Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Grünes Urgestein
Elmar Braun ist seit 1991 erster Bürgermeister der Partei in Deutschland – „Wir können uns nicht mehr wegducken“
MASELHEIM - Diese historische Fußnote nimmt ihm niemand mehr: Erster in Deutschland gewählter grüner Bürgermeister, und das in Maselheim, in dem zumindest im Jahr 1991 noch tiefschwarzen Landkreis Biberach. 28 Jahre später, in Halbzeit zwei seiner vierten Amtsperiode, wundert sich der 63-Jährige immer noch darüber, was damals passiert ist: „Ich wurde nicht gewählt, weil ich Grüner bin. Ich bin eher trotzdem gewählt worden.“
Was ist grüne Politik? Was darf grüne Politik? Wie weit darf die Aussicht auf Macht und auf Ämter politisches Verhalten beeinflussen? Die Fragen haben an Aktualität gewonnen. Infratest notierte die Grünen bundesweit schon als neue Nummer 1. „Wir können uns schon lange nicht mehr wegducken“, hält Braun dazu fest. In Baden-Württemberg sowieso nicht. „Wir stellen den Ministerpräsidenten, wir haben bei den Kommunalwahlen in vielen Städten und Gemeinden deutliche Zuwächse erhalten. Damit sind große Erwartungen an uns verbunden, die wir nicht enttäuschen dürfen.“Letztlich geht es um nicht mehr oder weniger als um das Grundvertrauen der Bürgerschaft in die Politik, einer Bürgerschaft, die sich von den alten Volksparteien abzuwenden scheint.
Zwischen Theorie und Praxis
Der Mann zählt zur Gründergeneration der Partei, saß bis zum Amtsantritt in Maselheim vier Jahre im Landesvorstand der Grünen in BadenWürttemberg. Ein Satz, den in abgewandelter Form auch sein enger Freund Winfried Kretschmann als erster grüner Ministerpräsident regelmäßig herausstreicht, beschreibt griffig den Spagat zwischen Theorie und Praxis. Aus dem Mund des ersten grünen Schultes der Republik hört sich das so an: „Als Bürgermeister muss ich Sachen tun, die man als Grüner nicht tun kann.“Weil sich programmatische Ansätze und feste Überzeugungen nicht eins zu eins umsetzen lassen in aktives politisches Gestalten. Mehrheiten müssen organisiert werden – im kleinen Maselheim mit seinen knapp 4600 Einwohnern, auf Landesebene oder im Bund.
Elmar Braun zumindest weiß, wie Kompromiss geht. Erst das Amt, dann die Partei. „Der Bürgermeister hat für alle da zu sein.“So hat er im ersten, auf grauem Recyclingpapier gedruckten Wahlprospekt 1991 für sich geworben. Die Wählerschaft hat ihm geglaubt. 53 Prozent Zustimmung 1991 – 70 Prozent 1998 – 82,4 Prozent 2007 – 85,1 Prozent zuletzt bei der Wiederwahl 2015.
Dabei lief auch bei ihm nicht alles rund, weil Braun im Tagesgeschäft nicht nur grüne Ideen umsetzt. So setzte er sich im eigenen Lager in die Nesseln, als er sich für einen geplanten Motopark in Äpfingen stark machte. Nicht Widerstand aus der Bürgerschaft stoppte die Pläne, der Projektentwickler zog sich zurück. Das war 2006. Lange aber hielt Braun für andere Interessenten die Tür offen. Aktuell kommt im eigenen Lager nicht so gut an, dass Braun für das interkommunale Industriegebiet im Rißtal (IGI) wirbt, das die Kommunen Biberach, Warthausen und Maselheim gemeinsam errichten wollen.
„Immer auch äußere Einflüsse“Nachhaltig gelitten hat Brauns Ansehen darunter nicht. Braun hat sich etabliert und im Laufe der Jahrzehnte vor Ort Respekt verschafft, „weil ich mittendrin bei den Leuten bin, weil ich sie kenne und weil die mich kennen“. Der Biologielaborant bei Thomae, vor seiner ersten Kandidatur freigestellter Betriebsrat und Nebenerwerbsbauer in Sulmingen, machte ja nie einen Hehl daraus, wie er denkt. Grün. Schon 1984 war das so, als er in den Biberacher Kreisrat gewählt wurde. Der grüne Rathauschef zieht zwischen seinem politischen Aufstieg und dem aktuellen Allzeithoch der Grünen auf Bundesebene Parallelen. „Da waren immer auch äußere Einflüsse mit im Spiel. Natürlich ist uns jetzt der Zeitgeist entgegengekommen. Mit unserem Programm sind wir vorne dabei“, sagt Braun über die Gegenwart. Dass Baden-Württemberg 2011 in Winfried Kretschmann einen grünen Ministerpräsidenten erhielt, sieht er in engem Zusammenhang mit der Reaktorkatastrophe von Fukushima. Der Zick-Zack-Kurs der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung, unter dem Druck der Ereignisse in Fernost doch das Aus für die Kernenergie zu beschließen, „das war überstürzt und nicht glaubwürdig“, sagt Braun. „Die richtige Entscheidung muss immer zum richtigen Zeitpunkt kommen.“
Ein Narr denkt nach
