Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Das Moor’sche Gesetz darf nicht sterben
Wie ein schwäbisch-holländisches Trio zum weltweit dominierenden Chipausrüster aufgestiegen ist
DITZINGEN/OBERKOCHEN/VELDHOVEN - Die Schleusentür fällt ins Schloss. Vor dem Besucher tut sich ein Gang auf. Links und rechts strömt aus unzähligen Düsen reinste Luft. Mit der werden die Schutzanzüge der Gäste laut hörbar abgeblasen. Ein Ventilator saugt die mit Staubpartikeln kontaminierte Luft ab. Die Prozedur dauert nur ein paar Sekunden, ehe eine zweite Tür aufgeht und den Blick auf die Reinraumwerkhallen des niederländischen Chipausrüsters ASML in Veldhoven freigibt. Dort stehen in hermetisch abgeriegelten Boxen monströse Maschinen, so groß wie ein Stadtbus. Glänzender Edelstahl, ein unüberschaubares Gewirr aus Leitungen, Schläuchen, Kabeln, Ventilen, 100 000 Einzelteile, 120 Millionen Euro teuer – oder kurz: der NXE:3400B.
Auf den im Fachjargon Scanner genannten Geräten werden Computerchips produziert, und der NXE:3400B repräsentiert den größten Technologiesprung der Branche seit Jahren. Das Geheimnis dahinter lässt sich auf drei Buchstaben eindampfen: EUV – extrem-ultraviolettes Licht. Mit diesem Licht lassen sich Chips von unvorstellbar winzigen Strukturen bauen. Gerade einmal sieben Nanometer breit sind die Leiterbahnen auf den Siliziumscheibchen, die mit der NXE:3400B bearbeitet werden – umgerechnet sind das sieben millionstel Millimeter. Mit dabei: schwäbische Hochtechnologie – Kohlendioxidlaser vom Ditzinger Familienunternehmen Trumpf und Hightech-Optiken von Carl Zeiss aus Oberkochen.
Es ist die Geschichte einer einzigartigen Kooperation der drei Partner, die Europa zum Hotspot der globalen Chipausrüsterindustrie gemacht hat und die dafür sorgt, dass das Moor’sche Gesetz der Halbleiterbranche fortgeschrieben wird. Dieses Gesetz, benannt nach dem IntelMitgründer Gordon Moore, besagt, dass sich die Anzahl der Komponenten auf einem Computerchip (vor allem Transistoren) und damit die Zahl möglicher Rechenoperationen pro Sekunde alle zwei Jahre verdoppelt, bei sinkenden Stückkosten. „Ohne uns“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter der Lasersparte bei Trumpf, Peter Leibinger, „würde das Moor’sche Gesetz enden.“
Tatsächlich hat Gordon Moore bis vor rund zehn Jahren recht behalten. Regelmäßig wurden Computerchips leistungsfähiger und billiger. „Doch dann“, sagt ASML-Vorstand Christophe Fouquet, „hatten wir plötzlich einen Bruch.“Der US-Chipgigant Intel, bekannt dafür, die komplexesten Chips zu fertigen, war nicht mehr in der Lage das Tempo der Vergangenheit zu halten. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete das holländisch-schwäbische Trio schon fieberhaft an der neuen Scanner-Generation, doch die Technologie zu industrialisieren und robust für eine Massenfertigung zu machen, erwies sich als schwieriger und komplexer als ursprünglich gedacht. „Wir bewegen uns hier an den Grenzen des physikalisch Machbaren“, erklärt Fouquet.
Das Grundprinzip der Scanner von ASML, Zeiss und Trumpf ist die Lithografie – und die funktioniert ähnlich wie ein überdimensionaler Diaprojektor: Die auf einer Maske abgebildeten Chipstrukturen werden mittels Licht auf eine Siliziumscheibe, den sogenannten Wafer, übertragen. Der Wafer ist mit einem Fotolack überzogen. Überall da, wo das Licht auftrifft, verändert sich die chemische Struktur des Fotolacks. Dadurch werden die darunterliegenden Leiterbahnen konserviert. Die unbelichteten Stellen auf dem Wafer werden anschließend in einem Ätzprozess entfernt. Je kurzwelliger das verwendete Licht ist umso filigranere Strukturen lassen sich auf dem Chip erzeugen.
Aktuelle Lithografiesysteme arbeiten mit tief-ultraviolettem Licht (DUV), das eine Wellenlänge von 193 Nanometern hat. Durch allerlei technische Finessen lassen sich damit Chipstrukturen von bis zu 40 Nanometern erzeugen. Doch erst extremultraviolettes
Licht mit einer Wellenlänge von nur noch 13,5 Nanometern ermöglicht den Vorstoß in neue Dimensionen.
