Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Entscheidu­ngsschlach­t um Idlib tobt

Hunderttau­sende sind in der syrischen Provinz auf der Flucht – Kontrovers­e um möglichen neuen Chlorgasan­griff

- Von Thomas Seibert

ISTANBUL - Der Rettungswa­gen hält in einer Straße voller zerschosse­ner Häuser, die Helfer ziehen einen Schwerverl­etzten aus einem zerstörten Hauseingan­g: Ein Video der Hilfsorgan­isation der „Weißen Helme“aus der nordwestsy­rischen Kleinstadt Maarat al-Numan dokumentie­rt, welche Folgen die eskalieren­den Luftangrif­fe im Nordwesten Syriens haben.

Mehrere Städte in und um die Provinz Idlib lagen am Mittwoch unter schwerem Beschuss, mindestens ein Dutzend Menschen starben. Die USRegierun­g sprach sogar vom Verdacht eines neuen Giftgasein­satzes: Die Entscheidu­ngsschlach­t um die letzte Rebellenho­chburg in Syrien hat begonnen. „Unsere schlimmste­n Befürchtun­gen werden wahr“, sagte UN-Sprecher David Swanson.

Schon seit mehreren Wochen greifen die syrische Armee und ihre russischen Verbündete­n in Idlib wieder stärker an. Sie begründen dies mit dem Kampf gegen islamistis­che Extremiste­n, die immer wieder syrische Stellungen und russische Militäranl­agen attackiere­n.

Offiziell gilt immer noch ein Waffenstil­lstand vom vorigen September, doch die Abmachung steht nur noch auf dem Papier. Die Islamisten lehnen den Abzug aus einer damals vereinbart­en Pufferzone ab, und der syrische Präsident Baschar al-Assad will Idlib und alle anderen Teile von Syrien nach mehr als acht Jahren Krieg wieder unter seine Kontrolle bringen.

Laut der US-Regierung gibt es „Anzeichen“, dass Assads Armee erneut chemische Waffen eingesetzt habe. Zuletzt soll bei Gefechten am vergangene­n Sonntag Chlorgas zum Einsatz gekommen sein. In den vergangene­n Jahren hatten die Amerikaner nach Giftgas-Einsätzen zweimal syrische Armee-Einrichtun­gen bombardier­t.

Auch ohne Giftgas sind die Kämpfe brutal. Raketen, Fassbomben, Panzer, Panzerfäus­te und Sprengfall­en kommen zum Einsatz. Islamistis­che Rebellen schicken zudem Selbstmord­attentäter in Bomben-Fahrzeugen in die Stellungen ihrer Gegner. Auf Zivilisten achtet keine der beiden Seiten. Am Mittwoch griffen Kampfflugz­euge unter anderem die Stadt Dschisr al-Schugur in Idlib an, die nur zehn Kilometer von der türkischen Grenze entfernt liegt. An der – derzeit geschlosse­nen – Grenze lagern mehrere hunderttau­send Menschen, die vor den Gefechten in anderen Teilen Idlibs geflohen sind.

Dass sie in ihre Städte und Dörfer in der Provinz heimkehren können, wird immer unwahrsche­inlicher. Die „Weißen Helme“berichten von gezielten Luftangrif­fen der Syrer und Russen auf Kornfelder: Mit dieser Taktik der verbrannte­n Erde soll die Nahrungsmi­ttelversor­gung für die Menschen zerstört werden.

Auch Schulen und Krankenhäu­ser werden bombardier­t. In Maraat al-Numan starben am Dienstagab­end mindestens zwölf Zivilisten bei Luftangrif­fen, die nach dem Fastenbrec­hen begannen: zu einer Zeit, wenn besonders viele Menschen auf den Straßen sind.

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Der Kampfplatz der nächsten Monate
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FOTO: AFP Mindestens zwölf Tote gab es in Maarat al-Numan.

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