Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Johnson steht sich selbst im Weg
Stellt sich der Favorit selbst ein Bein? Nach einem Wochenende voller unerfreulicher Schlagzeilen scheint Boris Johnsons reibungsloser Aufstieg zum nächsten britischen Premierminister und Nachfolger von Theresa May keineswegs gewährleistet. Ein lautstarker nächtlicher Streit des Spitzenpolitikers mit seiner 24 Jahre jüngeren Freundin hat Zweiflern des 55-Jährigen neue Nahrung gegeben. Zudem häuft sich die Kritik an Johnsons mangelnder Sattelfestigkeit in Detailfragen, nicht zuletzt bei der Lösung des Brexit-Dilemmas. „Boris muss zeigen, dass er schwierige Fragen beantworten kann“, sagt sein Konkurrent, der Außenminister Jeremy Hunt.
Am frühen Freitagmorgen alarmierte ein Nachbar von Carrie Symonds
im Süd-Londoner Stadtteil Camberwell die Polizei: Aus der Nebenwohnung, die die 31-Jährige seit einem halben Jahr mit Johnson teilt, sei ein lautstarker Streit mit schrillem Geschrei, gefolgt von plötzlicher Stille, zu hören gewesen; auf mehrfaches Klopfen an der Wohnungstür habe das Paar nicht reagiert. Eine Streife sah nach dem Rechten und überzeugte sich davon, dass zwischen Johnson und Symonds Frieden eingekehrt war.
So weit, so unspektakulär – hätte der Nachbar nicht die Auseinandersetzung auf seinem Handy mitgeschnitten und dem „Guardian“zugespielt. Ausgerechnet am Tag darauf musste Johnson im Kongresssaal von Birmingham bei der ersten von 16 geplanten Regionalversammlungen seiner konservativen Partei auftreten. Schlechtgelaunt blockte Johnson jede Auskunft zu dem nächtlichen Zwischenfall ab und reagierte genervt auf Fragen aus dem Publikum.
Vorsprung schrumpft
Einer Blitzumfrage der Firma Survation zufolge haben die privaten Schwierigkeiten des Politikers, der in Scheidung von der Mutter seiner vier ehelichen Kinder lebt und zudem Vater von mindestens einem außerehelichen Kind ist, seinen Vorsprung vor Hunt von 27 auf elf Prozent schrumpfen lassen. Außenminister Hunt kritisierte Johnson für dessen Weigerung, in dieser Woche an TV-Debatten teilzunehmen. Viel schwerer wiegt, dass die Äußerungen des Favoriten zum Brexit teils unklar, teils unwahr sind. Johnson will nach der Amtsübernahme mit den EUPartnern über eine Neuformulierung des Austrittsvertrages verhandeln, was diese strikt ablehnen.
Notfalls solle das Land am 31. Oktober ohne Austrittsvereinbarung („No Deal“) ausscheiden. Das sei gar nicht so schlimm, behauptete Johnson in Birmingham: Über den Freihandelsvertrag mit dem Kontinent sowie die irische Grenze könne man „in der Übergangsfrist“sprechen. Dieser höchstens bis Ende 2022 dauernde Zeitraum ist im Austrittsvertrag enthalten, worauf Vize-Premier David Lidington hinwies: „No Deal bedeutet keinen Austrittsvertrag und also auch keine Übergangsfrist.“