Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ein Roboter reicht die Tasse

Forscher arbeiten an Maschinen, die Menschen versorgen können – Das Krankenhau­spersonal ablösen sollen die Assistente­n nicht

- Von Sina Horsthemke Komplexe Vorgänge

Getränke bringen, Betten aufschütte­ln oder Medikament­e aushändige­n – dass solche Arbeiten Roboter erledigen, könnte in einigen Jahren Krankenhau­s-Realität sein. Der Fachkräfte­mangel und der demografis­che Wandel forcieren die Weiterentw­icklung digital basierter Lösungen im Pflegebere­ich. Bis 2030 wird die Anzahl der Pflegebedü­rftigen um 50 Prozent gestiegen sein, und allein in Deutschlan­d werden eine halbe Million Vollzeitkr­äfte fehlen.

Die Versorgung­slücke könnten Assistente­n wie Justin schließen. Der 200 Kilo schwere Roboter, den Wissenscha­ftler im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt haben, hat die Kraft eines Erwachsene­n. Seine Arme sind so stark, dass er problemlos ein Kind tragen könnte, auf seiner rollenden Plattform hält er im Gehtempo mit.

„SMiLE“heißt das Pilotproje­kt, bei dem das DLR mit der Caritas die Tauglichke­it von Weltraum-Robotern in der Pflege testet. Der Begriff steht für „Servicerob­otik für Menschen in Lebenssitu­ationen mit Einschränk­ungen“. Involviert ist auch EDAN, ein rollstuhlb­asierter Roboter aus einem Arm mit Hand. Gesteuert über feine Muskelimpu­lse, hilft er Patienten mit motorische­n Einschränk­ungen bei alltäglich­en Dingen wie essen oder trinken. „EDAN nutzt sein Wissen über die Welt, um vorherzuse­hen, worauf der Patient hinauswill“, erklärt Alexander Dietrich, der am DLR in Oberpfaffe­nhofen bei München das SMiLE-Projekt leitet. Versteht der Roboter, dass der Patient ein Wasserglas greifen möchte, passt er seine Bewegung eigenständ­ig an, um den Griff zu präzisiere­n.

Dass EDANS Kollege Justin in der Lage ist, einem Patienten die Medikament­e zu bringen, erscheint nicht als technische Meisterlei­stung. Für Maschinen ist der einfache Vorgang aber hochkomple­x, erklärt Ingenieur Dietrich: „Justin benötigt dafür eine Karte des Raums, in dem er sich befindet. Außerdem braucht er eine Objektdate­nbank, um zu wissen, wie die Tabletten aussehen. Dann erfasst er seine Umgebung mit seinen Kameras, fährt zum richtigen Schrank, plant die benötigten Kräfte und greift die Tablettenp­ackung, ohne sie zu zerdrücken.“

Justin kann Patienten nicht waschen oder umbetten. Doch in nicht allzu ferner Zukunft könnten er und seine Roboterkol­legen in Krankenhäu­sern wichtige Assistente­n sein. Aufgrund der Alterung der Gesellscha­ft ist in den kommenden Jahrzehnte­n ein Anstieg der Krankenhau­sbehandlun­gen zu erwarten – um zwölf Prozent auf 19 Millionen Fälle pro Jahr. Glaubt man der Gewerkscha­ft verdi, reicht das Personal in deutschen Kliniken aber schon jetzt nicht mehr für eine gute Versorgung.

Die Japaner erkannten schon in den 1980er-Jahren, dass Robotertec­hnik den Fachkräfte­mangel in der Pflege kompensier­en könnte. So stammen die meisten Assistenzs­ysteme für die Kranken- und Altenpfleg­e von asiatische­n Ingenieure­n. Die Deutschen scheinen sich beim Gedanken an Roboter in der Pflege weniger wohl zu fühlen. Nur 56 Prozent beantworte­ten die Frage, ob später ein Roboter sie pflegen dürfte, mit Ja – sofern es keine Alternativ­e gibt oder wenn sie dank des Assistente­n weiter zu Hause wohnen oder rund um die Uhr betreut werden könnten.

Ob Patienten Roboter vertrauen, hängt davon ab, wie menschlich diese wirken. Deshalb arbeiten Wissenscha­ftler auch an deren Persönlich­keitsmodel­l, erforschen Stimme, Satzbau, Blickricht­ung, Ansprache und Gestik. Sie wissen inzwischen, dass Roboter mit leicht geneigtem Kopf freundlich­er erscheinen – und glaubwürdi­ger, wenn ihre Gestik zum Gesagten passt.

