Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Was bis 2119 passieren muss
Nationalistische Regierungen von Italien bis USA, der IranKonflikt an der Schwelle zum Krieg und eine Erderhitzung, die inzwischen jeder Mitteleuropäer auf der eigenen Haut spürt: Für politischen Pessimismus gibt es dieser Tage reichlich Anlass. Dagegen hilft ein Blick zurück, um genau 100 Jahre. Am 28. Juni 1919 unterzeichneten Vertreter der deutschen Reichsregierung den Friedensvertrag von Versailles. Er besiegelte das Ende des Ersten Weltkriegs. Wer auf diesen Tag zurückblickt, erkennt zweierlei: Erstens, wie viel sich später zum Besseren gewendet hat. Und zweitens, was sich in den nächsten 100 Jahren noch bessern muss.
Was seit 1919 geschehen ist: Der Vertrag von Versailles war noch geprägt vom rachelüsternen, überlegenheitsbesoffenen Nationalismus, der in den Ersten Weltkrieg gemündet war. Wenig später rissen Deutsche den tiefsten Abgrund der Barbarei auf: den Zweiten Weltkrieg, die Schoah. Nach 1945 aber hat der Wunsch nach Friede, Interessenausgleich und Wirtschaftswachstum die Staaten Europas zusammengeführt, von der Kohle- und Stahlgemeinschaft bis hin zur EU. Der Umgang der Länder Europas miteinander ist heute drastisch friedlicher und versöhnlicher als vor hundert Jahren.
Was bis 2119 passieren muss: Die Europäer müssen diese Politik des Friedens und des Austauschs auf Augenhöhe von der europäischen auf die globale Ebene heben. Trotz Befriedung nach innen ist europäische Politik nach außen hin noch allzu oft auf kurzfristige Interessen ausgelegt. Das zeigt sich in einer Außenhandelspolitik, die dazu beiträgt, Agrarmärkte in Westafrika zu zerstören oder in der Zusammenarbeit mit brutalen Diktatoren, die Flüchtlinge vom Weg nach Europa abhalten soll. Eine solche Politik ist egoistisch, inhuman und kurzsichtig. Sie schafft neue Probleme, statt alte zu lösen.
Auf dem Weg zwischen Versailles und der Europäischen Union lag der brutalste Blutrausch der Geschichte. Gerade Deutschland trägt Verantwortung dafür, dass die Reise in eine noch friedlichere Zukunft kein barbarischer Rückschritt unterbricht.