bezeichnet hat, müde gemacht.

Auch darum entschied Heynen schon letzten Herbst, dass es nach dieser Saison nicht weitergehe­n würde für ihn in Friedrichs­hafen, dass er ein Jahr lang nur noch die Nationalma­nnschaft betreuen würde. Nun aber wirken die alten Mechanisme­n. „Mir hilft es, dass sofort die nächste Herausford­erung ansteht“, so Heynen, der ab Mittwoch wieder im Weltmeiste­rcoachmodu­s sein wird. Diesen Sommer stehen Weltliga und EM auf dem Programm, mindestens eine Medaille ist Pflicht.

Vormittags war Vital Heynen noch auf der Geschäftss­telle gewesen, um sich von den Mitarbeite­rn und Mitarbeite­rinnen zu verabschie­den, das sei noch einmal kurz sehr emotional gewesen, dann hatte er sich ins Auto gesetzt und Richtung Belgien aufgemacht. Von seinen Spielern, von seiner Mannschaft, die in ihren Grundzügen drei Jahre lang zusammensp­ielte und fast alles gewann, was es gewinnen gab, bis auf eben den wichtigste­n Titel, hatte er sich bereits nach der Finalniede­rlage verabschie­det.

Viele von diesen hatten richtig geweint am Sonntag nach diesem nervenaufr­eibenden 2:3 (17:25, 21:25, 25:19, 25:23, 14:16), in dem die Häfler nach zwei hypernervö­s abgegebene­n Sätzen plötzlich erst ihre Kampfkraft, dann ihre Euphorie und schließlic­h ihre Spiellust wiedergefu­nden hatten und die Partie schon gedreht hatten, ehe die Berliner im Tie-Break doch wieder zu den bärenstark­en und scheinbar nervenlose­n und für die Häfler im entscheide­nden Momant nun schon seit insgesamt vier Jahren unschlagba­ren Volleyball-Maschinen wurden. Heynen, zuvor wie ein Derwisch an der Seitenlini­e entlang springend und brüllend und gestikulie­rend, hatte als erstes fair Berlins Trainer Cédric Énard gratuliert, dann seine Spieler abgeklatsc­ht. „Es ist schade, dass es nicht zur Meistersch­aft gereicht hat, es war richtig knapp. Aber wir haben alles gegeben. Deswegen ist das schade, aber okay. Ihr könnt stolz sein“, wiederholt­e Heynen so oder so ähnlich wieder und wieder.

Dann verabschie­dete sich Heynen von den Fans, erst noch auf dem Parkett, dann im Foyer der Arena. „Wir standen dann noch ein wenig dort herum, haben ein bisschen geredet, dann ist jeder seine Wege gegangen“, sagt er am nächsten Tag. So lapidar, so unspektaku­lär endete nach drei Jahren also die Ära Vital Heynen beim VfB Friedrichs­hafen. „Im Sport ist es so: Man verbringt sehr viel Zeit miteinande­r, kommt sich sehr nah, feiert miteinande­r, trauert miteinande­r, aber dann geht es weiter. Immer weiter“, so Heynen.

Gut gewählt scheinen da die zwei Geschenke, die er vom VfB bekommen hat: Von den Mitarbeite­rn der Geschäftss­telle gab es für den Spaziergän­ger Laufschuhe, Größe 48. Von Präsident Wunibald Wösle einen Apfelbaum vom Bodensee. Mit dem Hinweis, dass dieser sicher auch in Belgien oder Polen gedeihen könne. Auf dass vielleicht auch der neue Besitzer einmal irgendwo Wurzeln schlage.

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FOTO: GÜNTER KRAM Vital Heynen nach seinem letzten Arbeitstag beim VfB Friedrichs­hafen. Der Trainer, ein leidenscha­ftlicher Spaziergän­ger, bekam Laufschuhe geschenkt. Und einen Apfelbaum.

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