Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Angriff auf die chinesische Tischtennis-Dominanz
Samstag spielen die TTF Ochsenhausen um die deutsche Meisterschaft – doch sie haben noch Größeres im Blick
OCHSENHAUSEN - Ochsenhausen ist eine kleine Stadt mit rund 9000 Einwohnern. Vormittags tingeln ältere Damen gemütlich zum Einkaufen. Hier wird die chinesische Übermacht herausgefordert – im Tischtennis.
In der unauffälligen, mit Wellblech verkleideten Sporthalle in der Riedstraße 44 residiert das Liebherr Masters College, kurz LMC. Es gehört zu den Tischtennisfreunden Ochsenhausen, TTF, bildet aber nicht exklusiv für den Verein aus.
Diesen Samstag spielen die TTF in Frankfurt gegen den 1. FC Saarbrücken um die deutsche Meisterschaft. Der Titel wäre der größte Erfolg seit 15 Jahren. Rund um die TTF sind alle aufgeregt, klar. Aber im LMC geht es um viel mehr. Drinnen befinden sich die Trainingshalle, ein Aufenthaltsraum, ein Lager und ein Büro, an dessen Wand ein übervoller Terminkalender hängt. Im Gang stehen Plastikpflanzen – keine Zeit zum Gießen. Denn hier wird der Angriff auf die Weltspitze geplant. Der ambitionierte Plan: Irgendwann soll der beste Tischtennisspieler der Welt in Ochsenhausen ausgebildet werden. Oder zumindest der beste, der nicht aus China kommt.
Timo Boll, der erfolgreichste Nicht-Chinese, spielt in Düsseldorf Die Nation mit mehr als 1,3 Milliarden Einwohnern, in der Tischtennis Volkssport Nummer 1 ist. In den vergangenen 19 Jahren standen nur 14 Monate lang Nicht-Chinesen auf Platz 1 der Weltrangliste der Männer. Darunter zwei Deutsche: Timo Boll viermal und insgesamt elf Monate lang, Dima Ovtcharov zwei Monate lang. „Bei den Chinesen macht’s eben auch die Masse“, sagt der Präsident des LMC, Kristijan Pejinovic.
Doch wie soll man in Deutschland dagegen ankommen? Einem Land, in dem mit Tischtennis nicht viel Geld zu verdienen ist. Weshalb traditionell die besten Spieler, wie Timo Boll, beim Rekordmeister Borussia Düsseldorf oder gleich im finanziell weit lukrativeren Ausland spielen. Pejinovic, gleichzeitig Präsident der TTF, beschreibt die Situation mit Humor: „Das ist wie Asterix und Obelix, und ich bin in Gallien.“Pejinovic meint. eine Lösung für das Problem gefunden zu haben. Im LMC formt man die Topstars einfach selbst – erfolgreich.
Der Fokus dabei ist nicht Oberschwaben. Nicht Deutschland. Nicht mal zwingend Europa. Mit Hugo Calderano aus Brasilien und Jang Woojin aus Südkorea sind aktuell zwei in Ochsenhausen ausgebildete Spieler auf Platz acht und neun in die Top-Ten der Welt eingedrungen. Calderano spielt auch am Samstag gegen Saarbrücken. Den Pokalsieg hat das Team, das außerdem aus dem Franzosen Simon Gauzy, dem Österreicher Stefan Fegerl und dem Polen Jakub Dyjas besteht, bereits in der Tasche.
Im LMC ist es egal, wer wo herkommt. „Das kann auch ein Eskimo sein, das ist wurscht. Hauptsache, er trifft den Ball“, sagt Pejinovic. „Wir halten immer die Augen offen“, sagt Dimitrij Mazunov, der Trainer.
