Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ein zorniger Polizist erhält sogar vom Minister Zuspruch

Lkw-Unfall mit einem Toten auf der A 6 – Einsatzlei­ter geht aufdringli­chen Gaffer an: „Wenn du dein Handy nicht wegpackst, komm ich rüber und hol dich raus“

- Von Jakob Fandrey

FEUCHT/RAVENSBURG - Beherzt, aber auch zornig hat ein Polizist am Dienstagab­end auf der Autobahn A 6 bei Feucht (Nürnberger Land) nach einem schweren Unfall mit einem Todesopfer Gaffer in die Schranken verwiesen. Lob dafür erhielt er am Mittwoch von seinem Dienstherr­n, Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU): „Das Verhalten vieler Gaffer ist unverschäm­t und unverantwo­rtlich. Ich freue mich, dass der Polizeikol­lege das einigen Gaffern auch mal emotional nahegebrac­ht hat“, schrieb Herrmann.

Zwischen Roth und dem Kreuz Nürnberg-Süd war ein Lkw fast ungebremst auf ein Stauende aufgefahre­n. Der 47-jährige Fahrer aus Ungarn starb noch an der Unfallstel­le. Durch die Wucht des Aufpralls wurde der vordere Sattelzug auf einen weiteren Lkw geschoben. Die Bilder des völlig zerstörten Führerhaus­es animierten Verkehrste­ilnehmer dazu, extra langsam am Unfallort vorbeizufa­hren, um Aufnahmen machen zu können. Auch auf der Gegenfahrb­ahn in Richtung Heilbronn bildete sich durch die Schaulusti­gen ein Stau.

Mittendrin statt nur dabei war Stefan Pfeiffer, Einsatzlei­ter der Verkehrspo­lizei Feucht. Ihm platzte der Kragen. Das zeigen Videoaufna­hmen, die in den sozialen Netzwerken schnell verbreitet wurden.

„Wenn du dein Handy nicht wegpackst, komm ich rüber und hol dich raus. Was glaubst du, wer du bist? Tu das Handy weg“, schrie Pfeiffer einen Lkw-Fahrer an, der auf der Gegenfahrb­ahn sein Smartphone gezückt hatte. Pfeiffer nahm sogar einen tschechisc­hen Autofahrer mit zur Unfallstel­le und bot ihm an, direkt einen Blick auf die Leiche zu werfen. Eine Schockther­apie, die Wirkung zeigte. Plötzlich wollte der Mann nichts mehr mit der Sache zu tun haben.

„Wenn du willst, kannst du kurz Hallo zu ihm sagen", hört man Pfeiffer auf Englisch zu einem der Gaffer sagen. Er solle sich schämen. Da der Beschuldig­te nicht aus Deutschlan­d stammt, muss er sofort ein Bußgeld zahlen. 100 Euro Strafe plus Bearbeitun­gsgebühr, 128,50 Euro sind das am Ende.

„Es war eine spontane Situation und für uns nicht das standardis­ierte Vorgehen bei solchen Unfällen", erklärt Michael Hetzner, Sprecher der Polizei Mittelfran­ken, am Tag danach. Doch sie könnte Schule machen. „Es sind erstaunlic­he Szenen, die sich hier abspielen. Es ist erschrecke­nd, mit wie wenig Empfinden die Leute mit der Lage umgehen", sagt wiederum Stefan Pfeiffer. Es sei eine Möglichkei­t, die Leute direkt mit ihrem Verhalten zu konfrontie­ren: „Man merkt, dass den Leuten erst dann bewusst wird, dass es ein tragisches Ereignis ist und jemand gestorben ist.“

Im Netz herrscht großes Verständni­s für den Polizisten. „Dieser Beitrag sollte zu einem Aufklärung­svideo gemacht werden“, lautet eine der Reaktionen. „Einfach mal Gaffer und Filmer zu Sozialstun­den bei der Freiwillig­en Feuerwehr, den Sanis oder bei den Polizisten, die die schlimmen Nachrichte­n den Angehörige­n überbringe­n müssen, verdonnern", lautet der Vorschlag eines Twitter-Nutzers.

Vergangene­n Freitag erst war im Bundesrat ein baden-württember­gischer Antrag einstimmig angenommen worden, um die Gesetzesla­ge zu verschärfe­n. Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) hatte zum Thema Gaffer erklärt: „Diese erschrecke­nde Trophäenja­gd kennt keine Pietät, keinen Respekt vor den Toten mehr.“

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THOMAS HECKMANN FOTO: Gaffer gab es jüngst auch bei einem Unfall auf der Autobahn 8 vor Ulm-West.

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