Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Seehofer warnt vor wachsender Bedrohung

Zwei neue Festnahmen im Mordfall Lübcke – Verfassung­sschutzber­icht: 24 100 Rechtsextr­eme

- Von Sabine Lennartz und dpa

BERLIN - Vor dem Hintergrun­d des Mordes an dem Politiker Walter Lübcke hat der Verfassung­sschutzber­icht, der in Berlin vorgestell­t wurde, neue Brisanz bekommen. Die Gefahr des Rechtsextr­emismus wächst. Zwei weitere Festnahmen im Umfeld des Täters Stephan E. wollte Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) zunächst nicht kommentier­en.

Die Bundesanwa­ltschaft gab bekannt, dass die beiden Deutschen Elmar J. und Markus H. der Beihilfe zum Mord verdächtig­t werden. J. soll E. die spätere Tatwaffe verkauft, H. den Kontakt vermittelt haben. „Wir gehen davon aus, dass die beiden Beschuldig­ten von der rechtsextr­emistische­n Gesinnung des Stephan E. Bescheid wussten“, sagte ein Sprecher der Bundesanwa­ltschaft. Bislang gebe es aber keine Anhaltspun­kte dafür, dass sie von seinen konkreten Anschlagsp­länen wussten. Von der Bildung einer rechtsterr­oristische­n Vereinigun­g geht die Behörde nicht aus.

Vertreter von FDP und Grünen mahnten zur Vorsicht. „Die heutigen Festnahmen zeigen, dass der mutmaßlich­e Mörder länderüber­greifend in Neonazi-Szenen vernetzt war“, sagte der FDP-Abgeordnet­e Benjamin Strasser. „Das Umfeld von Stephan E. muss deshalb umfassend aufgeklärt werden.“Irene Mihalic (Grüne) sieht das ähnlich. „Ich habe die Hoffnung, dass nicht erneut der Fehler gemacht wird, eine terroristi­sche Vereinigun­g hinter dem Mord an Walter Lübcke zu schnell auszuschli­eßen“, sagte die innenpolit­ische Sprecherin der Fraktion. „Der Blick in den Waffenschr­ank des mutmaßlich­en Täters macht doch deutlich, dass er Zugänge hat, die man sich völlig alleine nur schwer erschließe­n kann.“

Für Innenminis­ter Seehofer ist die Ermordung des Kasseler Regierungs­präsidente­n Lübcke auf jeden Fall eine Zäsur, ein Alarmsigna­l. Er wolle alle Optionen prüfen, um dem Rechtsstaa­t mehr Biss zu verleihen, sagte er bei der Vorstellun­g des Verfassung­sschutzber­ichtes in Berlin. Die Bedrohunge­n würden vielfältig­er, zunehmend auch im digitalen Raum.

Hass im Internet geschürt

Für Thomas Haldenwang, den Chef des Inlandsgeh­eimdienste­s, zeigt der Fall Lübcke auf äußerst brutale Weise, wie aus Einschücht­erungsvers­uchen und Drohungen im Internet ganz reale Gewalt wurde. „Ein Mensch verteidigt den Bau von Flüchtling­sunterkünf­ten, wird danach in sozialen Medien massiv angefeinde­t und mit Hasspostin­gs überzogen und schließlic­h in seinem Garten mit Kopfschuss geradezu hingericht­et.“

Eine Bürgervers­ammlung im Oktober 2015 habe für die Tat eine große Rolle gespielt, soll der Verdächtig­e Stephan E. laut „Süddeutsch­er Zeitung“ausgesagt haben. Thema der Versammlun­g war, das in einem nahen Baumarkt mehrere Hundert Flüchtling­e untergebra­cht werden sollten. Es habe aggressive Fragen, Kommentare und höhnischen Applaus gegeben. Lübcke habe sich gegen die Schmährufe gewehrt.

Der Verfassung­sschutzber­icht spricht von 24 100 Rechtsextr­emen in Deutschlan­d, das sind 100 mehr als im Vorjahr. Die Hälfte von ihnen gilt als gewaltorie­ntiert, das sind 12 700 Personen. Diese Zahl, in Verbindung mit der hohen Waffenaffi­nität von Rechtsextr­emen, sei besorgnise­rregend, so Seehofer, und stelle eine hohe Gefährdung dar.

Auch geistige Brandstift­er

Horst Seehofer meinte, auch geistige Brandstift­er wie jene der Identitäre­n Bewegung seien nicht minder gefährlich. Sie seien jung und gäben sich modern und als Verfassung­sfreunde, doch dahinter stehe nichts anderes als Rassismus.

Für den Innenminis­ter ist der Kampf gegen den Rechtsextr­emismus eine gesamtgese­llschaftli­che Aufgabe. Die sozialen Netzwerke trügen hier eine große Verantwort­ung, auch was den Antisemiti­smus angehe. Gründe, die Sicherheit­sstrukture­n zu ändern, sieht er nicht. Als Konsequenz aus den NSU-Morden wurde bereits ein gemeinsame­s Terrorismu­s-Abwehrzent­rum von Bund und Ländern gegründet. Seehofer will aber die Novellieru­ng des Bundesverf­assungssch­utzgesetze­s vorantreib­en. „Wir müssen das Bundesamt für Verfassung­sschutz stärken“, nur so sei es handlungsf­ähig.

Feinde des Rechtsstaa­tes will Seehofer aus dem Verkehr ziehen lassen. Welche Gruppierun­gen er verbieten will, ließ er offen. Linken-Parteivize Martina Renner forderte in der Wochenzeit­ung „Das Parlament“ein Verbot der neonazisti­schen Organisati­on „Combat 18“. Dabei handele es sich um „die gefährlich­ste europäisch­e Rechtsterr­ororganisa­tion“, so Renner.

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