Während im Gang des LMC der Präsident spricht, singt Hugo Calderano, der bereits seit 2014 in Ochsenhausen ist, in der Umkleide und lacht. Der 23-Jährige hat großen Anteil am Pokalsieg, blieb bis zum Titelgewinn ungeschlagen. Als er ihn vor fünf Jahren offiziell vorgestellt habe, habe ihn ein Reporter gefragt, wer das sei und woher er komme, erzählt Pejinovic. Ob in Brasilien überhaupt Tischtennis gespielt wird, sei die nächste Frage des Reporters gewesen. Calderano schlug 2018 den Chinesen Fan Zhendong. Den langjährigen Dominator. Spätestens da waren alle Zweifler eines Besseren belehrt.
International ist längst bekannt, dass da in einer kleinen oberschwäbischen Stadt ein einzigartiges Leistungszentrum existiert. Das erste Mal, dass die Tischtennis-Elite interessiert nach Ochsenhausen blickte, war bereits 2012, als Jang Woojin nach zwei Jahren Ausbildung am LMC Jugendweltmeister wurde
Sponsoren zahlen die Ausbildung Die Idee des LMC entstand aber nicht in Ochsenhausen, sondern in Bamberg im Jahr 2009. „Es war eine Vision“, sagt Pejinovic. Damals war noch Rainer Ihle Präsident der TTF Ochsenhausen. Bei einem gemeinsamen Spaziergang trafen die beiden auf Georg Nicklas, Chef des Unternehmens ESN Deutsche Tischtennis Technologie GmbH, Weltmarktführer für Beläge von Tischtennisschlägern. Ihle und Nicklas sinnierten über ihre Ziele: Die Leistungsspanne zu Asien verringern, vielleicht die Asiaten irgendwann sogar mal überholen – das wäre doch was. Die Idee des LMC war geboren.
Auch heute noch sind die Partnerschaften mit Ausrüstern und Sponsoren elementar für das LMC. Sie finanzieren nicht nur das Zentrum selbst, sondern auch die Spieler. Wer am LMC trainieren will, muss nicht nur sein Können beweisen, einen Background-Check und Charaktertest überstehen, nein, er sollte möglichst auch einen persönlichen Sponsoringvertrag mit einem Ausrüster haben, der ihm die Ausbildung finanziert. Für außergewöhnliche Talente kommt das LMC auch manchmal selbst auf.
Gewinn wollen die Verantwortlichen laut eigener Aussage mit dem Projekt noch nicht erzielen. Eine extra für das LMC gegründete Stiftung schießt bis heute noch Geld zu. Der sportliche Erfolg für das LMC und die TTF sind der bisherige Lohn. Dass ihre Top-Spieler irgendwann den unmoralischen Angeboten aus dem Ausland nicht mehr widerstehen können, weiß auch Pejinovic. „Ich will aber nicht der SC Freiburg des Tischtennis sein.“Deswegen setzt er darauf, dass seine Spieler dem LMC etwas für die Ausbildung zurückgeben wollen. Das scheint zu funktionieren. Die Vereinstreue der Spieler der TTF ist bemerkenswert. Obwohl nicht wenige potente Vereine ihre Blicke mit viel Begehren auf Ochsenhausen richten, wo die Bewohner teilweise über die Riedstraße nur wissen, dass dort Tischtennis gespielt wird. „Das stört mich nicht“, sagt Pejinovic.
Denn die internationale Reputation ist mittlerweile riesig. Der chinesische Top-Verein Shandong Luneng war schon für eine Woche Trainingslager zu Besuch, und es existiert eine Kooperation mit dem Japanischen Olympischen Komitee. Man hat noch viel vor.
Bald wird am LMC angebaut. Die noch in der Ortsmitte gelegene Geschäftsstelle zieht ein. Außerdem wird ein Tischtennislabor geschaffen, um auch die technische Entwicklung voranzutreiben. Wann und ob irgendwann die Nummer 1 der Welt in Ochsenhausen residiert, weiß Pejinovic nicht. Gelassen fügt er hinzu: „Wir arbeiten daran.“