Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Schluss mit der Nabelschau
Mit Urwahlen durch Parteimitglieder haben die Briten schlechte Erfahrungen gemacht. Bei den Torys kam auf diesem Weg zu Beginn des Jahrhunderts ein Rechtsaußen ans Ruder. Er erwies sich als so unfähig, dass er nach zweijähriger Amtszeit von der Unterhausfraktion gestürzt wurde. Bei Labour gewann 2010 Edward Miliband gegen die Mehrheit von Fraktion und Parteimitgliedern, weil damals assoziierte Gewerkschaftler mitstimmen durften. Es folgte eine vernichtende Wahlniederlage. Daraufhin kürte das Parteivolk den Linksaußen Jeremy Corbyn, wiederum zum Entsetzen der Fraktion. Dessen Dogmatismus sowie fehlende Team- und Führungsfähigkeit trugen zum Brexit bei und diskreditierten die Arbeiterpartei bei gemässigten Wechselwählern.
Bei all diesen Urwahlen ging es um den Oppositionsführer. Nun aber schickt sich die Regierungspartei an, den künftigen Premierminister Ihrer Majestät zu krönen. Die Konservativen verfügen im Unterhaus über keine Mehrheit, zudem streiten Vertreter der diversen Flügel seit Monaten wie die Kesselflicker. Und dem gespaltenen Land bleiben wenig mehr als vier Monate bis zum endgültigen Brexit-Termin Ende Oktober. Einigkeit hat also einen noch höheren Stellenwert als ohnehin schon.
Von Boris Johnson mag man halten, was man will. Aber der BrexitVorkämpfer hat am Donnerstag gegen drei andere Kandidaten die Mehrheit der Unterhausfraktion hinter sich gebracht, sein Konkurrent Jeremy Hunt geht mit der Unterstützung von 24 Prozent ins Rennen. Die Urwahl ist überflüssig. Sie lässt das Land weitere vier Wochen führungslos dastehen. Wochen, die doch zur Lösung des Brexit-Dilemmas dringend gebraucht würden. Das Schaulaufen wäre sogar katastrophal, wenn am Ende der amtierende Außenminister gewinnt. Denn Premierminister müssen sich im Unterhaus bewähren. Dort genießt Hunt nicht einmal das Vertrauen der eigenen Fraktion, geschweige denn der Mehrheit des Hohen Hauses. Die Tories sollten sich selbst und dem Land die alberne Nabelschau ersparen und sofort Johnson aufs Schild heben.