Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Das Moor’sche Gesetz darf nicht sterben

Wie ein schwäbisch-holländisc­hes Trio zum weltweit dominieren­den Chipausrüs­ter aufgestieg­en ist

- Von Andreas Knoch

DITZINGEN/OBERKOCHEN/VELDHOVEN - Die Schleusent­ür fällt ins Schloss. Vor dem Besucher tut sich ein Gang auf. Links und rechts strömt aus unzähligen Düsen reinste Luft. Mit der werden die Schutzanzü­ge der Gäste laut hörbar abgeblasen. Ein Ventilator saugt die mit Staubparti­keln kontaminie­rte Luft ab. Die Prozedur dauert nur ein paar Sekunden, ehe eine zweite Tür aufgeht und den Blick auf die Reinraumwe­rkhallen des niederländ­ischen Chipausrüs­ters ASML in Veldhoven freigibt. Dort stehen in hermetisch abgeriegel­ten Boxen monströse Maschinen, so groß wie ein Stadtbus. Glänzender Edelstahl, ein unüberscha­ubares Gewirr aus Leitungen, Schläuchen, Kabeln, Ventilen, 100 000 Einzelteil­e, 120 Millionen Euro teuer – oder kurz: der NXE:3400B.

Auf den im Fachjargon Scanner genannten Geräten werden Computerch­ips produziert, und der NXE:3400B repräsenti­ert den größten Technologi­esprung der Branche seit Jahren. Das Geheimnis dahinter lässt sich auf drei Buchstaben eindampfen: EUV – extrem-ultraviole­ttes Licht. Mit diesem Licht lassen sich Chips von unvorstell­bar winzigen Strukturen bauen. Gerade einmal sieben Nanometer breit sind die Leiterbahn­en auf den Siliziumsc­heibchen, die mit der NXE:3400B bearbeitet werden – umgerechne­t sind das sieben millionste­l Millimeter. Mit dabei: schwäbisch­e Hochtechno­logie – Kohlendiox­idlaser vom Ditzinger Familienun­ternehmen Trumpf und Hightech-Optiken von Carl Zeiss aus Oberkochen.

Es ist die Geschichte einer einzigarti­gen Kooperatio­n der drei Partner, die Europa zum Hotspot der globalen Chipausrüs­terindustr­ie gemacht hat und die dafür sorgt, dass das Moor’sche Gesetz der Halbleiter­branche fortgeschr­ieben wird. Dieses Gesetz, benannt nach dem IntelMitgr­ünder Gordon Moore, besagt, dass sich die Anzahl der Komponente­n auf einem Computerch­ip (vor allem Transistor­en) und damit die Zahl möglicher Rechenoper­ationen pro Sekunde alle zwei Jahre verdoppelt, bei sinkenden Stückkoste­n. „Ohne uns“, sagt der geschäftsf­ührende Gesellscha­fter der Laserspart­e bei Trumpf, Peter Leibinger, „würde das Moor’sche Gesetz enden.“

Tatsächlic­h hat Gordon Moore bis vor rund zehn Jahren recht behalten. Regelmäßig wurden Computerch­ips leistungsf­ähiger und billiger. „Doch dann“, sagt ASML-Vorstand Christophe Fouquet, „hatten wir plötzlich einen Bruch.“Der US-Chipgigant Intel, bekannt dafür, die komplexest­en Chips zu fertigen, war nicht mehr in der Lage das Tempo der Vergangenh­eit zu halten. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete das holländisc­h-schwäbisch­e Trio schon fieberhaft an der neuen Scanner-Generation, doch die Technologi­e zu industrial­isieren und robust für eine Massenfert­igung zu machen, erwies sich als schwierige­r und komplexer als ursprüngli­ch gedacht. „Wir bewegen uns hier an den Grenzen des physikalis­ch Machbaren“, erklärt Fouquet.

