Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Ein Teppich aus Treibholz am Bodensee
Engagierter Polizist löst mit seinem ganz speziellen Vorgehen gegen Schaulustige eine Debatte aus
Der Dauerregen der vergangenen Tage ist vorbei. Doch während sich die Landwirte freuen und die Bürger froh sind, dass schlimmere Überschwemmungen ausgeblieben sind, hat die Seemeisterstelle in Lindau viel zu tun. Große Mengen von Treibholz (Foto: Christian Flemming) haben einige Hafeneinfahrten versperrt. Die guten Nachrichten: Das Aufräumen läuft und das Wetter bleibt vorerst gut.
MÜNCHEN - Trümmer, Blaulicht, Verletzte, Tote. Immer wieder locken Unfälle Schaulustige an. Sie behindern Rettungskräfte, filmen – auch beim Fahren – aus ihren Autos und sorgen manchmal sogar für weitere Unfälle. Nun platzte nach einem tödlichen Lkw-Unfall bei Nürnberg dem Leiter der Verkehrspolizei Feucht, Stefan Pfeiffer, der Kragen. „Da liegt er, wollen Sie ihn sehen?“, sprach er auf Englisch einen Autofahrer an, der in Richtung des Toten gefilmt hatte. „Nein? Warum machen Sie dann Fotos ?“Und: „Schämen Sie sich!“Einem anderen bot er an, er könne gern aussteigen „und sich die Leiche anschauen“. Das wollte dann doch keiner.
Pfeiffers Vorgehen sorgt nun für Debatten. „Herr Pfeiffer hat auf eine ganz ungewöhnliche Weise den Leuten ihr eigenes Verhalten einmal wie einen Spiegel vorgehalten“, sagt Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. „Wir sind richtig stolz auf ihn.“Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) lobte Pfeiffer. „Das Verhalten vieler Gaffer ist unverschämt und unverantwortlich. Ich freue mich, dass der Polizeikollege das einigen Gaffern auch mal emotional nahegebracht hat.“
„Zum Volkssport entwickelt“
Die Leute ließen sich weder von Bußgeldern noch von Strafandrohungen von diesem Verhalten abbringen, klagte Wendt. Das Filmen an Unglücksorten habe sich regelrecht „zum Volkssport entwickelt“. Pfeiffers Aktion sei geeignet, „um die öffentliche Aufmerksamkeit auf ein wirklich großes, drängendes Problem zu richten. Schocktherapie ist vielleicht mal ganz gut.“
Verkehrspsychologe Karl-Friedrich Voss sieht das anders. „Ich glaube nicht, dass das der Sache dienlich ist.“Der Hype um Pfeiffers Auftritt sei „wie ein Strohfeuer“. Es scheine für manche ein gutes Gefühl zu sein, sich im Spannungsfeld zu Menschen im Unglück zu sehen und selbst nicht betroffen zu sein. Zudem könnten sie mit dem Handy Dinge schnell aufnehmen und ins Internet stellen – „damit auch die anderen wissen, was sie alles Tolles gesehen haben“.
Auch Wendt kennt diese Motivation. „Es erhöht den Grad der eigenen Wichtigkeit, wenn ich bei einem herausragenden Ereignis dabei gewesen bin.“Jeder könne sich so als „Reporter“fühlen. Eine ADAC-Sprecherin mahnte, Gaffer nicht zu bestärken, „indem man womöglich ihre Fotos und Videos likt“.
Schaulustigen klar die Grenzen aufzuzeigen – dies sei richtig und wichtig, heißt es dazu aus dem Bayerischen Innenministerium. Allerdings sei die Abschreckung durch eine hohe Strafandrohung alleine kein Allheilmittel, wie ein Sprecher gegenüber Schwäbische.de sagte. Es brauche auch präventive Ansätze wie zum Beispiel das Aufstellen von mobilen Sichtschutzwänden. Bereits im August 2017 habe man auf Teilen der bayerischen Autobahnen deshalb ein Pilotprojekt gestartet. Das Fazit nach fast zwei Jahren fällt positiv aus: Nach dem Aufbau der Sichtschutzwände sei der Verkehr auf der Gegenfahrbahn deutlich schneller gelaufen, sagte ein Ministeriumssprecher. Nicht zuletzt die Ereignisse am Dienstag auf der A 6 seien Anlass genug, den Pilotversuch zu verlängern und auszuweiten.
Gegen Gaffer geht auch die Polizei in Baden-Württemberg vor. So dokumentieren die Beamten beispielsweise mit zivilen Video-Pkw derartige Verstöße. Die Betroffenen würden bei der anschließenden Kontrolle mit dem Verhalten konfrontiert, heißt es aus dem Innenministerium in Stuttgart. Auch in Baden-Württemberg sollen Sichtschutzwände nach und nach zum Einsatz kommen. Bis Ende 2019 sollen alle 16 Autobahnmeistereien im Südwesten mit mobilen Anti-GafferWänden ausgestattet werden.
Wolf setzt auf härtere Strafen
Das Land setzt aber auch auf härtere Strafen. Auf Initiative von Justizminister Guido Wolf (CDU) hat der Bundesrat sich erst vergangene Woche darauf geeinigt, die Gesetzeslage zu verschärfen. Bisher seien lediglich lebende Personen davor geschützt, dass bloßstellende Fotos und Videos gemacht und verbreitet werden. Das soll auf Tote ausgeweitet werden, heißt es in dem Beschluss. Nach Auffassung von Wolf ist es schlichtweg abstoßend, wenn Gaffer Todesopfer fotografieren oder filmen. „Diese erschreckende Trophäenjagd kennt keine Pietät, keinen Respekt vor den Toten mehr.“
Begrüßt wird der Vorstoß auch von Ralf Kusterer: „Leider müssen wir feststellen, dass die Schau- und Sensationslust keine Grenzen hat. Immer spätestens dann, wenn Menschen wehrlos sind, muss der Schutz des Staates einsetzen. Das muss auch für tote Menschen gelten“, betont der Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft.
Inzwischen wird über weitere Maßnahmen nachgedacht. Etwa solle geprüft werden, ob es eine Möglichkeit gebe, den Menschen das Handy wegzunehmen, weil damit eine Ordnungswidrigkeit begangen wurde, sagte der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft in Bayern, Rainer Nachtigall.