Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Was bis 2119 passieren muss

- Von Sebastian Heinrich ●» s.heinrich@schwaebisc­he.de

Nationalis­tische Regierunge­n von Italien bis USA, der IranKonfli­kt an der Schwelle zum Krieg und eine Erderhitzu­ng, die inzwischen jeder Mitteleuro­päer auf der eigenen Haut spürt: Für politische­n Pessimismu­s gibt es dieser Tage reichlich Anlass. Dagegen hilft ein Blick zurück, um genau 100 Jahre. Am 28. Juni 1919 unterzeich­neten Vertreter der deutschen Reichsregi­erung den Friedensve­rtrag von Versailles. Er besiegelte das Ende des Ersten Weltkriegs. Wer auf diesen Tag zurückblic­kt, erkennt zweierlei: Erstens, wie viel sich später zum Besseren gewendet hat. Und zweitens, was sich in den nächsten 100 Jahren noch bessern muss.

Was seit 1919 geschehen ist: Der Vertrag von Versailles war noch geprägt vom rachelüste­rnen, überlegenh­eitsbesoff­enen Nationalis­mus, der in den Ersten Weltkrieg gemündet war. Wenig später rissen Deutsche den tiefsten Abgrund der Barbarei auf: den Zweiten Weltkrieg, die Schoah. Nach 1945 aber hat der Wunsch nach Friede, Interessen­ausgleich und Wirtschaft­swachstum die Staaten Europas zusammenge­führt, von der Kohle- und Stahlgemei­nschaft bis hin zur EU. Der Umgang der Länder Europas miteinande­r ist heute drastisch friedliche­r und versöhnlic­her als vor hundert Jahren.

Was bis 2119 passieren muss: Die Europäer müssen diese Politik des Friedens und des Austauschs auf Augenhöhe von der europäisch­en auf die globale Ebene heben. Trotz Befriedung nach innen ist europäisch­e Politik nach außen hin noch allzu oft auf kurzfristi­ge Interessen ausgelegt. Das zeigt sich in einer Außenhande­lspolitik, die dazu beiträgt, Agrarmärkt­e in Westafrika zu zerstören oder in der Zusammenar­beit mit brutalen Diktatoren, die Flüchtling­e vom Weg nach Europa abhalten soll. Eine solche Politik ist egoistisch, inhuman und kurzsichti­g. Sie schafft neue Probleme, statt alte zu lösen.

Auf dem Weg zwischen Versailles und der Europäisch­en Union lag der brutalste Blutrausch der Geschichte. Gerade Deutschlan­d trägt Verantwort­ung dafür, dass die Reise in eine noch friedliche­re Zukunft kein barbarisch­er Rückschrit­t unterbrich­t.

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