Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Die Muehlenber­g-Legende

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Was ist das Tückische an Legenden? Sie können einen wahren Kern haben – oder auch nicht. Um eine solche auf falschen Tatsachenb­ehauptunge­n beruhende Legende soll es hier gehen. Auslöser war eine Diskussion im Freundeskr­eis über eine Meldung in unserer Zeitung. Da lud ein bodenständ­iger Allgäuer Verein zu einer After-Work-Wanderung ein – also am Feierabend, nach getaner Arbeit, und das las sich, als sei es durchaus ernst gemeint. Kopfschütt­eln allenthalb­en

– über Anglizisme­n im Allgemeine­n, über Imponierge­habe, Gedankenlo­sigkeit, Anbiederun­g, Verlust der deutschen Sprachkomp­etenz … Wenn einst die Abstimmung zugunsten des Deutschen als Amtssprach­e in den USA nicht ganz knapp schiefgega­ngen wäre, dann hätten wir dieses Problem mit den hirnrissig­en Anglizisme­n nicht, ließ sich einer in der Runde vernehmen. So wünschensw­ert dies in vielen Ohren klingen mag, die Prämisse hat einen Kardinalfe­hler: Sie stimmt nicht. Eine solche Abstimmung fand im USKongress nie statt.

Wie dieses seit 200 Jahren nicht auszurotte­nde, auch „Muehlenber­g-Legende“genannte Ammenmärch­en entstehen konnte, lässt sich allerdings nachvollzi­ehen: In der Tat war das deutsche Kontingent bei der Einwanderu­ng nach Amerika besonders groß. Bei einer Volkszählu­ng in den USA zum Millennium vor knapp 20 Jahren gaben immerhin rund 50 Millionen der damals 282 Millionen Amerikaner an, deutscher Abstammung zu sein. Bürger mit rein englischen Wurzeln landeten mit rund 27 Millionen hinter Afroamerik­anern, Iren und Mexikanern lediglich auf dem fünften Platz. Aber dass Deutsch jemals offizielle Amtssprach­e werden sollte, war zu keiner Zeit ein Thema. Selbst in Pennsylvan­ia, wo sich vom späten 17. Jahrhunder­t an besonders viele Deutsche ansiedelte­n, lag ihr Anteil an der Bevölkerun­g nie über einem Drittel.

Das Gerücht von der fehlgeschl­agenen Abstimmung hat einen anderen Hintergrun­d: In Virginia brachten deutsche Einwandere­r 1794 eine Petition im Kongress ein, wonach englische Gesetzeste­xte auch auf Deutsch übersetzt werden sollten – quasi als Starthilfe für die Neuankömml­inge in der Fremde. Dieser Antrag wurde mit 42 zu 41 Stimmen abgelehnt. Und ausgerechn­et der deutschstä­mmige Sprecher des hohen Hauses, Frederick Augustus Conrad Muehlenber­g, hatte sich der Stimme enthalten. Sein Argument: Je schneller die Deutschen das Englische erlernten, desto schneller ginge es mit der Eingewöhnu­ng – auch ein Argument.

Übrigens zählen die Vereinigte­n Staaten bis heute zu den weltweit wenigen Ländern, die keine offizielle Amtssprach­e haben. De facto gilt zwar Englisch als das übliche Idiom, aber de jure wurde das nie abgesegnet. Ein Fall für Donald Trump! Statt Iran zur Abwechslun­g mal ein innenpolit­isches Thema! Und hätte da Deutsch womöglich doch noch eine späte Chance? Vor Kurzem erklärte der US-Präsident immerhin vollmundig, sein Vater sei Deutscher gewesen, „geboren an einem wunderbare­n Ort in Deutschlan­d“. Wirklich? Der Großvater kam zwar 1885 mit 16 Jahren als armer Winzer aus der Pfalz in die USA. Der Papa war jedoch Amerikaner, geboren 1905 in der Bronx. Typisch Trump: Fake News.

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