Schwäbische Zeitung (Laupheim)
200. Geburtstag
Vor 200 Jahren wurde die britische Königin Victoria geboren – Ihr Inszenierungsstil prägt die Royals bis heute
Wie Queen Victoria bis heute die Royals beeinflusst
RAVENSBURG - Royals gehen immer. Ob Heirat, Nachwuchs, Scheidung, Unfall, Tod – Meldungen über das britische Königshaus schaffen es auch jenseits der Insel in die Schlagzeilen. Die Windsors sind perfekte PR-Profis. Inzwischen. Vorgemacht haben ihnen das ihre Vorfahren. Queen Victoria und ihr Gemahl Prinz Albert entdeckten das damals neue Medium Fotografie für sich und setzten es geschickt für ihre Eigenwerbung ein. Vor 200 Jahren wurden die beiden geboren. Princess Alexandrina Victoria of Kent erblickte am 24. Mai 1819 das Licht der Welt im Kensington Palast in London, ihr späterer Gatte, Prinz Albert, ein paar Monate später am 26. August auf Schloss Rosenau bei Coburg. Sie waren Cousin und Cousine (und wurden von derselben Frauenärztin entbunden).
Die jungfräuliche Königin
Als die gerade mal 18-jährige Victoria 1837 Königin des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Irland wurde, hatte die Monarchie keinen besonders guten Ruf. Ihre Onkel und ihr Vater aus dem Geschlecht der Hannoveraner hatten das Image des Throns mit zahlreichen Skandalen mit Konkubinen und Verschwendung nachhaltig ruiniert. Die Historikerin Karina Urbach, eine exzellente Kennerin der britischen Geschichte, schreibt: „Victorias wichtigstes Attribut war es, ein unschuldiges Mädchen zu sein. Eine jungfräuliche Königin rief auch in zynisch veranlagten Zeitgenossen Beschützerinstinkte wach.“Parallelen zu Elizabeth I. wurden wach. Auch wenn die Zeit eine ganz andere war, so einte Victoria mit ihrer Vorgängerin doch die Herausforderung, sich in einer von Männern dominierten Gesellschaft zu behaupten.
Das scheint ihr nach dem Tod ihres Mannes durchaus gelungen zu sein. Immerhin hielt sie mit 63 Jahren, sieben Monaten und zwei Tagen lange Zeit den Rekord als dienstälteste Königin. Den Titel hat ihr erst ihre Ururenkelin Elizabeth II. abgenommen. Die aktuelle Queen trägt die Krone inzwischen seit 67 Jahren. Kaiserin von Indien ist sie nicht mehr, und das Reich, das während der Regentschaft ihrer Vorfahrin entstanden ist, gibt es so nicht mehr.
Die Kaiserin von Indien
500 Millionen Untertanen lebten in Victorias Reich, das britische Empire hatte sich während ihrer Regentschaft von 1837 bis 1901 weiter vergrößert. Allerdings auch die höchste Armutsrate. Die industrielle Revolution, Missernten, eine restriktive Zollpolitik und die Ausbeutung durch die Feudalherren ließen breite Schichten völlig verelenden. Wiewohl Victoria von der Lektüre von Charles Dickens’ „Oliver Twist“sehr erschüttert gewesen sein soll, so richtig angehen wollte und konnte die Krone die soziale Frage nicht.
Antideutsche Ressentiments Albert wird nicht nur als technikbegeistert geschildert. Er soll neuen politischen Ideen und wirtschaftlichen Strategien gegenüber viel aufgeschlossener gewesen sein als seine Frau. Freilich war sein politischer Spielraum als Prinzgemahl gering. Zwar lotete er immer wieder die Grenzen seiner „Macht“aus, doch ebenso oft musste er erfahren, dass seine Versuche beim Parlament und in der immer einflussreicheren Presse gar nicht gut ankamen. Jedes Mal wurde zudem die antideutsche Karte gespielt, wie man überhaupt über den deutschen Import „not amused“war.
Victoria habe sich sehr stark von ihrem Mann beeinflussen lassen. Manche Historiker gehen soweit zu sagen, sie sei ihrem Mann hörig gewesen. Dabei gilt die Monarchin als akribische Arbeiterin, die gewissenhaft die Akten durcharbeitete, die ihr ihre Premiers in den roten Boxen lieferten. Ähnliches wird ja auch ihrer Nachfahrin nachgesagt.