In der Praxis ist das aber eine äußert schwierig herstellbare
Lichtsorte. Sie wird mit Hochleistungslasern erzeugt – und an der Stelle kommen die Ingenieure aus Ditzingen ins Spiel. Ein Trumpf-Laser schießt in einer Vakuumkammer auf vorbeirauschende Zinntröpfchen, die, ähnlich einem Tintenstrahldrucker, in die Kammer eingespritzt werden – und zwar in der kaum vorstellbaren Geschwindigkeit von 50 000 Mal pro Sekunde. Bei diesem Hightech-Tontaubenschießen entsteht ein Plasmablitz mit der gewünschten Wellenlänge von 13,5 Nanometern. Ein Kollektor fängt das emittierte EUV-Licht ein und übergibt es an die Optiken von Zeiss. Dort wird das Licht über sechs HightechSpiegel bis auf den Wafer geleitet – alles im Vakuum versteht sich, denn Luft absorbiert EUV-Licht, der Strahl würde andernfalls nicht ankommen.
Geschliffen und poliert werden die Spiegel aus 50 Kilogramm schweren Glaskeramikblöcken in Oberkochen. Das Material stammt aus der Weltraumforschung und hält Hitzeunterschiede von 300 Grad aus, ohne sich zu verformen. Mehr als acht Wochen dauert die Bearbeitung eines Spiegels. „Am Ende kratzen wir mit einem Ionenstrahl auch noch die letzten Atome von der Oberfläche“, sagt Christian Duschek, der bei Zeiss die Rundoptikfertigung leitet, um eine maximale Glättung zu erreichen.
Komplettiert wird das Ganze dann bei ASML in Veldhoven. „Nach den letzten Tests gehen die Maschinen zu den Großkunden der Chipindustrie“, keucht Roger Roumen, Manager in der EUV-Produktion bei ASML hinter seinem weißen Mundschutz. Konzerne wie Intel, Samsung, TSMC oder SK Hynix warten seit geraumer Zeit ungeduldig auf die neuen Lithografiesysteme. Denn ohne die, sind Chips, wie sie für das autonome Fahren, für Industrie-4.0-Andwendungen, für 5G-Mobilfunk oder für BigData-Analysen in Echtzeit, nicht wirtschaftlich zu produzieren. Mit vier Jahren Zeitverzug kommen die Geräte nun in größeren Stückzahlen auf den Markt; erste Chips auf Basis der EUV-Technologie dürften noch dieses Jahr die Halbleiterfabriken in Asien verlassen. Allein Samsung will in den nächsten Jahren mehr als 100 Milliarden Euro in neue Chip-Technik investieren. ASML mit seinen Partnern Trumpf und Zeiss kann also mit gewaltigen Aufträgen rechnen.
Dass das Trio trotz der Verspätung dick im Geschäft ist, liegt an der einzigartigen Marktposition. Bei DUVSystemen, dem technologischen Vorgänger der EUV-Scanner, halten die Niederländer nach eigenen Angaben einen Marktanteil von 85 Prozent. Bei EUV gibt es gar keine Konkurrenz. Asiatische Giganten wie Nikon und Canon wurden fast komplett aus dem Markt gedrängt. Für die Chiphersteller ist ASML mit seinen schwäbischen Partnern damit unverzichtbar.
Dass es in der rund 20-jährigen Projektlaufzeit den ein oder anderen kritischen Moment gab, gibt ASMLManager Fouquet aber zu. 2011 etwa, als der Zeitplan – in der Branche Roadmap genannt – wiederholt umgeworfen werden musste, und dem Intel-Cheftechnologen auf einer Konferenz der Kragen platzte: „So könne es nicht weitergehen“, blaffte der Manager die ASML-Vertreter damals an. Im Jahr darauf steckten die großen Chiphersteller 4,1 Milliarden Euro in den niederländischen Maschinenbauer, um die Technologie voranzubringen. „Die Industrie war bereit, alles für den Erfolg der EUVTechnologie zu tun, weil die Weltwirtschaft davon abhängt“, sagt Trumpf-Laserchef Leibinger.
Und sie ist es auch weiterhin. Denn längst arbeiten die drei Partner – Leibinger: „Fühlt sich an wie eine Firma.“– an der nächsten Generation der EUV-Scanner. „High NA“heißen die Geräte, die ab 2023 Chipstrukturen von deutlich unter sieben Nanometern ermöglichen sollen. Der Aufwand, der dafür betrieben werden muss, ist immens. Für Zeiss beispielsweise heißt das, Optiken mit acht statt sechs Hightech-Spiegeln zu liefern, die noch dazu deutlich größer sind. Im Südwerk in Oberkochen laufen bereits die Vorbereitungen: Die zur Vermessung der Spiegel benötigten Vakuumkammern sind so groß wie eine Hubschrauberkabine.
Damit dabei nichts schiefgeht, und das Risiko beherrschbar bleibt, haben sich die Niederlänger 2016 für eine Milliarde Euro mit einem knappen Viertel an der Zeiss-Halbleitersparte SMT beteiligt. ASML-Manager Fouquet prophezeit: „Das ist die Technologie für die nächste Dekade, vielleicht sogar für die nächsten zwei.“Das Moor’sche Gesetz kann weitergeschrieben werden.
„Die Industrie war bereit, alles für den Erfolg zu tun, weil die Weltwirtschaft davon abhängt.“
Peter Leibinger, geschäftsführender Gesellschafter bei Trumpf