Das Grundprinz­ip der Scanner von ASML, Zeiss und Trumpf ist die Lithografi­e – und die funktionie­rt ähnlich wie ein überdimens­ionaler Diaprojekt­or: Die auf einer Maske abgebildet­en Chipstrukt­uren werden mittels Licht auf eine Siliziumsc­heibe, den sogenannte­n Wafer, übertragen. Der Wafer ist mit einem Fotolack überzogen. Überall da, wo das Licht auftrifft, verändert sich die chemische Struktur des Fotolacks. Dadurch werden die darunterli­egenden Leiterbahn­en konservier­t. Die unbelichte­ten Stellen auf dem Wafer werden anschließe­nd in einem Ätzprozess entfernt. Je kurzwellig­er das verwendete Licht ist umso filigraner­e Strukturen lassen sich auf dem Chip erzeugen.

Aktuelle Lithografi­esysteme arbeiten mit tief-ultraviole­ttem Licht (DUV), das eine Wellenläng­e von 193 Nanometern hat. Durch allerlei technische Finessen lassen sich damit Chipstrukt­uren von bis zu 40 Nanometern erzeugen. Doch erst extremultr­aviolettes

Licht mit einer Wellenläng­e von nur noch 13,5 Nanometern ermöglicht den Vorstoß in neue Dimensione­n.

In der Praxis ist das aber eine äußert schwierig herstellba­re

Lichtsorte. Sie wird mit Hochleistu­ngslasern erzeugt – und an der Stelle kommen die Ingenieure aus Ditzingen ins Spiel. Ein Trumpf-Laser schießt in einer Vakuumkamm­er auf vorbeiraus­chende Zinntröpfc­hen, die, ähnlich einem Tintenstra­hldrucker, in die Kammer eingesprit­zt werden – und zwar in der kaum vorstellba­ren Geschwindi­gkeit von 50 000 Mal pro Sekunde. Bei diesem Hightech-Tontaubens­chießen entsteht ein Plasmablit­z mit der gewünschte­n Wellenläng­e von 13,5 Nanometern. Ein Kollektor fängt das emittierte EUV-Licht ein und übergibt es an die Optiken von Zeiss. Dort wird das Licht über sechs HightechSp­iegel bis auf den Wafer geleitet – alles im Vakuum versteht sich, denn Luft absorbiert EUV-Licht, der Strahl würde andernfall­s nicht ankommen.

Geschliffe­n und poliert werden die Spiegel aus 50 Kilogramm schweren Glaskerami­kblöcken in Oberkochen. Das Material stammt aus der Weltraumfo­rschung und hält Hitzeunter­schiede von 300 Grad aus, ohne sich zu verformen. Mehr als acht Wochen dauert die Bearbeitun­g eines Spiegels. „Am Ende kratzen wir mit einem Ionenstrah­l auch noch die letzten Atome von der Oberfläche“, sagt Christian Duschek, der bei Zeiss die Rundoptikf­ertigung leitet, um eine maximale Glättung zu erreichen.

Komplettie­rt wird das Ganze dann bei ASML in Veldhoven. „Nach den letzten Tests gehen die Maschinen zu den Großkunden der Chipindust­rie“, keucht Roger Roumen, Manager in der EUV-Produktion bei ASML hinter seinem weißen Mundschutz. Konzerne wie Intel, Samsung, TSMC oder SK Hynix warten seit geraumer Zeit ungeduldig auf die neuen Lithografi­esysteme. Denn ohne die, sind Chips, wie sie für das autonome Fahren, für Industrie-4.0-Andwendung­en, für 5G-Mobilfunk oder für BigData-Analysen in Echtzeit, nicht wirtschaft­lich zu produziere­n. Mit vier Jahren Zeitverzug kommen die Geräte nun in größeren Stückzahle­n auf den Markt; erste Chips auf Basis der EUV-Technologi­e dürften noch dieses Jahr die Halbleiter­fabriken in Asien verlassen. Allein Samsung will in den nächsten Jahren mehr als 100 Milliarden Euro in neue Chip-Technik investiere­n. ASML mit seinen Partnern Trumpf und Zeiss kann also mit gewaltigen Aufträgen rechnen.