Ihn habe 1991 der zweite Golf-Krieg, ausgelöst durch die Besetzung Kuwaits durch den Irak, erst dazu gebracht, sich um den Bürgermeisterposten in Maselheim zu bewerben. Weil die Fasnet ausfiel. Der Narr Elmar Braun hatte unerwartet viel Zeit zum Nachdenken, wurde mehrfach zur Kandidatur ermuntert, bis er sich einen Ruck gab. Am 13. Februar 1991, an Aschermittwoch, reichte er um 17.30 Uhr sein Bewerbungsschreiben im Rathaus ein – 30 Minuten vor Ende der Frist. Es folgte der Valentinstag. Auf den Rat eines Bekannten hin startete er mit Blumen, die er verteilte, umgehend in den Wahlkampf. „Geschadet hat’s wohl nicht.“
Vor 40 Jahren stieg Elmar Braun als Ortschaftsrat in Sulmingen in die Kommunalpolitik ein, der er treu geblieben ist. Zug um Zug haben sich die Grünen von der Partei der Außenseiter, der Müsli-Esser und der Sockenhäkelromantik hin zu einer etablierten Größe entwickelt. „Wir sind eine Volkspartei geworden“, sagt Braun, ein Satz, den er vor zwei Jahrzehnten noch nicht formuliert hätte. Elmar Braun hat nun mal auch die ganz wilden Zeiten der Grünen erlebt, die Grabenkämpfe, den erbitterten Streit zwischen Realos wie ihm oder Winfried Kretschmann und den Fundis. Im Südwesten der Republik, meint Braun, habe das frühe Engagement auch auf kommunaler Ebene geholfen, einen Weg aus der Daueropposition heraus und hinein in die Verantwortung zu finden. Davon restlos überzeugt, dass mittlerweile die Grünen in ihrer Gesamtheit so weit sind, ist er nicht. Es fallen dann Begriffe wie „lösungsorientiert vorgehen“oder „das Machbare umsetzen“. Der Pragmatiker Elmar Braun kommt zu Wort. „Wir können doch nicht mehr so tun, als ob unsere Wähler ausschließlich im Bioladen einkaufen und nicht in den Urlaub fliegen.“So wie auch die Grünen als Partei in die Jahre gekommen sind, so ist auch die Stammklientel gereift. „Aber wir haben den Blick auf unsere Grundüberzeugungen nicht verloren.“Daran macht er die aktuelle Stärke der Partei fest, der es so gelingt, auch die jüngeren Semester wieder für sich zu begeistern.
„Die Leute mitnehmen“
Können die Grünen vielleicht sogar einmal Kanzlerin oder Kanzler? Wo beginnt die Schmerzgrenze? Braun wird nachdenklich: „Wenn ich auf die ökologische Realität schaue, dann sind viele drastische Maßnahmen notwendig.“Er meint damit noch drastischere Regelungen für den Klimaschutz oder gegen den Artenschwund. Politische Mehrheiten dafür, ohne Abstriche an den eigenen Überzeugungen machen zu müssen, sieht Braun jedoch noch nicht. Äußert sich da jetzt ein Bremser, wenn Braun meint, „wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass wir in Deutschland allein nicht das Weltklima retten können“? Wenn er auf Werte wie Freiheit und Selbstverantwortung verweist und sich als Mensch outet, der nicht in jeden Lebensbereich kraft Amtes hineinregieren will? „Wichtiger ist, dass wir die Leute mitnehmen. Dass wir sie nicht abschrecken, dass wir sie davon überzeugen, dass unser Mobilitätsdrang nicht so ungehemmt fortgesetzt werden kann.“Um nur ein Beispiel zu nennen. Er habe als Bürgermeister die Erfahrung gemacht, dass die große Kunst darin bestehe, den Ausgleich zu suchen, Gemeinsamkeiten zu entdecken und zu fördern, um einen Anfang zu machen auf dem Weg hin zu einer Abkehr von Vertrautem. So soll der Bauhof auf den Einsatz von Spritzmitteln weitgehend verzichten. „Ich kann das anordnen. Besser ist, wenn es gelingt, Verständnis für so einen Schritt zu wecken“, rät Braun.
„Unverheiratet, 1 Sohn, katholisch“– so stellte sich der Kandidat in seinem ersten Wahlprospekt vor. „Katholisch, verheiratet, 3 Kinder“, hieß es acht Jahre später. Nach weiteren acht Jahren war dann „katholisch, 3 Kinder, geschieden“zu lesen. Im vierten Prospekt musste er diese Passage nicht mehr ändern. Mit grüner Programmatik steht das alles nicht in direktem Zusammenhang. Nach der letzten Wahl sagte Paul Grimm, langjähriger Gemeinderat der Liste von CDU und Freien Wählern: „Mit diesem Ergebnis im Rücken kannst du in den nächsten Jahren noch mal richtig Gas geben.“Braun ist nun mal bekennender Motorradfan! Man kennt sich, man duzt sich, man schätzt sich im Ort über Parteigrenzen hinweg.
Der 63-Jährige stellt sich mit allen vier Wahlprospekten vor ein von ihm aus Holz gefertigtes Kunstwerk, das an der Wand eines Besprechungszimmers angebracht ist. Zum Ausklang des Gesprächs, so viel Koketterie muss sein, ruft er noch aus dem Internet das vorläufige amtliche Endergebnis der Europawahl für die Grünen im Landkreis Biberach auf. Platz eins? Maselheim mit 29,2 Prozent. In Elmar Brauns Revier sind die Grünen definitiv Volkspartei geworden. „Daran werden wir jetzt gemessen“, sagt Braun zum Abschied.