Queen Victoria hat einem sittenstrengen Zeitalter ihren Namen gegeben. Das aber hatte wohl eher nichts mit ihrer eigenen Persönlichkeit zu tun. Neuere Forschungen zeichnen nach der Auswertung ihrer Tagebücher das Bild einer in jungen Jahren durchaus lebenslustigen Frau, die gern tanzte, Männer vor allem nach ihrem Aussehen beurteilte und gerne Sex hatte mit dem von ihr vergötterten Albert. Was ihr weniger Freude machte, waren die Folgen ihres erfüllten Liebeslebens: Sie hasste das Kinderkriegen, und mit Babys konnte sie auch nichts anfangen. Nach jeder ihrer neun (ungewollten) Schwangerschaften und Geburten soll sie unter schweren Depressionen gelitten haben. Allein dem geliebten Albert soll es immer wieder gelungen sein, sie zu stabilisieren. Angeblich war auch die britische Öffentlichkeit nicht sonderlich erfreut über den reichen Kindersegen im Hause Windsor (das sich damals noch nicht so nannte). Die Steuerzahler klagten, dass jeder neue royale Sprössling sie wieder viel Geld kosten würde.
Die Witwe von Windsor
Das Bild, das wir von Königin Victoria, seit 1877 auch Kaiserin von Indien, haben, ist das der ewig trauernden Witwe. Tatsächlich fiel sie nach dem Tod Alberts 1861 in eine Art Schockstarre. Sechs Jahre lang verschwand sie praktisch aus der Öffentlichkeit, hielt noch nicht einmal die Thronrede im Parlament. Dennoch ließ sie Bilder von sich verbreiten – als gütige Landesmutter am Bett von Kranken, als Wohltäterin der Armen. Tatsächlich stiftete Victoria jährlich 15 Prozent ihrer Einkünfte für mildtätige Zwecke. Sie konnte sich das leisten angesichts einer jährlichen Apanage von 40 Millionen Pfund. Noch heute gehören die Windsors zu den wohlhabendsten unter Europas regierenden Häusern.
Gerüchte um ihre Diener Großzügig soll sich Victoria auch gegenüber ihren Getreuen oder Günstlingen gezeigt haben. Der eine war John Brown, ein schottischer Stallknecht, der andere Abdul Kharim, ihr indischer Diener und Sprachlehrer. Sie soll die beiden mit Immobilien und Geschenken überhäuft haben. Und angeblich nahm sie einen Ring des Highlanders mit ins Grab. Welcher Art die Beziehung zu diesen Männern tatsächlich war, wird wohl nie mehr zu klären sein. Immerhin bot die Geschichte wunderbaren Stoff für die britische Schauspielerin Judie Dench, die die alte Queen in „Ihre Majestät Mrs. Brown“und „Victoria und Abdul“verkörperte.
Die Großmutter Europas
Queen Victoria wird oft „Großmutter Europas“genannt. Ihre Nachkommen besetzen bis heute die Throne in England, Spanien, Norwegen, Schweden und Dänemark. Durch Victoria sind (fast) alle mit allen verwandt, die Oberhäupter der ehemaligen Herrscherhäuser von Preußen und Russland, Serbien und Rumänien, Griechenland und Frankreich, Hannover, Hessen, Baden und – natürlich Sachsen-Coburg-Gotha. Der Name Saxe-Coburg-Gotha war dem britischen Herrscherhaus allerdings allmählich suspekt. König Georg V. änderte den Namen 1917 im Ersten Weltkrieg in Windsor ab.
Der ungeliebte Enkel Wilhelm Queen Victorias Idee, durch eine ausgeklügelte Heiratspolitik ein System politischer Verbindungen von London bis Moskau aufzubauen, verhinderte nicht, dass sich Europa im 20. Jahrhundert selbst zerfleischte. Die Rechnung, durch die Heirat ihrer Erstgeborenen Vicky mit dem preußischen Thronfolger, das britische politische System in Deutschland einzurichten, ging nicht auf. Kaiser Friedrich III. starb 1888. Er ging als „99-Tage-Kaiser“in die Annalen ein. Der von der Queen beargwöhnte Enkel Wilhelm kam an die Macht. Obwohl sie es ausdrücklich untersagt hatte, drängte sich Wilhelm II. ans Sterbebett seiner Großmutter. Sie soll in seinen Armen gestorben sein.
Literaturhinweise:
Karina Urbach: Queen Victoria. Die unbeugsame Königin. C.H. Beck Verlag. 2018. 284 Seiten. A. N. Wilson: Victoria: A Life.
London 2015.