Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Die Parallele zur APO ist auffällig“
Jugendforscher Klaus Hurrelmann über die Erfolge der „Fridays for Future“-Bewegung
RAVENSBURG - Seit Monaten gehen junge Menschen für mehr Klimaschutz auf die Straße – und sind damit sehr erfolgreich. YouTuber stellen politische Videos ins Netz – und schrecken damit die Parteien auf. Klaus Hurrelmann, Jugendforscher der Berliner Hertie School of Governance, erklärt im Gespräch mit Daniel Hadrys, warum der Protest nachhaltige Folgen für Politik und Gesellschaft haben wird.
Herr Hurrelmann, seit Monaten schwänzen Jugendliche freitags die Schule, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. Vor der Verabschiedung der EU-Urheberrechtsreform haben Zehntausende junge Menschen protestiert. Woher kommen dieses neue politische Bewusstsein und das Engagement? Jugendstudien wie die Shell-Studie zeigen, dass die jüngeren Altersgruppen sich seit etwa zehn Jahren immer mehr für Politik interessieren. Themen wie die Wirtschafts- und Berufskrise sind zurückgefallen, ebenso internationale Spannungen, Terror und Gefahren durch Kriege. Das Umweltthema konnte so an Boden gewinnen. Die verbesserte wirtschaftliche Lage und damit die bessere Perspektive für Ausbildung und Beruf haben die jungen Leute beruhigt. Die vor 2000 Geborenen mussten diesbezüglich noch richtig zittern. Wenn man frei ist von solch einer existenziellen wirtschaftlichen Not, hat man offenbar den Kopf frei, sich um gesellschaftliche Probleme zu kümmern.
Klimaschutz ist mittlerweile auch zu dem bestimmenden Thema in der Politik geworden. Welchen Einfluss hatte „Fridays for Future“daran?
Die Bewegung war der richtige, entscheidende Impuls dafür. Schon seit Langem hat keine politische Bewegung über einen Zeitraum von mittlerweile sechs Monaten durchgehalten und kontinuierlich demonstriert. Überhaupt sind lange schon nicht mehr so viele Menschen für politische Themen auf die Straße gegangen – von solch jungen Menschen ganz zu schweigen. Sie haben mit ihrer kalkulierten Verletzung des Schulrechtes eine sehr geschickte Strategie gewählt, um auf sich aufmerksam zu machen. Sie haben die politische Landschaft, nicht nur in Deutschland, innerhalb weniger Wochen verändert.
Wie wirkt sich das auf die Parteien aus?
Das Thema Migration und Flüchtlinge, von dem insbesondere die AfD vor Monaten noch profitieren konnte, ist immer weiter abgesunken. Umweltprobleme und Klimaschutz haben an Bedeutung gewonnen – damit auch eine Partei wie die Grünen, die das zum Kernbestandteil ihres Programms machen. Sie haben so stark zugelegt, weil das Thema von den jungen Leuten in ihrer Bewegung in den Vordergrund gestellt wurde.
Hätte der Protest auch so eine Wucht gehabt, hätten die Schüler sonntags demonstriert? Vermutlich nein. Der zivile Ungehorsam hat eine große Aufmerksamkeitswirkung. Jedes Elternteil muss sich damit auseinandersetzen, weil es weiß, dass das Kind die Schule schwänzt. Die Lehrer und Schulbehörden müssen sich damit beschäftigen. Zunächst geriet das Schuleschwänzen in den Vordergrund, und danach die Themen der Jugendlichen. Es ist den Demonstranten auch gelungen, sich nicht vereinnahmen zu lassen von radikalen Gruppen oder aggressiven Teilnehmern. Die bisherigen Demonstrationen sind sachlich und ohne Gewalt abgelaufen. Das ist bei bis zu 20 000 jungen, selbst organisierten Teilnehmern ungewöhnlich und bemerkenswert.
Die Politik nimmt also scheinbar die Anliegen der Jugendlichen ernst. Welches Signal geht davon für die Zukunft aus?
Die jungen Leute fordern ja nicht mehr, als dass die Bundesregierung Gesetze auf den Weg bringt, um das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen. Diese Forderung hat überhaupt nichts Revolutionäres. Sie verlangt im Grunde die Einlösung eines internationalen Vertrages. Das macht die Wucht der Argumentation noch stärker.
Welche Themen könnten die Jugendlichen in Zukunft auf die Straße treiben?
Es wird erst einmal beim Klimaschutz bleiben. Wetterextreme und weitere Anlässe werden in den nächsten Jahren an das Thema erinnern. Die jungen Menschen machen aber auch auf einen Generationenkonflikt aufmerksam. Sie klagen insbesondere die Bundesregierung und die großen Parteien an, dass sie die Interessen der älteren Generationen vertreten, aber nicht die Belange der jüngeren. Denn eine fahrlässige Umsetzung des Abkommens wird den Jungen viel mehr schaden als den Älteren. Auf dieser Schiene könnten auch Themen wie digitale Souveränität und Alterssicherung hinzukommen. Da hört man schon jetzt Stimmen aus der jungen Generation. Sie werfen der Großen Koalition vor, die seit vielen Jahren regiert: Ihr macht Gesetze zugunsten der älteren Menschen und vernachlässigt uns Jüngere. Damit verbunden ist auch die Schuldenthematik, die ebenfalls einen starken Generationsakzent hat.
Einige vergleichen die aktuellen Jugendbewegungen mit der außerparlamentarischen Opposition der 68er. Können die heute engagierten Jugendlichen die Bundesrepublik ebenso nachhaltig verändern wie die damalige APO?
Ja, das ist denkbar. Die Parallele zur APO ist auffällig. Bisher hat sich die Bewegung eindeutig außerparlamentarisch aufgestellt. Sie ist nicht mit einer Partei liiert. Es mag sein, dass unter den Aktivisten und Initiatoren Mitglieder der Jungen Grünen sind. Aber das wird sehr zurückhaltend aufgenommen. Sie hat sich auch nicht von Umweltverbänden und ähnlichen Institutionen vereinnahmen lassen, sondern immer nur teilweise Hilfe in Anspruch genommen. Das macht ihre Stärke und ihr außerparlamentarisches Gewicht aus. Die außerparlamentarische Bewegung hat mit den Grünen einen Sympathisanten im Bundestag, der ihre Ziele politisch übersetzen kann. Früher war das die SPD.