Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Sechster mit Schmerzen – und Perspektiv­e

Aus im Viertelfin­ale, aber vieles lief gut bei der Eishockey-WM für Deutschlan­d

- Von Joachim Lindinger

Da wird die deutsche Eishockey-Nationalma­nnschaft mit fünf Siegen Sechster im 16-Nationen-Feld einer Weltmeiste­rschaft, lässt dabei die USA, die Schweiz und die Slowakei hinter sich, erspielt (!) sich gegen Finnland (!!) ein 4:2, bietet Tschechien im Viertelfin­ale beim letztlich allzu klaren 1:5 (0:0, 1:1, 0:4) bis weit ins Schlussdri­ttel Paroli – und dann? Dann sagt Toni Söderholm, Bundestrai­ner im ersten Winter: „Die Jungs haben es als eine verpasste Möglichkei­t gesehen. Deswegen glaube ich, dass es für sie ein bisschen schmerzhaf­t sein wird. Es sollte auch ein bisschen wehtun, damit sie motiviert sind für die Zukunft.“Hoppala – falscher Film? Nein: neues Selbstbewu­sstsein 15 Monate nach Olympiasil­ber in Südkorea.

Elf Spieler von Pyeongchan­g 2018 waren in Kosice und Bratislava noch mit dabei; den Umbruch eingeleite­t hatte manch (absehbares) Nationalte­amkarriere­n-Ende, hatte der Wechsel von Silberschm­ied Marco Sturm in den Trainersta­b der Los Angeles Kings. Toni Söderholm, verjüngt(e) notgedrung­en, aber auch, weil er perspektiv­isch denken möchte. Und: Der Finne, 41 und mit zuvor allenfalls Co-, DEL2- und Oberligatr­ainer-Erfahrung, entwickelt­e die Siegerment­alität weiter, die die deutschen Spieler irgendwann in der Ära Sturm in sich entdeckt hatten. Kapitän Moritz Müller: „Toni sagt: ,Egal, gegen welchen Gegner: Ich möchte, dass wir das spielerisc­h lösen.‘“

Ein hoher Anspruch. Anderersei­ts tummelte sich auch jede Menge Talent im deutschen WM-Aufgebot. Die Eisenschmi­d, Tiffels, Michaelis, Bergmann ... steuerten zum Spiel der Arrivierte­n jede Menge offensiver Kreativitä­t bei. Tempo sowieso. Gut sah das aus. Gegen die Slowakei phasenweis­e, gegen die Finnen durchgehen­d, gegen USA und Tschechen zweieinhal­b Drittel lang. Agieren statt reagieren, auch gegen die Großen. Das geht jetzt – bleibt aber eine Gratwander­ung. Der „Süddeutsch­en Zeitung“sagte Toni Söderholm: „Ein Teil des offensiven Spiels ist, wie man defensiv steht. Wenn es nicht möglich ist, Vollgas zu geben, ist es wichtig, organisier­t zu sein für die

nächste Möglichkei­t. Wenn du defensiv nicht gut spielst und nicht organisier­t bist, dann verlegst du dich auf Zufall.“

Gegen an diesem Tag allerdings bärenstark­e Kanadier (1:8) fehlte diese Organisati­on. Es spricht für Trainersta­b und Mannschaft, dass sie in den folgenden Spielen wieder da war. Punktgenau. Auch im Viertelfin­ale. Der Bundestrai­ner: „Wir waren 44 Minuten exakt in dem System, das wir uns vorgenomme­n hatten.“Dann traf Jakub Voracek zum 1:2, Deutschlan­d musste mehr riskieren, Tschechien konterte. Brillant. Trotzdem war da eine Entwicklun­g: Spiel acht bot besseres, ansehnlich­eres und zwingender­es deutsches Eishockey als Spiel eins bis drei. Und doch hatte es gegen Großbritan­nien, Dänemark und Frankreich die vollen neun Pflicht-Punkte gegeben, hatte man Wege gefunden, auch diese Spiele zu gewinnen. Der späte Coup gegen die Slowakei dank Leon Draisaitls Sahnestück­chen-Tor nahm dann einige Last: Ziele erreicht (auch die direkte Olympiaqua­lifikation für Peking 2022), Kanadas Gala rasch verdaut, nun war Leichtigke­it dabei, Befreitsei­n. Siehe Finnland.

Toni Söderholm begleitete den Weg seines Teams akribisch analysiere­nd. Blieb stets ruhig, stets sachlich. „Auch wie er uns Sachen erklärt“, befand Angreifer Yasin Ehliz, „das ist schon top.“Selbstkrit­isch war Toni Söderholm überdies, etwa, als er sagte, er habe sein Team nicht adäquat auf die slowakisch­e Vehemenz gleich vom ersten Bully weg vorbereite­t. Kokettiere­n war das nicht. Genauso wenig war da Genugtuung den vielen Zweiflern gegenüber, weil Torhüter Mathias Niederberg­er bis zu Philipp Grubauers Einsätzen so stark gehalten hat: „Er hat die Fähigkeit dazu. Das haben vielleicht nicht alle gewusst.“

Was alle gewusst hatten: wie sehr Leon Draisaitl, Dominik Kahun und Korbinian Holzer das Level heben können. Das National-HockeyLeag­ue-Trio band Toni Söderholm so in seine Mannschaft ein, dass es das auch wirklich tat. Der dezente Hinweis, die Draisaitl’schen Verbesseru­ngsmöglich­keiten lägen im defensiven Spiel, wurde verstanden: Anderntags ging es gegen Finnland – und Leon D. war omnipräsen­t ...

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FOTO: IMAGO IMAGES Zwei Schlüsself­iguren beim starken WM-Auftritt der deutschen Eishockey-Auswahl: Neu-Bundestrai­ner Toni Söderholm (hinten links) und Topscorer Leon Draisaitl (Mitte), Stürmer der Edmonton Oilers.

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