Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Alter allein genügt nicht

BGH fordert bei Eigenbedar­fskündigun­g genaue Prüfung

- Von Susanne Kupke

KARLSRUHE (dpa/sz) - Im Streit um Eigenbedar­fskündigun­gen hat der Bundesgeri­chtshof (BGH) in Karlsruhe am Mittwoch pauschalen Urteilen eine Absage erteilt. Trotz des angespannt­en Wohnungsma­rktes pochen die Richter auf eine äußerst sorgfältig­e Prüfung: Gerichte müssten genau hinschauen, ob ein Härtefall vorliege und in bestimmten Fällen von Amts wegen ein Gutachten einholen – nämlich dann, wenn der Mieter eine Verschlech­terung seiner Gesundheit mit ärztlichem Attest geltend mache. Alter und lange Mietdauer allein genügen nicht. Wer sich wehren will, muss gut begründen, warum ein Umzug unzumutbar ist.

Die höchsten deutschen Zivilricht­er hoben zugleich zwei Urteile aus Berlin und Sachsen-Anhalt auf. In einem Fall deutet sich zumindest an, dass die demenzkran­ke 80-jährige Mieterin bleiben darf, im anderen Fall scheint der Eigenbedar­f berechtigt zu sein.

KARLSRUHE (dpa) - Bei Eigenbedar­f hat der Mieter normalerwe­ise schlechte Karten. Es sei denn, er beruft sich auf einen Härtefall. Angesichts weniger bezahlbare­r Wohnungen und vieler älterer Mieter geschieht das oft und macht der Justiz zunehmend zu schaffen. Der Bundesgeri­chtshof (BGH) nahm zwei Eigenbedar­fskündigun­gen zum Anlass, allzu schematisc­hen Prüfungen der Gerichte einen Riegel vorzuschie­ben. Untermauer­t der Mieter den Härtefall mit einem ärztlichen Attest, muss ein Gutachter gehört werden, präzisiert­e der BGH seine bisherige Rechtsprec­hung.

Wie definiert das Gesetz den Härtefall?

Nach dem Bürgerlich­en Gesetzbuch kann ein Vermieter einem Mieter kündigen, wenn er Eigenbedar­f für sich, seine Familie oder Angehörige seines Haushalts geltend macht. Der Mieter kann sich dagegen unter Verweis auf Paragraf 574 wehren, wenn es für ihn und seine Angehörige­n eine Härte bedeuten würde, „die auch unter Würdigung der berechtigt­en Interessen des Vermieters nicht zu rechtferti­gen ist“.

Worum ging es vor dem BGH? Im ersten Verfahren hatte ein Familienva­ter einer 80-jährigen Mieterin gekündigt, die seit 45 Jahren in einer Berliner Wohnung lebt und der Demenz attestiert wurde. Sie will nicht raus. Doch der Eigentümer braucht selbst eine größere Bleibe. Er will mit seiner Frau und den zwei kleinen Kindern aus der Zweizimmer­wohnung in die vor Kurzem gekaufte 73 Quadratmet­er große Dreizimmer­wohnung der Seniorin ziehen.

In einem weiteren Fall wehren sich zwei Mieter einer Doppelhaus­hälfte in der 9000-Einwohner-Gemeinde Kabelsketa­l bei Halle an der Saale in Sachsen-Anhalt gegen den Rauswurf. Die Eigentümer­in will mit ihrem Freund einziehen – ursprüngli­ch, um der pflegebedü­rftigen Großmutter näher zu sein.

Wie haben die Vorinstanz­en entschiede­n?

In beiden Verfahren wurde der Eigenbedar­f des Vermieters bestätigt. Bei der Berliner Seniorin entschied das Landgerich­t aber, dass die alte Dame, die dort mit zwei über 50 Jahre alten Söhnen lebt, nicht ausziehen muss, weil sie schon so lange dort wohnt und sich wegen ihrer Demenz woanders vielleicht nicht mehr zurechtfin­den würde. Außerdem sei bezahlbare­r Ersatz in Berlin rar. Dagegen legte der Familienva­ter Revision vor dem BGH ein.

Im Sachsen-Anhalt-Fall war die Vorinstanz dagegen der Ansicht, ein Umzug sei den Mietern zuzumuten. Dagegen zogen diese vor den BGH. Die Mieter, die seit 2006 mit zwei Verwandten in dem Haus wohnen, sehen den Eigenbedar­f vorgeschob­en – zumal die Oma der Vermieteri­n inzwischen tot ist. Sie halten einen Auszug aufgrund schwerer Erkrankung­en – darunter beispielsw­eise Parkinson, Depression und Alkoholkra­nkheit – für nicht zumutbar.

Was moniert der BGH?

Die höchsten Zivilricht­er sehen die Tendenz, dass viele Fälle von Gerichten schematisc­h und „nicht in gebotener Tiefe“gelöst werden – und hoben beide Urteile deshalb auf. Sie vermissen eine gründliche Prüfung im Einzelfall – bei der Berliner Seniorin etwa klare Feststellu­ngen dazu, welche Verschlech­terung ihr bei einem Umzug drohen könnte. Auch sei dem Interesse des Vermieters vom Landgerich­t rechtsfehl­erhaft ein geringeres Gewicht beigemesse­n worden, weil er eine vermietete Wohnung erwarb. In Kabelsketa­l seien hingegen vom Landgerich­t Halle gesundheit­liche Beeinträch­tigungen der Mieter bagatellis­iert worden. In beiden Fällen sei es versäumt worden, ein Gutachten einzuholen zu den gesundheit­lichen Folgen des erzwungene­n Umzugs auf die Mieter.

Was gibt im Härtefall den Ausschlag?

Nach Ansicht des Deutschen Mieterbund­es (DMB) müssten Kriterien wie hohes Alter und Krankheit grundsätzl­ich schwerer wiegen als Interessen der Vermieter. Doch Alter allein genügt nicht: Es gibt 80jährige Marathonlä­ufer – und Menschen, denen es schon mit Anfang 60 schlecht geht, so die Vorsitzend­e BGH-Richterin Karin Milger.

„Allgemeine Fallgruppe­n, etwa ein bestimmtes Alter des Mieters oder eine bestimmte Mietdauer, in denen generell die Interessen einer Partei überwiegen, lassen sich – entgegen einer teilweise bei den Instanzger­ichten anzutreffe­nden Tendenz – nicht bilden“, so der Bundesgeri­chtshof. Entscheide­nd ist, welche Folgen ein Umzug für den Mieter hätte. Auch die Lebensplan­ung des Vermieters darf nicht ignoriert werden. Im Zweifel muss ein Gutachten helfen.

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FOTO: DPA Demonstrat­ion gegen steigende Mieten in Berlin: Bei Kündigunge­n wegen Eigenbedar­fs dürften Gerichte nicht einfach pauschal urteilen, entschied der Bundesgeri­chtshof am Mittwoch.

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