Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Die Liebe und das Leben der Dutee Chand
Erstes Coming-Out einer indischen Profisportlerin – Familie droht mit Verbannung
BHUBANESHWAR (SID) - Das offene Bekenntnis zu ihrer Liebe könnte für Dutee Chand gleichzeitig den Bruch mit der Familie bedeuten. Die 23-Jährige ist Sprinterin, die schnellste Frau in der Geschichte ihres Landes. Weil dieses Land aber Indien ist, und Chand sich nun als erste prominente Sportlerin des 1,3-Milliarden-Einwohner-Staates mit seinen archaischen Sitten und Werten offen zu ihrer Homosexualität bekannte, hat sie ein Problem. Und dieses beginnt schon bei ihren Eltern, die Chands Entscheidung nicht akzeptieren wollen.
„Es gibt kein größeres Gefühl als die Liebe, und sie sollte nicht geleugnet werden. Ich mache nichts Illegales“, sagte Chand der „Times of India“: „Ich weiß, dass meine Beziehung mit einer Frau eine Herausforderung ist, aber ich habe mich dazu entschieden.“
Homosexualität in Indien erst seit Kurzem nicht mehr strafbar Ohnehin ist Chand eine Kämpferin. 2015 hatte sie erfolgreich vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS gegen die „Testosteron-Regel“des Weltverbandes IAAF geklagt, der einen Grenzwert des Hormonspiegels für Läuferinnen auf gewissen Strecken zur Voraussetzungen für Starts machte. Diesen Kampf führt Südafrikas Olympiasiegerin Caster Semenya mittlerweile prominent und erbittert weiter, Chand widmet sich einer generellen, noch wichtigeren Baustelle – der stets präsenten Homophobie in ihrem Land.
Im September kippte der Oberste Gerichtshof in Indien ein Gesetz, das Homosexualität unter Strafe stellt. „Das Urteil schließt die Tür zu einem dunklen Kapitel der indischen Geschichte. Es markiert eine neue Ära der Gleichberechtigung für Millionen von Menschen in Indien“, sagte Asmita Basu, Programmdirektorin von Amnesty International India,.
Diese neue Ära hat noch nicht überall begonnen. Die Eltern Chands, der Silbermedaillengewinnerin über 100 und 200 m bei den Asienspielen, waren nach dem Coming-Out ihrer Tochter „geschockt. Wir sind absolut gegen diese lesbische Beziehung“, sagte Mutter Akhuji Chand.
Schwester wolle sie wegen der Beziehung ins Gefängnis schicken Auch ihre ältere Schwester habe Chand bereits gedroht: „Sie übt Macht und Autorität in meiner Familie aus. Sie hat meinen älteren Bruder aus dem Haus geworfen, weil sie seine Frau nicht mag. Sie hat mir gedroht, dass mir dasselbe passieren wird. Sie hat mir gesagt, dass sie mich wegen dieser Beziehung ins Gefängnis schicken wird“, sagte die Sprinterin.
Homosexualität gilt in vielen Teilen der indischen Gesellschaft noch als großes Tabu. Im aus der Verfassung gestrichenen Paragraphen 377, der noch aus der britischen Kolonialzeit stammte, wurde die gleichgeschlechtliche Beziehung als „fleischlicher Verkehr gegen die Ordnung der Natur“bezeichnet.
Durch die mediale Aufmerksamkeit, die Chand seit ihrem ComingOut auf sich zog, seien ihre „Trainer ein wenig genervt. Mein Fokus wird aber immer auf meiner sportlichen Karriere bleiben und darin, Medaillen für mein Land zu gewinnen“, sagte Chand.
In der öffentlichen Diskussion möchte die im indischen Bundesstaat Odisha geborene Chand einzig als Sportlerin bewertet werden: „Ich bin seit zehn Jahren Sprinterin und werde vielleicht die nächsten fünf bis sieben Jahre weiterlaufen. Ich glaube, niemand hat das Recht, mich als Athletin zu beurteilen, weil ich mich entschieden habe, mit dem Menschen zusammen zu sein, den ich will.“