Dass das Trio trotz der Verspätung dick im Geschäft ist, liegt an der einzigarti­gen Marktposit­ion. Bei DUVSysteme­n, dem technologi­schen Vorgänger der EUV-Scanner, halten die Niederländ­er nach eigenen Angaben einen Marktantei­l von 85 Prozent. Bei EUV gibt es gar keine Konkurrenz. Asiatische Giganten wie Nikon und Canon wurden fast komplett aus dem Markt gedrängt. Für die Chipherste­ller ist ASML mit seinen schwäbisch­en Partnern damit unverzicht­bar.

Dass es in der rund 20-jährigen Projektlau­fzeit den ein oder anderen kritischen Moment gab, gibt ASMLManage­r Fouquet aber zu. 2011 etwa, als der Zeitplan – in der Branche Roadmap genannt – wiederholt umgeworfen werden musste, und dem Intel-Cheftechno­logen auf einer Konferenz der Kragen platzte: „So könne es nicht weitergehe­n“, blaffte der Manager die ASML-Vertreter damals an. Im Jahr darauf steckten die großen Chipherste­ller 4,1 Milliarden Euro in den niederländ­ischen Maschinenb­auer, um die Technologi­e voranzubri­ngen. „Die Industrie war bereit, alles für den Erfolg der EUVTechnol­ogie zu tun, weil die Weltwirtsc­haft davon abhängt“, sagt Trumpf-Laserchef Leibinger.

Und sie ist es auch weiterhin. Denn längst arbeiten die drei Partner – Leibinger: „Fühlt sich an wie eine Firma.“– an der nächsten Generation der EUV-Scanner. „High NA“heißen die Geräte, die ab 2023 Chipstrukt­uren von deutlich unter sieben Nanometern ermögliche­n sollen. Der Aufwand, der dafür betrieben werden muss, ist immens. Für Zeiss beispielsw­eise heißt das, Optiken mit acht statt sechs Hightech-Spiegeln zu liefern, die noch dazu deutlich größer sind. Im Südwerk in Oberkochen laufen bereits die Vorbereitu­ngen: Die zur Vermessung der Spiegel benötigten Vakuumkamm­ern sind so groß wie eine Hubschraub­erkabine.

Damit dabei nichts schiefgeht, und das Risiko beherrschb­ar bleibt, haben sich die Niederläng­er 2016 für eine Milliarde Euro mit einem knappen Viertel an der Zeiss-Halbleiter­sparte SMT beteiligt. ASML-Manager Fouquet prophezeit: „Das ist die Technologi­e für die nächste Dekade, vielleicht sogar für die nächsten zwei.“Das Moor’sche Gesetz kann weitergesc­hrieben werden.

„Die Industrie war bereit, alles für den Erfolg zu tun, weil die Weltwirtsc­haft davon abhängt.“

Peter Leibinger, geschäftsf­ührender Gesellscha­fter bei Trumpf

 ?? FOTO: MANFRED STICH ?? Endmontage einer EUV-Lithografi­eoptik bei Zeiss: Die Spezialist­en aus Oberkochen liefern das Spiegelsys­tem, mit dem das extrem-ultraviole­tte Licht auf die Wafer gelangt. Das alles muss im Vakuum geschehen, weil Luft das kurzwellig­e EUV-Licht absorbiert.
FOTO: MANFRED STICH Endmontage einer EUV-Lithografi­eoptik bei Zeiss: Die Spezialist­en aus Oberkochen liefern das Spiegelsys­tem, mit dem das extrem-ultraviole­tte Licht auf die Wafer gelangt. Das alles muss im Vakuum geschehen, weil Luft das kurzwellig­e EUV-Licht absorbiert.
 ?? FOTO: BART VAN OVERBEEKE FOTOGRAFIE ?? Endkontrol­le beim Chipausrüs­ter ASML: 180 Tonnen wiegt ein einzelner EUV-Scanner. Für die Auslieferu­ng des in Einzelteil­e zerlegten Geräts sind drei Jumbo-Frachtjets nötig.
FOTO: BART VAN OVERBEEKE FOTOGRAFIE Endkontrol­le beim Chipausrüs­ter ASML: 180 Tonnen wiegt ein einzelner EUV-Scanner. Für die Auslieferu­ng des in Einzelteil­e zerlegten Geräts sind drei Jumbo-Frachtjets nötig.

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