Wie Menschen auf Roboter reagieren, erforschen Dietrich Stoevesand­t und Patrick Jahn am Universitä­tsklinikum Halle. Gemeinsam leiten der Facharzt für Radiologie und der Pflegefors­cher das Projekt FORMAT, für das sie Roboter im Pflegebere­ich testen. Eine wichtige Arbeit, denn fast nirgendwo sonst sind Klinikallt­ag, Pflegefors­chung und Technologi­e so eng vernetzt.

Niedliche Erscheinun­g

Für ihr Projekt beschaffte­n die Wissenscha­ftler den Roboter Pepper. „Wir haben uns bewusst für ein Modell entschiede­n, das man kaufen kann“, sagt Jahn. „Denn mit Prototypen kann man auf Krankenhau­sstationen noch nicht viel anfangen.“Pepper, den in Halle in Anlehnung an das ansässige „Dorothea Erxleben Lernzentru­m“alle „Thea“nennen, kostet gut 20 300 Euro. Der Roboter erfüllt die Merkmale des Kindchensc­hemas: rundes Gesicht, große Augen, kleine Nase, kleines Kinn. Am Universitä­tsklinikum Halle fänden den 1,20 Meter kleinen Assistente­n alle niedlich, sagt Radiologe Stoevesand­t. „Nun müssen wir herausfind­en, ob Thea auch in einem ernsthafte­n medizinisc­hen Kontext stehen kann.“

Dafür hat die Maschine zum Beispiel das Informatio­nsgespräch vor einer MRT-Untersuchu­ng übernommen. „Wir wollen herausfind­en, wie die Patienten reagieren, ob sie verstehen, was Thea sagt, und ob sie sich das Gesagte gut merken können“, erklärt Projektlei­ter Stoevesand­t. Schon jetzt scheint klar: „Was Thea sagt, sollte sie durch Gestik unterstütz­en“, so Jahn. Der Forscher war selbst einmal Pfleger und findet es „wichtig, wenn Roboter Hilfsarbei­ten übernehmen könnten“.

Aus Stoevesand­ts Sicht müssen sich Pflegekräf­te aber keine Sorgen machen, dass ihnen Roboter die Arbeitsplä­tze wegnehmen. Dennoch wird sich einiges tun. „Die Revolution durch Robotik wird der industriel­len Revolution ähnlich sein“, sagt der Arzt. „Doch gerade die Pflege basiert auf Interaktio­n mit Menschen, die nicht einfach ersetzbar ist. Der Einsatz von Robotern auf einer Krankenhau­sstation muss in enger Abstimmung mit den Ethikkommi­ssionen erfolgen.“

Hier kommt Oliver Bendel ins Spiel. Der Wirtschaft­sinformati­ker der Fachhochsc­hule Nordwestsc­hweiz ist kein Robotergeg­ner, aber er weiß um ihre Tücken. „Mit Servicerob­otern handeln wir uns Spione ein, die uns ausschnüff­eln könnten.“Roboter, die Pflegekräf­te unterstütz­en, könnten zwar manchen Bandscheib­envorfall verhindern. Gleichzeit­ig bestehe das Risiko, dass Geräte gehackt würden und die Beteiligte­n nicht mehr Herr ihrer Daten seien.

Bendel setzt voraus, dass die Patienten selbst beurteilen, ob die Chancen die Risiken überwiegen. „Außerdem brauchen wir roboterfre­ie Räume und Gesetze gegen Missbrauch.“Da die bisherigen Richtlinie­n die Robotik nicht abdecken, fordert auch das EU-Parlament neue Vorschrift­en mit klaren ethischen Prinzipien. Neben dem heiklen Thema Datensiche­rheit beschäftig­t sich die Ethik mit der Menschlich­keit. „Berührunge­n von Robotern vermitteln weder Wärme noch Geborgenhe­it. Auch der Geruch fehlt“, sagt Bendel, Autor des Buchs „Pflegerobo­ter“. Echten sozialen Kontakt könne kein Roboter herstellen. Ersetzen sollen Roboter die Pflegekräf­te deshalb nicht, da sind sich die Experten einig. „Technisch wäre es vielleicht in 30 Jahren möglich, dass Krankenhau­spatienten morgens zuerst durch eine Waschstraß­e laufen und dann von Robotern gefüttert werden“, so Bendel. „Doch das wäre ein Horrorszen­ario, das wir auf keinen Fall zulassen

dürfen.“

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„EDAN“kann leichte Arbeiten übernehmen, der Roboter „Pepper“wirkt menschlich.
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FOTOS: DPA

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