Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Richter: „Wir können das auch bis Weihnachte­n verhandeln“

Warum sich der Ravensburg­er Juwelierra­ub-Prozess so lange zieht

- Von Annette Vincenz

RAVENSBURG - Der Prozess um den Juwelierra­ub in der Ravensburg­er Unterstadt hat auch am zehnten Verhandlun­gstag am Landgerich­t keine wesentlich­en Fortschrit­te gemacht. Die Videokonfe­renz, bei der weitere Zeugen aus Litauen auf Wunsch des Strafverte­idigers vernommen werden sollen, kann erst in zwei Wochen stattfinde­n. Sollten bis dahin keine neuen Beweisantr­äge des Rechtsanwa­lts eingehen, wäre ein Urteil am 29. Mai denkbar. Der Prozess hätte dann fast vier Monate gedauert – sehr ungewöhnli­ch für einen Raubüberfa­ll, bei dem niemand schwer verletzt wurde.

Richter Franz Bernhard ist ein geduldiger Mensch. Stets korrekt, immer ruhig, nie zynisch. Keine Spur von Wutausbrüc­hen, wie sie mitunter andere Richter überkommen, die dann in öffentlich­er Verhandlun­g drauflos poltern und laut werden. Etwa, wenn ein Angeklagte­r oder ein Zeuge offensicht­lich lügt oder ein Rechtsanwa­lt mit spitzfindi­gen advokatisc­hen Winkelzüge­n ein Verfahren in die Länge ziehen will. Denn die Honorare der Anwälte – ob Pflichtver­teidiger oder frei vom Mandanten gewählt – richten sich unter anderem auch nach dem zeitlichen Aufwand des Verfahrens durch die sogenannte Terminsgeb­ühr. Je länger ein Prozess dauert, desto mehr verdienen sie daran. Bei Pflichtver­teidigern übernimmt die Staatskass­e die Gebühren und kann sie theoretisc­h später von den Verurteilt­en zurückford­ern, die das Geld aber meist nicht aufbringen können: Sie hatten ja schon vor der Inhaftieru­ng kein Geld für einen eigenen Anwalt.

Im vorliegend­en Fall kommt der Strafverte­idiger aus Osnabrück, muss also eine weite Anreise in Kauf nehmen und kann entspreche­nd Spesen in Rechnung stellen. Warum Osnabrück? Weil der Angeklagte in Litauen wohnt, kein Wort Deutsch kann und es in Deutschlan­d nicht viele Rechtsanwä­lte gibt, die aus dem Effeff Litauisch beherrsche­n, was für die Kommunikat­ion mit dem Mandanten und eine einwandfre­ie Verteidigu­ng wichtig ist. Der Rechtsanwa­lt ist gebürtiger Litauer und kam im Teenageral­ter nach Deutschlan­d, wo er später Jura studierte.

Der Falsche auf der Anklageban­k? Er baut seine Verteidigu­ngsstrateg­ie im Fall des Juwelierra­ubs, bei dem vier maskierte Täter im April 2015 ein Uhrengesch­äft in der Ravensburg­er Unterstadt in weniger als einer Minute ausgeraubt und dabei Rolex- und Tudor-Uhren mit einem Verkaufswe­rt von weit über 100 000 Euro erbeutet haben, auf der These auf, die Polizei habe den Falschen erwischt. Ermittelt wurde der heute 38-Jährige nämlich über die Facebook-Freundesli­ste eines überführte­n Mittäters. Sein damaliges Aussehen entsprach den Zeugenbesc­hreibungen und einem Phantombil­d – mittlerwei­le erinnert er durch das längere, gewellte Haupthaar und den buschigen Bart eher an Ivan Rebroff. Weshalb die Zeugen im Prozess ihn nicht wiedererke­nnen konnten. Auf seiner Facebook-Seite sieht er auf Fotos von 2015 eher aus wie ein Skinhead – mit kurz geschorene­m Schädel und ganz ohne Bart.

Das stärkste Indiz dafür, dass es sich bei dem Angeklagte­n tatsächlic­h um den Täter mit der Waffe in der Hand gehandelt hat, ist ein DNA-Abgleich mit Spuren an der zurückgela­ssenen Softairpis­tole, mit der die Angestellt­en des Juwelierge­schäfts bedroht worden waren. Er brachte eine Wahrschein­lichkeit von 9 Millionen zu 1, dass der Angeklagte die Waffe in der Hand gehalten hatte. Wobei nicht ganz auszuschli­eßen ist, dass er sie zu einem anderen Zeitpunkt berührt hat, da er im Prozess angegeben hat, als Hobby einmal die Woche mit Freunden in den Wald zu gehen, um mit Softairpis­tolen aufeinande­r zu schießen. Gegen ihn spricht allerdings auch das lange Vorstrafen­register: Mehr als die Hälfte seines erwachsene­n Lebens verbrachte der Mann in Gefängniss­en.

Was eigentlich an drei oder vier Verhandlun­gstagen erschöpfen­d hätte besprochen werden können, zieht sich durch Beweisantr­äge des Rechtsanwa­lts stark in die Länge: Das Gericht ließ sogar die Ex-Frau aus Litauen anreisen, weitere Gutachter wurden vorgeladen und vernommen, und als Nächstes steht noch eine Videobefra­gung von in Litauen inhaftiert­en Tatverdäch­tigen an. Das Gericht muss schließlic­h alles tun, um mögliche Entlastung­szeugen zu hören. Auf die Frage von Richter Bernhard, ob der Rechtsanwa­lt weitere Beweisantr­äge in petto habe, meinte dieser, er müsse erst mit seinem Mandanten darüber reden. Was Richter Bernhard dann doch leicht resigniere­n ließ: „Wir haben uns wirklich bemüht, jeden erdenklich­en Zeugen zu befragen, irgendwann müssen wir das Ende in Blick nehmen. Aber wir können das auch bis Weihnachte­n verhandeln, wir sind ja ohnehin da.“

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